FVDZ-Hauptversammlung 2004

Deutschland wartet „auf Godot“

Wegen der „Unfähigkeit der Politik“, im Gesundheitswesen neue Wege zu gehen, wollte der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) auf seiner Hauptversammlung (7. bis 9. Oktober) in Ulm vorrangig selbst initiierte Wege aus der Krise diskutieren. Meist stritten die Delegierten aber um die Grundsatzfrage, ob hauptamtliche Tätigkeit von Freiverbandlern in Körperschaften duldbar ist oder deren „Ausschluss“ erfordert. Das Ergebnis: Die Satzungsänderung zum Ausschluss fand nicht die erforderliche Mehrheit.

Edlef Bucka-Lassen, dänischer Arzt, Autor und Managementberater, bot in seinem Festvortrag „Erwartungen, Image und Blaue Elefanten“ eine besondere Vorbereitung auf das, was folgen sollte: Mit „Erwartungen“ und „Image“ hatten die zentralen Themen in Ulm durchaus zu tun. Allerdings: Was man von Politik, Gesundheitswesen und dem eigenen Berufsstand erwartet, kollidiert – da waren sich die Delegierten einig – immer wieder mit den Auswirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes.

Dass aber auch die Erwartungshaltung mancher Delegierter an die eigenen Verbandskollegen wenig real ausfiel, wurde am zweiten Tage des Jahrestreffens deutlich: Die im Vorjahr in Bremen beantragte Satzungsänderung zum Ausschluss bei KZVHauptamtlichkeit wurde von den Delegierten abgelehnt.

In seinem Grundsatzreferat zum Konzept des Freien Verbandes gab Bundesvorsitzender Dr. Wilfried Beckmann eine im Plenum unwidersprochene, zum Teil äußerst sarkastisch formulierte Analyse der aktuellen Lage im deutschen Gesundheitswesen: Das Dilemma der Regierung, die Wirtschaft zu beleben, führe zu Gesetzen wie der Entlastung der Arbeitgeber beim Zahnersatz oder aber zu herben Einschnitten wie bei Hartz IV. Inzwischen, so Beckmann mit deutlicher Kritik Richtung parlamentarischer Opposition, werde dieses rot-grüne Dilemma gleichzeitig zur Krise der Union. Sie halte schon als Opposition ihre Versprechen an die Bürger nicht ein.

Von den Zahnärzten lernen

Beckmann forderte die Politiker auf, von Deutschlands Zahnärzten zu lernen: „Unser fachliches Konzept ist es, umfassend und objektiv zu befunden, eine klare Diagnose zu stellen und auf dieser Basis einen Gesamtbehandlungsplan mit Erhaltungskonzept zu erstellen. Die Realisierung dieser Planung – und das sagen wir unseren Patienten gleich zu Beginn – erfordert Zeit, Geld und tut manchmal richtig weh.“ „Erst wenn die Politik bereit ist, diesen harten aber ehrlichen Weg mit den Bürgern zu gehen und vom Wahlpopulismus abzulassen, wird es mit diesem Land wieder aufwärts gehen“, mahnte Beckmann. Deshalb sei die gegenwärtige Diskussion Bürgerversicherung versus Gesundheitsprämie Unfug. Der Vorsitzende forderte ein „Gesamtkonzept, das auf der Basis eines Wertesystems deutlich macht, wie Steuer- und Sozialgesetzgebung synergistisch verbunden werden müssen“. Beckmann: „Deutschland wartet – hoffentlich nicht auf Godot.“

Mit Blick auf die aktuelle Gesetzeslage resümierte der Bundesvorsitzende: „In der Auseinandersetzung geht es längst nicht mehr darum, dem Patienten eine fachgerechte Versorgung zukommen zu lassen. Es geht um die Machtfrage und um den Systemer- halt. Knallhart und ohne Kompromisse.“ Hart ging Beckmann auch mit denjenigen Freiverbändlern ins Gericht, die nach In-Kraft-Treten der Hauptamtlichkeit von Vorstandstätigkeiten weiterhin ihre Arbeit als Interessensvertreter in den KZVen und der KZBV leisten wollen: „Die neuen Vertreterversammlungen sind weitgehend gewählt. Sie werden nach dem Willen des Gesetzgebers keine politische Interessensvertretung der Zahnärzte mehr sein.“

Großen Respekt zollte der Bundesvorsitzende hingegen seinen niedersächsischen und bayerischen Kollegen Dr. Schirbort und Dr. Löffler, die mit „viel persönlichem Engagement für Ausstiegsszenarien aus der GKV werben“.

Beckmann forderte dazu auf, sich „die Schwächen der GKV zunutze“ zu machen und verglich die gegenwärtige Lage des deutschen Gesundheitswesens mit der des ehemaligen DDR-Sozialismus: „GKV heißt Einheitsleistung, Einheitskasse. Es haben schon einmal Millionen signalisiert, dass sie das genau nicht wollen.“ Seine Aufforderung an die Freiverbändler: „Wir müssen endlich die Patienten aus dem System herausführen, dann machen wir uns schrittweise vom System unabhängig.“

Nicht die alten Ziele des Verbandes zur Freiberuflichkeit seien, so Beckmann, inzwischen hinfällig. Eher müsse der alte Weg des Verbandes, über die Arbeit in den Körperschaften, insbesondere der KZV, seine Ziele realisieren zu wollen, unter den gegenwärtigen Voraussetzungen als nicht realistisch bezeichnet werden. Der Bundesvorsitzende erhoffte sich, so eine seiner zentralen Forderungen, „ein klares Bekenntnis zu den Zielen unseres Verbandes“.

Gleichzeitig forderte er – mit Blick auf die zahnärztlichen Vertreter in den Körperschaften dazu auf, die gemeinsamen „Schnittmengen neu zu beschreiben“. Beckmann wollte eine neue Verteilung der Aufgaben: „Der Verband handelt selbst in eigener Verantwortung für die Freiberuflichkeit seiner Mitglieder. Die KZVen, insbesondere die KZBV, vertreten die vertragspolitischen Interessen gegenüber gesetzlichen Krankenkassen und Politik. Die Kammern, insbesondere die BZÄK, sind aufgerufen, so liberal wie möglich einen Rahmen für eine allein fachlich und nicht fiskalisch orientierte Zahnmedizin offen zu halten.“

Weit drastischer bezeichnete Niedersachsens KZV-Vorsitzender Dr. Karl Horst Schirbort die Situation der Körperschaften: „Wir haben in den letzten 40 Jahren an einem Galgen mitgezimmert, zu dem wir jetzt auch den Strick liefern sollen“, und resümierte: „Wer da mitmacht, der kann bei uns kein Zuhause mehr haben.“

Eine eher pragmatische Einschätzung setzte der amtierende Vorsitzende der KZBV, Dr. Jürgen Fedderwitz, dem Ansinnen eines Ausschlusses der künftigen Hauptamtlichen entgegen: „Wenn es diese Einschätzungen gibt, muss man eigentlich eher alle Posten besetzen, damit man diese Organisation kontrolliert.“ Mit Blick auf die Ereignisse in Bayern verwies Fedderwitz auf die Mehrheit, die sich in diesem Bundesland offensichtlich gegen den Austritt aus der GKV ausgesprochen habe. Zu bedauern sei, dass durch die bayerische und niedersächsische „Kamikaze-Haltung“ auf der KZBV-VV in Neuss und ihre Verweigerung der neuen Satzung, das von der KZBV im Satzungsentwurf eingebrachte gewichtete Stimmenverhältnis nicht zustande kam, vielmehr von der Aufsichtsbehörde kassiert wurde.

Jetzt gebe es – ganz gegen die ursprüngliche Intention eines auf Zahnärztezahlen bezogenen Größenabgleichs der einzelnen KZV-Bereiche – wegen der mittels des Neusser Boykotts bewusst herbeigeholten Ersatzvornahme der Aufsichtsbehörde nur noch eine einfache Gewichtung. Der nach eigenem Bekunden nach wie vor überzeugte Freiverbandler Fedderwitz warnte vor weiteren törichten Fehlentscheidungen des Verbandes, mahnte erneut zur Rationalität und äußerte die Befürchtung, „dass der FVDZ in vielen Ländern seine dominierende, wenn nicht sogar überhaupt seine politische Rolle verlieren wird“.

Der amtierende KZBV-Vorsitzende appellierte, „in Sachen Ausschluss der künftigen Hauptamtlichen nicht nachzuhaken, sondern festzustellen, dass Bremen der falsche Weg war“. Die Reminiszenzen an Bremen seien „keine Erleuchtungen, sondern Irrlichter“.

Ein entsprechender Antrag der Freiverbändler Dr. Buchholz, Dr. Fedderwitz, Dr. Gorski, ZA Hoffmann, ZA Krenkel und Dr. Utech, die entsprechenden Satzungsänderungsanträge zurückzuziehen, wurde nur knapp abgewiesen (bei 81 Nein-, 76 Ja-Stimmen und drei Enthaltungen).

Austrittswelle befürchtet

Fedderwitz’ Aufforderung an die Delegierten stützte auch KZBV-Vorstandsmitglied Dr. Wolfgang Eßer. Für ihn, so bekundete der Nordrheiner Delegierte unter beachtlichem Applaus der Versammlung, sei die Beibehaltung des Dialogs Teil des demokratischen Umgangs im Verband. Eßer warnte ausdrücklich davor, in dieser Sache Andersdenkende Freiberufler „rauszuschmeißen“: „Wenn Ihr das tut, verkommt ihr zum autistischen Verband.“

Auch der KZV-Vorsitzende Westfalen-Lippes, Dr. Dietmar Gorski, warnte vor nicht abwägbaren Konsequenzen durch Mitglieder, die sich vielleicht künftig als Vertragszahnärzte nicht mehr durch den Freien Verband vertreten fühlten: „Wer sich von der Basis löst, wird mit Austritten zu rechnen haben.“

Eine regelrechte Austrittswelle mit der Gefahr, dass der FVDZ sich zu einem „Bonsai- Verband“ entwickelt, befürchtete auch Nordrheins KZV-Vorsitzender Ralf Wagner. Im Laufe der Debatte zeichnete sich mehr und mehr ab, dass sich – wie bereits ein Jahr zuvor in Bremen und auf der KZBV-VV in Neuss – angesichts der knappen Abstimmungsverhältnisse keine Zwei-Drittel- Mehrheit für einen Auschluss der Hauptamtlichen KZVler finden würde.

Nach Ablehnung des vom Bundesvorstand eingebrachten Ausschluss-Antrages appellierte der Vorsitzende Beckmann an alle künftigen Hauptamtlichen, ihre Ämter im Freien Verband für die Zeit ihrer KZV-Arbeit freiwillig zur Verfügung zu stellen. Beckmann mahnte die Delegierten, damit diese über zwei Jahre geführte Diskussion abzuschließen und diese nicht auf der Hauptversammlung zum 50-jährigen Jubiläum des Verbandes im nächsten Jahr in Wiesbaden erneut aufzunehmen.

Jenseits dieser die Ulmer Hauptversammlung weitgehend bestimmenden Grundsatzdebatte konnte der Bundesvorstand die von ihm eingebrachten Anträge zur Verfolgung der politischen Grundsätze erfolgreich durchbringen, darunter die Privatisierung der GKV und Einführung einer Pflicht zur Versicherung in Kernbereichen, die Wahrung der Freiberuflichkeit als zentralem Ziel des Verbandes, der Einsatz für eine freie Patienten-Zahnarztbeziehung, das Ziel weitgehender Liberalisierung gesetzlicher Rahmenbedingungen und Berufsordnungen sowie die Forderung nach Abschaffung der Gebührenordnung. Einstimmig angenommen wurde, dass die Hauptversammlung den individuellen Ausstieg von Fachzahnärzten der Kieferorthopädie aus der GKV begrüßt und unterstützt.

Klare Abgrenzung gewünscht

Divers diskutiert wurden auch verschiedene Resolutionen und Anträge zur künftigen Ausrichtung des Freien Verbandes gegenüber KZVen und Kammern. Angenommen wurde letztlich der auf Vorschlag von Versammlungsleiter Dr. Gunther Lichtblau als „weitergehend“ definierte Antrag des Bundesvorstandes „Zusammenarbeit zahnärztlicher Organisationen“, der eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten und Aufgaben von Verband, Kammern und KZVen, aber auch künftig „Informationsabgleich“ und „Koordination“ zulässt.

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