EU-Binnenmarkt

Solvit - ein Netzwerk hilft grenzenloser Freiheit auf die Sprünge

Ein deutscher Zahnarzt, der seinen beruflichen Horizont in einem anderen Land der Europäischen Union (EU) erweitern will und dabei auf ungeahnte Hindernisse stößt, sollte nicht gleich die Flinte ins Korn werfen oder umgehend vor Gericht ziehen. Für solche Fälle hat die EU-Kommission nämlich eigens Solvit eingerichtet, ein Netzwerk, das sich kostenfrei und unbürokratisch darum bemüht, die Binnenmarktregeln im Interesse der Bürger der EU umzusetzen – und das offensichtlich mit großem Erfolg.

Eine Niederlassung als Kieferorthopäde in Deutschland war eigentlich nicht unbedingt das gewesen, was Martin Nissen (Name von der Redaktion geändert) nach Beendigung seiner Weiterbildung so vorschwebte. Ihn zog es vielmehr ins Ausland. Großbritannien war das Ziel seiner Träume. Und so beantragte der junge Zahnarzt eine Anerkennung seiner Berufsqualifikation im Vereinigten Königreich. Da seine Aus- und Weiterbildung zum Kieferorthopäden den Vorschriften der zuständigen britischen Behörde, dem Department of Health (DOH), entsprachen, war die Zulassung als Zahnarzt in GB zunächst eine Routinesache. Die Probleme begannen erst, als Nissen sich um eine Anstellung als Kieferorthopäde im Rahmen des National Health Service (NHS) bemühte. Sein potenzieller Arbeitgeber verlangte nämlich einen erneuten Sprachtest, dessen erfolgreiches Bestehen die Voraussetzung dafür sein sollte, dass Nissen Leistungen gegenüber dem NHS abrechnen darf. Der junge Zahnarzt verfehlte die erforderliche Punktzahl nur knapp. Und obwohl er denselben Test nur wenige Monate zuvor erfolgreich bestanden hatte, bekam er keine Anstellung.

War das das Aus vom Traum von einer beruflichen Karriere in Großbritannien? Nein! Denn der Nachweis der sprachlichen Fähigkeiten durch den zusätzlichen Sprachtest stellt eine unverhältnismäßige Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb des europäischen Binnenmarktes dar.

Zentrale Datenbank

Diese Auffassung jedenfalls vertritt Solvit, eine Anlaufstelle, die sich darum bemüht, Fälle wie den von Nissen, bei denen es mit der Anwendung der Binnenmarktrechte innerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU) hakt, schnell und unbürokratisch zu lösen. Rund 400 solcher Beispiele haben seit Gründung des Netzwerks vor etwas mehr als zwei Jahren Eingang in die Datenbank von Solvit gefunden. Ungefähr 25 kommen jeden Monat neu hinzu.

Geboren wurde die Idee zur Einrichtung der Stelle in der Generaldirektion Binnenmarkt (GDB) bei der EU-Kommission in Brüssel. Da die Beamten der GDB immer wieder mal Kenntnis davon bekamen, dass es in den Mitgliedsländern der EU vor allem Probleme bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen, bei der Marktzulassung von Produkten, bei der Einkommensbesteuerung oder bei der Anwendung der Sozialrechte gab, regten sie an, eine Art Schiedsgericht zu gründen, um in solchen Fällen zügig Abhilfe zu schaffen.

Die Idee stieß bei den EU-Staaten sowie in Norwegen, Island und Liechtenstein auf offene Ohren. „Wir wollen den Bürgern der EU beweisen, dass das freie und gleiche Europa auch tatsächlich existiert und ihnen dabei auf informellem Wege helfen, behördliche Hürden zu nehmen”, erklärt Sebastian Bohrvon der GDB die Philosophie von Solvit. Außerdem sollte das Prinzip der Subsidiarität gewahrt werden und die Verantwortung für die Problemlösungen bei den einzelnen Ländern verbleiben. In allen EU-Ländern – einschließlich der zehn neuen Mitglieder – sowie den drei EFTA-Staaten wurden daher nationale Solvit-Stellen eingerichtet, an die sich betroffene Bürger, Organisationen, Institutionen, Körperschaften oder Kammern wenden können. Die Mitarbeiter sind zumeist Angestellte eines Ministeriums, wie im Fall Deutschlands des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit in Berlin.

Mit Rat und Tat

Beamte der GDB in Brüssel wiederum verwalten die zentrale Datenbank, in der alle Fälle fortlaufend dokumentiert werden und über die die einzelnen Solvit-Stellen miteinander kommunizieren. Darüber hinaus steht die EU-Kommission den nationalen Zentren mit Rat und Tat zur Seite und prüft zum Beispiel auch, ob eine vorgeschlagene Problemlösung EU-rechtskonform ist.

„Da die Zentren versuchen, auf informellem Wege zu helfen, macht es allerdings wenig Sinn, sich an Solvit zu wenden, wenn bereits ein Rechtsverfahren läuft”, gibt Bohr zu bedenken. Auch sei zu berücksichtigen, dass vom Netzwerk behandelte Beschwerden keine Auswirkung auf Fristen bei nationalen Behörden haben.

Für die Betroffenen ist der Service grundsätzlich kostenfrei. Zu den Spielregeln des Netzwerks gehört es zudem, möglichst innerhalb einer vorgegebenen Frist von zehn Wochen eine Lösung des Problems herbeizuführen. „In der Mehrzahl der Fälle gelingt uns dies auch”, berichtet Bohr. Mit Stolz erfüllt ihn zudem, dass die Erfolgsquote von Solvit bei 75 Prozent liegt.

Auch im Fall Nissen bestehen gute Aussichten, dass er doch noch eine Anstellung in Großbritannien bekommt. Die Solvit-Mitarbeiter aus Großbritannien haben nach Rücksprache mit dem DOH zur Lösung seines Problems vorgeschlagen, eine erneute Zulassung für den öffentlichen Gesundheitsdienst zu beantragen.

Sollte Nissen mit der vorgeschlagenen Lösung nicht einverstanden sein, steht es ihm jedoch grundsätzlich frei, noch ein nationales Gericht anzurufen oder Beschwerde bei der EU-Kommission einzureichen.

Petra Spielberg98, rue Colonel Van GeleB-1040 Brüssel

Weitere Informationen im Internet unter:http://www.europa.eu.int/solvit oder bei dernationalen Solvit-Stelle im Bundesministeriumfür Wirtschaft und Arbeit in Berlin,Scharnhorststraße 34-37, 10115 Berlin,Tel: 1888 615 64 44, Fax: 1888 615 53 79,E-Mail: solvit@bmwa.bund.de

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