Alternativmedizin

Bleiintoxikation durch Einnahme ayurvedischer Arzneimittel

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Siebeneinhalb Monate Einnahme ayurvedischer Weihrauchpillen reichten bei einer 60-jährigen Rheumatikerin aus, um ihre Serumwerte für Blei auf mehr als das Achtfache der Norm steigen zu lassen, mit entsprechender Akutsymptomatik. Dieser Kasus regt zu Überlegungen zum Wert fernöstlicher Pharmaka an, die im Westen oft ohne umfassende Kenntnis der altüberlieferten Medizintraditionen nach eigener Manier angewandt warden.

Die Patientin wurde im Stuttgarter Diakonie- Klinikum wegen einer akuten Verschlechterung ihres Allgemeinzustandes aufgenommen. Seit sechs Tagen litt sie unter heftigem Erbrechen, Appetitlosigkeit, Obstipation, generalisiertem Muskelschmerz, Rückenschmerzen sowie starken Schmerzen im Sternal-, Rippen- und Kieferbereich. Schon seit fünf Monaten hatte sich das Beschwerdebild nach Aussage der Patientin allmählich aufgebaut: Sie fühlte sich zunächst kraftlos. Immer wieder wurde ihr übel und sie musste erbrechen. Die Schmerzen begannen im Bereich des Oberbauchs, der Wirbelsäule und des Sternums. Die Patientin hatte in der Zwischenzeit neun Kilo abgenommen, war immer wieder in der Wohnung gestürzt – vor allem im Zusammenhang mit plötzlichen Attacken von Übelkeit.

Einen Monat nach Beginn der Symptomatik hatte sich die Patientin einer gastroskopischen Diagnostik unterzogen und wegen einer leichten Refluxösophagitis, auf die man einen Teil der geklagten Symptomatik zurückführte, regelmäßig zu ihren Rheuma- Medikamenten einen Protonenpumpenhemmer eingenommen, der allerdings kaum eine Besserung der Symptomatik erbrachte.

Zur Zeit der stationären Aufnahme gab die Patientin folgende Medikamente an, die sie regelmäßig einnahm: seit eineinhalb Jahren Methotrexat 15 Milligramm pro Woche als Basistherapie der Polyarthritis und fünf Milligramm Prednisolon als niedrig dosiertes Kortison gegen die rheumatische Entzündung, seit sechseinhalb Monaten 40 Milligramm Pantoprazol pro Tag gegen die Refluxösophagitis und Metoclopramid gegen die Übelkeit sowie zur Behandlung einer Osteoporose ein Bisphosphonat, Kalzium und Vitamin D.

Wie sich bei der genaueren Analyse des Falls zeigte, hatte sie seit siebeneinhalb Monaten aus privater Quelle ein ayurvedisches Präparat gegen Rheuma eingenommen: täglich zwei bis drei Weihrauchpillen der Fa. Nagarjuna Herbal Concentrates, Ltd. in Indien. Seit Beginn dieser Medikation bauten sich, so erinnerte die Patientin im nachhinein, die Beschwerden auf, die schließlich zur stationären Abklärung führten.

Normochrome Anämie

Den Untersuchungsbefund beschreiben Prof. Else Heidemann, Stuttgart, und Mitarbeiter Ihrer Abteilung wie folgt:

• Klinik und apparativer Zustand ohne Befund.

• Klinisch-chemische Befunde:

Normochrome, normozytäre Anämie mit einem Hämoglobinwert von 8,6 g/dl mit einer leicht erhöhten Leukozytenzahl. Im Differenzialblutbild eine ausgeprägte Polychromasie, Anisozytose, Poikilozytose mit basophiler Tüpfelung der Erythrozyten (Abbildung 1).

Im Knochenmarkabstrich imponierte eine Hyperplasie der Erythropoese (Abbildung 2).

Da Methotrexat in der Lage ist, die Blutbildung negativ zu beeinflussen, wurde zunächst dieses Medikament abgesetzt, allerdings ohne Erfolg. Die Hämoglobinwerte bewegten sich weiterhin im niedrigen Bereich bis zu einem Minimum von 7,1 g/l. Außerdem gab es verschiedene Hinweise, dass es zu einem erhöhten Hämoglobinturnover gekommen war, was für Methotrexat untypisch ist. Auch eine autoimmunologisch bedingte Unterdrückung der Blutbildung, die bei Arthritiden vorkommen kann, wurde ausgeschlossen.

Daher erfolgte nochmals eine genaue Reevaluierung des Falls, innerhalb derer auch die Bleispiegel im Vollblut bestimmt wurden (Blei vermag die Hämoglobinbildung bei gleichzeitiger Verminderung der Überlebenszeit der Erythrozyten nachhaltig zu stören). Die Analyse hatte folgendes Ergebnis:

Bleispiegel im Vollblut 852 mg/l (Normwert <100 mg/l. Im Urin betrug der Bleigehalt etwa 200 mg/l (Normwert <18 mg/l). Durch einmalige Gabe des Chelatbildners DMPS in der Dosis von 300 mg erhöhte sich der Bleianteil im Urin auf 1 443 mg/l.

Als Intoxikationsquelle wurden bald so genannte Weihrauchpillen ayurvedischer Provenienz identifiziert, welche die Patientin von einer Freundin aus Indien mitgebracht bekommen hatte (Abbildung 3). Im Chemischen Institut des Amtes für Umweltschutz der Landeshauptstadt Stuttgart ließ sich in diesen Pillen neben verschiedensten Bestandteilen ein Bleigehalt von 67 bis 82 Gramm Blei pro Kilogramm und von 75 Gramm Quecksilber pro Kilo Pillen nachweisen. Rechnet man die Einnahme der Pillen über die angegebenen siebeneinhalb Monate und die bekannten Resorptionswerte aus, so hatte die Patientin in diesem guten halben Jahr etwa 20 Gramm Blei in das zirkulierende Blut aufgenommen – eine in der Tat toxische Dosis.

Auch im Freundeskreis der Patientin, in dem sich eine Selbsttherapie mit diesem Arzneimittel eingespielt hatte, waren bei den Anwendern stets überhöhte Bleiwerte im Blut nachweisbar, allerdings noch in einem Bereich, der nicht zu Beschwerden geführt hatte.

Therapieverlauf und Kommentar

Allein durch folgerichtige Anwendung von Chelatbildnern, die in der Lage sind, Schwermetalle wie Blei in eine lösliche Form zu überführen, die dann für die Nieren leichter ausscheidbar ist, kam es zur weitgehenden Normalisierung des Blutbildes innerhalb von 14 Tagen mit einer Steigerung des Hämoglobinwertes auf 11,4 g/dl. Der Einsatz dieser Präparate konnte ambulant fortgesetzt werden. Wichtigster Punkt in der Therapie ist die Identifikation und Ausschaltung der Intoxikationsquelle. Hier plädieren die Autoren für ein Verbot ayurvedischer Arzneimittel in Deutschland, um die Verbraucher vor waghalsigen populärwissenschaftlichen Anpreisungen zu schützen (Weihrauchpillen werden zum Beispiel bei Arthritis und Morbus Crohn als nebenwirkungsfreies Wundermittel angepriesen, im Gegensatz dazu fanden sich in 64 Prozent solcher Medikamente erhebliche Verseuchungen mit Schwermetallen).

Nach Auffassung des Autors ginge ein generelles Verbot ayurvedischer Medikamente zu weit. In der Hand kundiger Ärzte, die eine in den Ursprungsländern anerkannte Ausbildung und Praxis hinter sich gebracht haben, mögen manche Präparate nützlich sein.

Ein Fehler ist bei solchen Therapierichtungen zweifellos aber die Selbstmedikation oder die Anwendung durch Empfehler, denen eine gründliche spezifische Ausbildung fehlt. So kommt es zu einer konsumtiven Anwendung, die noch dazu – wie im beschriebenen Fall – auf eine nicht ganz risikolose schulmedizinische Medikation aufgepfropft wird. Das könnte einem ayurvedischen Arzt wahrscheinlich nicht passieren, unter den Bedingungen der hiesigen Ignoranz in Sachen fernöstlicher Therapiesysteme wäre die Wiederholung solcher folgenschwerer Missgriffe jedoch sehr leicht wieder möglich.

Till Uwe Keil

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