Azubis 2004

Mein erster Praxistag

Der Ranzen ist geschnürt, das Pausenbrot geschmiert. Der Weg führt die Teenies aber nicht mehr in die Schule, sondern in die Zahnarztpraxis – ihre Ausbildung zur Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA) hat begonnen. Die Lehre ist freilich kein Pappenstiel, gerade der Einstieg fällt manchen Novizen schwer. Wenn der Chef das Ausbilder-ABC jedoch aus dem Effeff beherrscht, kann er ihnen gute Starthilfen geben.

Ein aufmunternder Blick vom Chef – dann muss Karla zeigen, was in ihr steckt. Bis heute hat die neue Auszubildende den „Ausgelernten“ nur über die Schulter geschaut – jetzt steht sie selbst am Behandlungsstuhl, direkt neben dem Zahnarzt. Reicht mit zittriger Hand Instrumente und saugt beim Patienten den Speichel ab. Eins weiß Karla allerdings genau: Sie ist nicht die einzige, der in diesen Tagen das Herz bis zum Hals schlägt. Mit ihr beginnen etwa 560 000 Schulabgänger die Ausbildung, um die 14 000 davon zur ZFA. Die Jüngsten sind gerade 15, die Ältesten um die 40 Jahre alt.

Für die Youngsters ist der Einstieg ins Berufsleben oft ein Sprung ins kalte Wasser: Haben sie bis vor einigen Wochen noch die Schulbank gedrückt, wartet nun ein harter Arbeitstag auf sie.

Ernst des Lebens beginnt

Bevor für die Ex-Schüler der Ernst des Lebens überhaupt beginnt, hat der Zahnarzt die wichtigste Frage aber bereits entschieden: Wer aus der Bewerberschar bekommt die Zusage? Wichtig ist, dass der Ausbilder die Auswahl systematisch angeht: Jeder Mensch wartet mit besonderen Fähigkeiten, Eigenschaften und Interessen auf. Zusammengesetzt ergeben die einzelnen Teile das persönliche Eignungsprofil, wie bei einem Puzzle. Je nach Beruf muss der Azubi spezielle Stärken mitbringen.

„In der Zahnarztpraxis heißt das Schlüsselwort Kommunikation“ subsumiert Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), unter anderem zuständig für den Bereich Ausbildung. „Im Zuge des demografischen Wandels werden mehr und mehr ältere Patienten in die Praxis kommen – offene, geduldige und einfühlsame Mitarbeiterinnen machen in dem Job daher dicke Pluspunkte. Gefragt sind obendrein eine gute Portion Teamgeist und die Fähigkeit zur Selbstkritik. Neben den sozialen Kompetenzen sind natürlich auch die schulischen Leistungen von Belang.“

Wer die Bewerberunterlagen statt einzig auf die Noten insbesondere auch auf Inhalt und Aussage prüft, setzt eben genau bei den täglichen Berufsanforderungen an. Wie die Bewerberin auf andere Menschen eingeht, erfährt der Zahnarzt ohnehin am besten im persönlichen Gespräch. Gute Karten haben Anwärter, die zugleich gut zuhören und sich aktiv in die Unterhaltung einbringen können. Hilfsbereitschaft, Organisationstalent und geschickte Hände sind von Vorteil. Hobbys, die auf Teamwork schließen lassen, sei es Volleyball spielen oder die Altstimme im Gospelchor, kommen ebenfalls gut an.

Will der Praxischef bei der Einstellung auf Nummer sicher gehen, sollte er den Bewerbern zuvor ein Praktikum anbieten. Davon profitieren beide Seiten: Der Zahnarzt sieht, wie sich die Kandidatin macht; umgekehrt kann sie schon im Vorfeld testen, ob das Bild vom Traumjob in der Wirklichkeit Bestand hat.

Gute Noten, keine Pause

Noch träumen viele Schülerinnen davon, später ihr Salär in der Zahnarztpraxis zu verdienen. Die ZFA steht als Berufswunsch hoch im Kurs: Mehr als 14 000 angehende Helferinnen hatten vergangenes Jahr einen Ausbildungsvertrag in der Hand (siehe Grafik). Die Zahlen sind stabil, insgesamt geht der Trend sogar leicht aufwärts – die Zahnärzteschaft hat ihre Hausaufgaben ordentlich gemacht. Ausruhen darf sie sich auf den guten Noten nicht. Der Wettbewerb um geeignete Azubis wird sich in Zukunft arg verschärfen. In den neuen Ländern machen den Praxen schon jetzt die ersten Geburten schwachen Jahrgänge zu schaffen, die Abwanderung tut das ihrige. Beispiel Thüringen. Dort wird sich die Zahl der Schulabgänger bis 2009 gegenüber 1999 halbieren. Die Kammern versuchen darum verstärkt, die Jugendlichen für die Arbeit in der Praxis zu begeistern. Sie gehen in die Schule und geben dort Info-Stunden, halten Vorträge auf Berufsfindungstagen, klären mithilfe von CDs oder Filmen auf und betreuen Stände auf Jobbörsen sowie Azubi-Messen. Damit der Beruf auch kommende Schulabsolventen lockt und künftigen Anforderungen gerecht wird, wurde vor drei Jahren die neue Ausbildungsverordnung verabschiedet. Aus der Zahnarzthelferin wurde die Zahnmedizinische Fachangestellte. Der Beruf hat sich gewandelt, nicht nur, was die Bezeichnung betrifft. „Die neue zeitgemäße Ausbildungsverordnung geht weg vom Klischee behafteten Bild der Helferin“, so BZÄK-Vize Oesterreich. „Der Beruf wird im Hinblick auf eine moderne präventionsorientierte Zahnheilkunde inhaltlich aufgewertet.“

Im Unterschied zur Zahnarzthelferin stehen in der Ausbildung zur ZFA verstärkt die Fächer Patientenkommunikation, Prophylaxe und EDV auf dem Stundenplan. Die ZFA leistet qualifizierte und verantwortungsvolle Arbeit, das fängt in der Lehre an und setzt sich in Weiterbildungen fort. Denn wer seine Angestellten fördert, gewinnt ein Team, das auch schwierige Aufgaben lösen kann und dadurch den Praxischef entlastet. Dass diese Rechnung aufgeht, davon ist das Gros der Behandler, wie das hohe Ausbildungsniveau belegt, überzeugt.

Die von Rot-Grün im Frühjahr angedrohte Ausbildungsplatzabgabe klang denn auch wie Hohn in ihren Ohren. Kaum war das Damoklesschwert erfolgreich abgewehrt, folgte der nächste Hieb: Am 16. Juni schloss die Regierung mit mächtigen Wirtschaftsverbänden, wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), einen Ausbildungspakt. Der Inhalt: Schaffen die Unternehmer bis 2007 jährlich 30 000 neue Lehrstellen, will Kanzler Gerhard Schröder (SPD) auf die Abgabe verzichten. 25 000 Stellen soll die Wirtschaft außerdem für Jugendliche ohne Einstiegseignung ausschreiben. Da die freien Berufe nach Industrie und Handel/ Handwerk mit 160 000 Azubis der drittgrößte Lehrherr sind, haben sie sich nicht an diesem Pakt beteiligt.

Ein X für ein U

In punkto Pakt versuchen die Minister, der Öffentlichkeit ein X für ein U vorzumachen: Unterstellt doch jener, dass versteckte Ausbildungsplätze auf dem Lehrstellenmarkt vorhanden sind.

Das Gegenteil ist der Fall – „die offenen Stellen sind den Freiberuflern bekannt und lassen sich weder per Pakt noch per Zwangsabgabe vermehren”, stellt Österreich klar. Von der staatlichen Einmischung halten die zahnärztlichen Standesorganisationen also wenig.

Dass der Jobmotor „Zahnarztpraxis“ nach wie vor brummt – ungeachtet der allseitigen Beschäftigungskrise – ist allein dem Engagement der Zahnärzte zu verdanken. Eins vergisst die Riege Schröder leider gerne: Für einen Lehrling müssen die Arbeitgeber im Schnitt 8 700 Euro netto pro Jahr hinblättern. Auf diese Summe kommt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.

Dennoch leisten die Zahnärzte ihren Beitrag: „Gerade in diesen angespannten Zeiten ist es wichtig, der Jugend eine Chance zu geben und sie in die Gesellschaft zu integrieren. Die Zahnärzteschaft übernimmt auch jetzt Verantwortung und bildet konsequent den Nachwuchs aus“, bestätigt Dr. Dr. Henning Borchers, Präsident der Zahnärztekammer Niedersachsen und verantwortlicher Vorstandsreferent der BZÄK für den Bereich Ausbildung.

Mit Erfolg: Dem Statistischen Bundesamt zufolge machte die ZFA im Jahr 2002 zusammen mit den Arzthelferinnen und Krankenschwestern mit etwa einer Million Beschäftigten den Löwenanteil im Gesundheitswesen aus. Mit gut 4,5 Millionen Angestellten verkörpert die Gesundheitsbranche den mit Abstand größten Arbeitgeber Deutschlands. Sie bietet mehr Arbeitsplätze als jeder Industriezweig im Land. Jahr für Jahr schafft die Branche neue Lehrstellen.

Jahr für Jahr bleiben jedoch auch Jobs unbesetzt. Meist fehlen schlichtweg die geeigneten Bewerber. Etliche sitzen ratlos vor dem Dreisatz und versagen beim Diktat – Pisa lässt grüßen. Diese Lücke kann der ausbildende Zahnarzt nicht schließen, das ist Sache der Politik. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) plant zwar ein einheitliches Bildungssystem. Doch die geplanten Reformen kommen nur im Schneckentempo voran – Bildung ist Ländersache. Eine geplante Novellierung des Berufsbildungsgesetzes soll das duale System modernisieren, sprich, die Ausbildung praxisorientierter gestalten. Das sind gute Vorsätze. Mehr Wettbewerb zwischen den Schulen, mehr betriebliche Lebensnähe und eine flexiblere Ausbildung verspricht die Reform nach Meinung vieler Firmenchefs gleichwohl nicht. Nachsitzen müsste in ihren Augen auch die Ministerin, nicht nur die Schüler.

Nachhilfe im Einmaleins

Ein Genie fällt freilich nicht vom Himmel. Um das kleine Einmaleins der Praxis zu begreifen, brauchen viele Azubis am Anfang etwas Nachhilfe. Mit Zugucken ist es nicht getan. Bei praktischen Arbeiten, vom Assistieren über Verwaltungsaufgaben bis zum Zement anmischen, hilft nur üben, üben und nochmals: üben. Auch wenn es im stressigen Tagesgeschäft schwer fällt: Mit Geduld und Verständnis kommt man in der Regel weiter als mit Hektik und Gereiztheit. Sachverhalte also ruhig und einfach erklären; Zusammenhänge möglichst nicht auf abstrakter Ebene darlegen, sondern an konkreten Beispielen festmachen.

Eine kleine Befragung angehender ZFA in Köln hat jüngst ans Licht gebracht: Die meisten trauen sich nicht zu gestehen, dass sie etwas nicht verstanden haben. Und mal ehrlich: Wer stellt schon gerne Fragen, wenn er anschließend mit einem Rüffel rechnen muss? Besser ist, die Messlatte nicht zu hoch zu legen und die Neulinge nicht nur für Glanzleistungen zu loben. Wir wissen ja selbst: Erfolgserlebnisse schaffen Selbstvertrauen und Motivation für schwierigere Situationen.

Ein Grillfest, ein Ausflug ins Museum oder der Restaurantbesuch beim Italiener stärken insgesamt das Wir-Gefühl und machen auch dem Azubi klar: Der Chef zählt auf mich!

Es braucht also weder viel Geld, noch aufwändige Anreize, um die Mannschaft ins Boot zu holen. Dennoch: Eine angemessene Entlohnung zeigt dem Schützling, dass seine Arbeit anerkannt wird.

Auch wenn das Stimmungsbarometer normalerweise nach oben zeigt – Probleme gehören einfach zum Alltag. Was in seinen Möglichkeiten steht, kann der Zahnarzt sicherlich auffangen. Etwa durch ein regelmäßiges Gespräch unter vier Augen, das den aktuellen Stand des Azubis reflektiert. Leistungssprünge kommen bei diesen Treffen genauso auf den Tisch wie Defizite und Ärger. Gut, wenn der Behandler ein Gefühl für die Atmosphäre in der Praxis hat und positive wie negative Aspekte anspricht. Dafür kann er ruhig etwas Zeit mehr einkalkulieren: Viele Lehrlinge haben großen Respekt vor ihrem Chef – erfahrungsgemäß dauert es ein Weilchen ehe sie erzählen, wo der Schuh drückt. Konstruktive Kritik sollte jede Seite üben können, Chef wie Azubi. Wichtig ist, dass sich beide auf die in Zukunft angepeilten Ziele verständigen. In gemeinsamen Teamsitzungen kann der allgemeine Ausbildungsweg ebenfalls besprochen werden, Tadel, Schelte und Co. sind allerdings nicht für fremde Ohren bestimmt, weder für die der anderen Teammitglieder, noch für die der Patienten.

Doch was tun, falls der Lehrling richtig hinterherhinkt, beispielsweise in Mathe oder Fachkunde? Oder es bei ausländischen Azubis mit der Sprache hapert? Diese Baustelle kann der Zahnarzt natürlich nicht allein fertig stellen. Abhilfe schaffen Berufsschule und Arbeitsamt: Dort kann der Wackelkandidat kostenlose Förderkurse belegen (auch in Fachkunde), damit er den Anschluss nicht verliert.

Praxisnah pauken statt Trockenschwimmen

Ansprechpartner an den Berufsschulen sind noch die Zahnärzte selbst. Sie bilden mit den Klassen- und Vertrauenslehrern die Schnittstelle zwischen Praxis und Schule, sie sorgen mit ihrem betriebsnahen Unterricht dafür, dass die Azubis fachlich auf Zack bleiben. Dass dort in den vergangenen Jahren verstärkt „Gesundheitslehrer“ eingestellt wurden, beobachten Kammern und Kollegen mit Sorge. „Fachkunde, Röntgen, Strahlenschutz und Abrechnung müssen in der Hand der Zahnärzte bleiben! Das ist unser Metier, und das dürfen wir nicht an die Gesundheitslehrer abgeben“, unterstreicht Dr. Peter Matovinovic, Leiter der Informationsstelle der Pfälzischen Zahnärzte und selbst an der Berufsschule tätig. Trockenschwimmübungen bringen den Prüflingen am Ende nicht das heiß begehrte Abzeichen. Einzig der Zahnarzt ist hier der Garant für Fachkompetenz. Nichtsdestotrotz: Die Berufsschule ist Pflicht. Und zwar für die gesamte Ausbildungszeit, also grundsätzlich für drei Jahre.

Zu einem guten Start verhilft der Zahnarzt den Einsteigern, indem er

• sie rechtzeitig in der Berufsschule und zu den Prüfungen anmeldet

• für sie auf Basis des Ausbildungsrahmenplans einen Ausbildungsplan erstellt

• sie kostenlos gegen Hepatitis-B impfen lässt und sie über alle weiteren erforderlichen Schutzmaßnahmen aufklärt

• ihnen die notwendige Schutzkleidung sowie Handschuhe, Gesichts- und Kopfschutz zur Verfügung stellt

• ihnen das Berichtsheft erklärt und es regelmäßig mit ihnen durchgeht.

Beschäftigt die Praxis Azubis unter 18, greift das Jugendarbeitsschutzgesetz. Es legt fest, dass Minderjährige nach über fünf Unterrichtsstunden nicht mehr in der Praxis arbeiten dürfen. Haben die Teenies noch einen zweiten langen Schultag, muss der Chef sie allerdings nicht mehr freistellen. Fallen mehr als fünf Unterrichtsstunden an, rechnet man acht Zeitstunden auf die Wochenarbeitszeit, bei einem zweiten Tag in der Berufsschule zählt nur der echte Unterricht einschließlich Pausen. Ist der Azubi bereits volljährig, darf er grundsätzlich nach der Schule arbeiten, auf die wöchentliche Arbeitszeit werden nur die tatsächlichen Schulstunden inklusive Pausen angerechnet. Eins gilt für alle ausnahmslos: Beginnt die Schule um neun Uhr, darf der Azubi vorher in der Praxis keinen Dienst verrichten.

Auch in Sachen Urlaub differenziert der Gesetzgeber: Azubis unter 16 haben Anspruch auf mindestens 30, unter 17 auf zumindest 27 und Azubis unter 18 Jahren auf wenigstens 25 Werktage Urlaub pro Jahr.

Am Puls der Zeit bleiben

Sicher, am Anfang steht den Ausbildern einiges an Theorie und Papierwust bevor. Doch der Paragrafendschungel ist nicht so dicht, wie er auf den ersten Blick erscheint. Wer sich dennoch im Wirrwarr verirrt, dem helfen die jeweiligen Kammern gerne weiter. Ausbilden ist nämlich keine Plage, ganz im Gegenteil. Engagierte Ausbilder schwärmen von ihrer Arbeit. Neben dem guten Gefühl, verantwortlich zu sein und jungen Menschen den Start ins Berufsleben zu ermöglichen, bringt die Aufgabe enorm viel Spaß. Neue Ideen, neue Ansichten bereichern den Berufsalltag, die kleinen Nöte und Freuden geben Einblick in die Welt der Jugendlichen. Kurz: Wer ausbildet, bleibt am Puls der Zeit.

Karla räumt derweil die Instrumente in den Steri und summt vor sich hin. Die erste Feuerprobe hat sie erfolgreich bestanden. Einmal hat sie mit dem Schlauch nicht schnell genug Kühlwasser und Speichel abgesaugt, aber die Materialien waren perfekt angemischt, und die Instrumente hat sie geschickt bereit gelegt und angereicht. „Ihre“ erste Patientin ist mittlerweile wohlauf und – mit einer neuen Zahnfüllung – schon wieder auf dem Weg nach Hause.

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