Seltene Tumoren der Kiefer-Gesichtsregion

Fibro-Ossäre Neoplasie des Oberkiefers

211182-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin

Kasuistik

Bei einem 42-jährigen Patienten bestand seit über 20 Jahren eine Auftreibung des rechten Oberkiefers. Bei der ebenfalls mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegenden Extraktion des Zahnes 16 war histologisch die Diagnose eines „Zementiformen Fibroms“ gestellt worden. Nachdem der Patient dem Geschehen zunächst über viele Jahre keine Beachtung zukommen ließ, war es nun im Laufe des letzten halben Jahres zu einer Beeinträchtigung der Nasenatmung gekommen, die den Patienten zu einer Behandlung motivierte. Eine alio loco durchgeführte erneute Gewebeprobe hatte in der Referenzpathologie am Knochentumorregister des DÖSAK (Deutsch-Österreichisch-Schweizerischer Arbeitskreis für Tumoren der Kiefer-Gesichtsregion) zu der Diagnose einer psammomatoiden Variante eines juvenilen aktiven ossifizierenden Fibroms geführt.

Klinisch bestand bei dem Patienten eine derbe, nicht schmerzhafte Auftreibung des rechten Oberkiefer-Alveolarfortsatzes mit ausgeprägter palatinaler Vorwölbung (Abb. 1). Vom äußeren Aspekt fiel ein diskreter Bulbushochstand der rechten Seite auf (Abb. 2). Im Orthopantomogramm wurde eine ausgedehnte Knochenläsion erkennbar, die sich als wolkige Struktur mit zahllosen Mineralisationszonen bis zum Orbitaboden erstreckte (Abb. 3). Die CT-Darstellung (Abb. 4 a+b) offenbarte schließlich die gesamte Ausdehnung des Tumors, der die gesamte Kieferhöhle unter Vorwölbung der lateralen und anterioren Knochenwandung ausfüllte und die mediale Kieferhöhlenwand zwischenzeitlich aufgebraucht hatte. Der Tumor wurde über einen transoralen Zugangsweg schonend mit geringem Sicherheitsabstand reseziert, wobei lediglich die in die Läsion einbezogenen Zähne 18 und 15 mit entfernt wurden. Unter Verwendung des Bichat-Fettpfropfes wurde der Defekt zweischichtig geschlossen. Histologisch bestätigte sich die Diagnose eines juvenilen aktiven ossifizierenden Fibroms.

Diskussion

(Zemento-)Ossifizierende Fibrome werden, gemeinsam mit der Fibrösen Dysplasie und der Zemento-Ossifizierenden Dysplasie zu der Gruppe der Fibro-Ossären Läsionen der Knochen zusammengefasst. Es handelt sich um eine Gruppe von Erkrankungen, deren gemeinsames pathomorphologisches Korrelat der Ersatz von Knochen durch eine benigne Bindegewebsmatrix mit variablenAnteilen von Hartgewebe in der Form von Geflechtknochen oder zahnzementähnlichen Gebilden darstellt [MacDonald-Jankowski, 2004]. Insoweit beschreibt der Begriff der Fibro-Ossären Läsion eher einen Prozess denn eine konkrete Diagnose [Neville et al., 2002].

Das (Zemento-)Ossifizierende Fibrom wird heute überwiegend als eine echte Neoplasie betrachtet [Sciubba et al., 2001], daher wird diese Entität von der WHO unter den „Osteogenen Neoplasien“ geführt [Reichart and Philippsen, 2003]. Eine Untergruppe dieser Neoplasien, häufig im Bereich der Nasennebenhöhlen, zeichnet sich durch eine erhöhte Wachstumstendenz aus und wird deshalb als „aggressives“, „juveniles“ oder aktives (Zemento-)Ossifizierendes Fibrom klassifiziert [Zupi et al 2000]. Die Abbildung 5 zeigt das gemeinsame Vorkommen zellhaltiger Hartgewebsanteile, die im weitesten Sinne Knochenbälkchen ähneln (a), neben ausgedehnten basophilen azellulären Mineralisationszonen (b), die morphologisch dem Zahnzement entsprechen. Trotz der teilweise verblüffenden morphologischen Analogie zum Zahnzement, die teilweise noch durch eine den Sharpey’schen Fasern entsprechende Einfassung der Hartgewebsbezirke unterstrichen erscheint (Abb. 6), wird das (Zemento-) Ossifizierende Fibrom mehrheitlich nicht als odontogener Tumor aufgefasst [MacDonald-Jankowski, 2004; Neville et al., 2002]. Tatsächlich fanden sich zementartige Hartgewebsanteile nämlich auch in Tumoren gänzlich außerhalb der Kieferregion, so dass diese Mineralisationsareale letztlich nur einer rarefizierten Knochenvariante entsprechen.

Für die zahnärztliche Praxis soll dieser Fall an den echten neoplastischen Charakter zahlreicher odontogener und nicht odontogener Kieferläsionen erinnern. Eine „Wait and See“-Strategie kann, wie im vorliegenden Fall, zu einem symptomarmen aber durchaus weit raumgreifenden Wachstum dieser Läsionen führen, die in der chirurgischen Sanierung dann, trotz schonender Entfernung, erhebliche Defekte bedingen.

PD Dr. Dr. Martin KunkelProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes-Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 Mainz

Die histologischen Präparate wurden freundlicherweisedurch Dr. Th. Hansen,Institut für Pathologie der Johannes Gutenberg-Universität (Direktor: Univ. ProfessorDr. Kirkpatrick) zur Verfügung gestellt.

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