Leitartikel

Beileidsbekundung

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Soll man Angela Merkel bedauern oder nicht? Da haut sie auf dem letzten CDU-Parteitag kompromisslos die Kopfpauschale durch und wirft dafür ohne Not ihre ganze politische Autorität in die politische Waagschale. Konsequent treibt sie ihre Gesundheitsexperten in die Gespräche mit der SPD zum gemeinsamen Projekt GMG. Die Vorgaben sind klar, nur die Reihen nicht fest geschlossen. Ausgerechnet ihr großer Widersacher, Horst Seehofer, wird Verhandlungsführer der Union.

Merkel hat das zugelassen. Doch war das richtig? Jedenfalls musste sie, während Ulla Schmidt und Horst Seehofer gemeinsam eine unvergessliche Nacht hatten, nach Mitternacht raus zum Telefongespräch mit dem Kanzler. Ausgerechnet der Zahnersatz musste geklärt werden. Eigentlich ein Peanut- Bereich der GKV, dafür aber einer ohne schnelle Kompromisslösungen. Für die Kostenerstattung mochte sich Angela Merkel nicht mehr verkämpfen, aber für gleiche Wettbewerbsbedingungen von GKV und PKV schon, und für einen einheitlichen, einkommensunabhängigen Beitrag erst recht. Schließlich hätte das einen fulminanten Einstieg in die Mechanik der Gesundheitsprämie – damals noch „Kopfpauschale” genannt – bedeutet.

Der Fortgang der Geschichte ist bekannt. Horst Seehofer nölte in den Medien und ölte die Bremsen in der GKV. Der faire Wettbewerb zwischen GKV und PKV konnte angesichts grundsätzlich nicht kompatibler Strukturen nicht erreicht werden. Die GKV blieb in der Vorhand, die Gesundheitspolitik blieb auf dem weiß-blau gefärbten Teppich, der große Reformwurf blieb auf der Strecke. Nun, die PKV machte überraschend schnell ihren Schnitt mit Zusatzversicherungen zur GKV. Und Horst Seehofer machte weiter wie bisher. Beim Festzuschuss bekam die SPD die Torschlusspanik! Man hatte schlicht vergessen, das Inkasso des neuen Zahnersatz- Versicherungsbeitrages für Rentner und Arbeitslose zu regeln. Im Frühsommer, vor der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses am 23. Juni 2004, hatten Einzelne im Vorfeld die Prämie auf einen zweistelligen Monatsbeitrag schlechtgerechnet. Als begleitende Maßnahme forderten im Ausschuss die Krankenkassen Regelleistungen nach dem Opulenz-Prinzip. Hätte das geklappt, dann wäre der Beitrag auch tatsächlich nach oben geschnellt.

Wenn die Rentenversicherer sich weigern, das Inkasso vorzunehmen, wäre für den Zahnersatz-Versicherer die individuelle Kontoführung tatsächlich ein erheblicher Verwaltungskostenpreistreiber. Ein Schreckensszenario wurde gezimmert: Knappe sechs Euro reiner Versicherungsbeitrag und etwa vier Euro zusätzliche Verwaltungskosten? Nicht zu vermitteln. Würden aber andererseits die Rentenversicherer den Job machen, würde quasi die Rente gekürzt. Erneuter Horror: das Problem bei der Oma nicht nur im Portmonee, sondern auch bei BILD auf der ersten Seite. Und überhaupt die Furcht vor der Grundsatzdiskussion: Der gleiche Beitrag für den Generaldirektor und seinen Chauffeur? Parallel dazu bekamen Herr Rüttgers und Herr Milbradt jetzt das große Fracksausen. Wie zwei Wahltermine doch den Blick verstellen können! Angela Merkel soll fassungslos gewesen sein. Gerade Milbradt, der sich doch gern als prinzipienfester Polit-Purist präsentiert, wird zum Zauderer. Und Jürgen Rüttgers forderte auf einmal eine Generalrevision und machte munter in Gesundheitspolitik. Dabei will er doch nur Ministerpräsident werden. Jetzt oder nie! Für ihn gilt: mehrheitslos heißt arbeitslos.

Also müssen es die Chefinnen selbst richten. Ulla Schmidt schießt einen Brief rüber zu Angela Merkel mit einem Kompromissangebot. Schnell stürzt Seehofer aus dem Graben, das Fähnlein freudig schwenkend in der Hand. Es ist das rote Fähnlein, aber als weißes gemeint. Bei der SPD lässt man ihn gewähren; weiß man doch mittlerweile, dass Horst Seehofer immer die rote Fahne nimmt, wenn er die weiße meint. Und Angela Merkel hält ihn mittlerweile eh für farbenblind.

Die große Taktikerin Merkel in Nöten? Stimmt sie dem Schmidt´schen Angebot zu, also einer wie gewohnt einkommensabhängigen Beitragshöhe, dann ist das nicht nur ein vollständiger Kotau vor der SPD-Position. Es ist auch das politische Scheitern, eine Kopfpauschale einzuführen. Kompromisswege gibt es hier nicht. Die CDU-Spitze mag sich selbst trösten wollen mit der internen Seelenmassage, die kleine Pauschale beim Zahnersatz sei doch mit der großen Pauschale bei der Gesundheitsprämie bitte nicht in einem Topf zu werfen. Doch ob dieses Kalkül aufgeht?

Mein Fazit: Auch die Union erweist sich als reformunfähig, fehlende Geschlossenheit führt zum politischen Ruderverein, das politische Rückgrat zum elastischen Gummiband.

Ich kann nur sagen: arme Angela Merkel!

Dr. Jürgen FedderwitzAmtierender Vorsitzender der KZBV

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

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