53. Jahrestagung DGZPW

Frischer Wind aus Kiel

Heftarchiv Zahnmedizin
Die Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein war vom 13. bis 16. Mai 2004 nach nunmehr 30 Jahren erneut Austragungsort der Jahrestagung der Gesellschaft für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde (DGZPW). Mit rekordverdächtigen nahezu 650 nationalen und internationalen Teilnehmern und Referenten wurde der in Zusammenarbeit mit der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein veranstaltete Kongress im Kieler Schloss unter der Leitung von Prof. Dr. Matthias Kern, Kiel, zu einer organisatorisch sowie wissenschaftlich rundum gelungenen Veranstaltung.

Nachdem die letzte Tagung im eher spaßbetonten Europapark Rust stattgefunden hat, war der diesjährige Rahmen im Kieler Schloss eher traditioneller Art, was die große Anpassungsfähigkeit der DGZPW beweist. Das wissenschaftliche Programm war äußerst abwechslungsreich gestaltet. Drei Arbeitskreise trafen sich am ersten Tagungstag in der Kieler Zahnklinik. Zum Arbeitskreis für Didaktik und Wissensvermittlung unter der Leitung von Prof. Dr. Bernd Kordaß, Greifswald, war eigens ein Bus mit Studenten aus Greifswald angereist. Zusammen mit den Kieler Studenten und den übrigen Teilnehmern wurde der Platz im Hörsaal der Zahnklinik knapp. Außerdem trafen sich der Arbeitskreis für Kiefer- und Gesichtsprothetik unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Gente, Marburg, und der Arbeitskreis für Gerostomatologie unter der Leitung von OA Dr. Hans Peter Huber, Göttingen.

Gesundheitsnutzen von Zahnersatz

Die Generalthemen der Tagung, denen jeweils Hauptvorträge gewidmet waren, befassten sich mit dem „Gesundheitsnutzen von Zahnersatz“, der „Prothetik als Prophylaxe“, sowie den Fragestellungen „Prothetische Komplikationen – was dann?“ und „Kritische Zähne – erhalten oder ersetzen?“. Dem prothetisch interessierten Publikum wurden die neuesten Forschungsergebnisse und Entwicklungen in 45 Kurzvorträgen präsentiert, zusätzlich wurden Praxisseminare angeboten und neue Entwicklungen in der Zahnmedizin auf Industrieforen präsentiert. Den sonst oft nur am Rande stattfindenden wissenschaftlichen Posterpräsentationen wurde bei dieser Jahrestagung erstmals ein größeres Augenmerk gewidmet. Jeder der insgesamt 56 Wissenschaftler konnte seine Ergebnisse vor großem Publikum im Konzertsaal des Schlosses per Kurzpräsentation vorstellen und damit einen Besuch am eigenen Poster schmackhaft machen. Einen Höhepunkt stellte die Festrede der Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein Heide Simonis dar, die in Ihrer gelungenen Rede auch auf die Zukunft und Chancen der Gesundheitspolitik in Deutschland einging.

Lebensqualität und Gesundheit

Der schwedische Hauptreferent Prof. Dr. Björn Söderfeld, Malmö, differenzierte zunächst die Begriffe „Gesundheit“ und „Nutzen“ voneinander. Zahnersatz dient der Wiederherstellung von Ästhetik und Funktion und steigert somit die orale Gesundheit und die Lebensqualität. Allerdings haben sich die Begriffe „Lebensqualität“ und „Gesundheit“ im Laufe der Zeit gewandelt und werden sich beständig ändern, womit die Ansprüche an die Prothetik immer dynamisch bleiben. Die zahnärztliche Behandlung muss immer den individuellen Wünschen des Patienten angepasst sein, wodurch sich zwangsweise eine bestimmte Variationsbreite in der zahnärztlichen Entscheidungsfindung zum optimalen Gesundheitsergebnis ergibt. Für ein modernesGesundheitsverständnis ist eine hochwertige Prothetik unerlässlich. „Nutzen“ darf nicht nur im ökonomischen Sinn verstanden werden, sondern muss immer im allgemeinen Kontext des Behandlungsziels (Patientenwünsche, Finanzen, prothetische Machbarkeit) stehen. Der zweite Hauptreferent, Prof. Dr. Bengt Öwall, Kopenhagen, berichtete, dass die Prothetik früher nur von zwei Faktoren abhing: dem Patientenbedürfnis und dem fachlich-technischen Können des Behandlers. Als die Prothetik eine wissenschaftliche Disziplin und Teil des allgemeinen Gesundheitssystems wurde, begann der Kampf um ihre Daseinsberechtigung als eine gesundheitsbezogene Disziplin. Die Indikationen für Zahnersatz als Prophylaxe werden inzwischen aus einem modernen klinischen und wissenschaftlichen Blickwinkel gesehen und schließen unterschiedlichste Aspekte ein: technische Fehlerreduktion durch Design, Restauration von endodontisch behandelten Zähnen, temporomandibuläre Funktion, Kaufähigkeit, Zahnsensibilität, soziale Aspekte, psychologische Aspekte, Ästhetik und Kosmetik. In der zahnärztlichen Praxis gibt es eine Reihe von Notfallsituationen, bei denen bei entsprechender prothetischer Erfahrung „Erste Hilfe“ geleistet werden kann.

Tipps aus der dentalen Trickkiste

Dr. Wolfram Bücking, Wangen, demonstrierte mit eindrucksvollen Patientenfällen, dass selbst bei Implantatkomplikationen einiges aus der dentalen Trickkiste gezaubert werden kann, um die Situation zu retten. Prof. Dr. Heinrich Weber, Tübingen, brachte mit seinem Vortrag mehr Systematik in die klinische Beherrschung von Komplikationen und Misserfolgen. So sollte zuerst geklärt werden, ob die Grundkonstruktion erhalten werden kann und wie hoch die Kosten dabei sein werden. Die anschließende Falldokumentationen verblüfften mit unkonventionellen Ideen und Lösungsansätzen, um komplette Neuanfertigungen zu vermeiden.

Dr. Raphael Borchard, Münster, und Prof. Dr. Markus Beat Hürzeler, München, gingen der Frage nach, ob kritische Zähne zu erhalten oder zu ersetzen sind. Der Praktiker Dr. Borchard definierte zunächst die Faktoren, die den „kritischen Zahn“ ausmachen (patienten-, arzt- und zahnbezogene Faktoren) und erläuterte die Kriterien, wonach die Erhaltungsfähigkeit eines Zahnes eingeschätzt werden kann (Evidenzbasierte Behandlungsoptionen, Behandlergeschick und -erfahrung, Praxis-Infrastruktur).

Anschließend zeigte er ausführlich dokumentierte Patientenfälle, bei denen häufig die Extraktion fraglicher Zähne mit anschließender Brücken- oder Implantatversorgung die einfachste und prognostisch sicherste Lösung darstellte. Prof. Dr. Hürzeler, riet, bei jeder Fallplanung eine ausführliche Analyse vorzunehmen, in der die zu versorgenden Zähne in drei Kategorien (hoffnungslos, fraglich, sicher) eingeteilt werden. Eine solche Analyse helfe, den Überblick zu bewahren, und erleichtere die Entscheidungsfindung in der mitunter komplexen parodontalen und präprothetischen Fallplanung. Eine der größten Schwierigkeiten sei es, furkationsbefallene Molaren einzuschätzen. Seine theoretischen Ausführungen verdeutlichte Prof. Hürzeler anhand verschiedener Fallbeispiele und riet den interessierten Zuhörern abschließend: „Wir haben zwar bessere Möglichkeiten und auch bessere Langzeitprognosen als noch vor zehn bis 15 Jahren. Trotzdem: Bleiben Sie realistisch bei Ihrer Fallplanung.“

Preise für die Wissenschaft

Auch in diesem Jahr wurden unter den Kurzvorträgen und den Postervorstellungen die besten wissenschaftlichen Beiträge prämiert. In diesem Jahr teilten sich Dr. Florian Mack, Greifswald, und ZA Thomas Nelle, Leipzig, den Preis für den besten Kurzvortrag. Als bestes Poster wurde das von Dr. Peter Rehmann, Giessen, ausgezeichnet. Bei der jährlich stattfindenden Mitgliederversammlung wurde ein neuer DGZPWPräsident gewählt. Prof. Dr. Rainer Biffar, Greifswald, löste dabei den seit 2002 amtierenden Präsidenten Prof. Dr. Thomas Kerschbaum, Köln, nach zweijähriger erfolgreicher Tätigkeit ab. Am Ende einer solchen Veranstaltung durften natürlich die abschließenden Worte des scheidenden Präsidenten Prof. Dr. Thomas Kerschbaum, Köln, nicht fehlen, in denen er unter anderem den hohen Grad an Evidenz der wissenschaftlichen Vorträge und den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung lobte. Als positives Signal für die Zukunft wertete der scheidende Präsident die zahlreichen wissenschaftlichen Beiträge junger Kollegen, so dass für die DGZPW-Tagungen der nächsten Jahre ein großes wissenschaftliches Potential zu erwarten sei.

Dr. Frank BohlsenDr. Katja BraaschKlinik für Zahnärztliche Prothetikund WerkstoffkundeArnold-Heller-Straße 1624105 Kiel

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