11. Strategie-Workshop / Dresdener Forum

Reformbedarf nach der Reform

Der schlecht kommunizierten, mit handwerklichen Fehlern besetzten und für die derzeitigen Anforderungen nicht ausreichende Gesundheitsreform werden weitere mutige Reformschritte folgen müssen. Auf diesem Konsens basierend diskutierten Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Krankenkassen und Zahnärzteschaft am 22./23. April auf dem 11. Strategie-Workshop der KZVen Tübingen und Sachsen weitere Schritte zur langfristigen Stabilisierung des deutschen Gesundheitswesens.

Die Gesundheitsreform wirft weitere Schatten: Auch das etablierte Tübinger Forum gerät in den Sog des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG): Das 11. Forum – bisher traditionell in der Hand der KZV Tübingen – fand in Partnerschaft mit der KZV Sachsen erstmalig in Dresden statt. Dr. Ute Maier, KZBV-Vorstandsmitglied und Vorsitzende der KZV Tübingen – ihre KZV geht künftig wegen GMG-Bestimmungen in die KZV-Baden-Württemberg auf – koppelt mit der Übergabe des Gastgeberrechtes die Hoffnung, dass die Aussprache-Veranstaltung zwischen Krankenkassen, Wissenschaft, Politik und Zahnärzteschaft ab übernächstem Jahr in Sachsen eine neue Heimat erhält. Sachsens KZVVorsitzender Dr. Dieter Natusch forderte in seiner Begrüßung an die Teilnehmer „mehr Liberalität für die Zahnärzte“. Weitere Deregulierung sei dringlicher Bestandteil weiterer Reformen nach dem seit Jahresanfang geltenden GMG.

Der Ministerin ist es Ernst

Deutschlands fiskalische Probleme bedingen, so der Forumsleiter und Vorsitzende des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen Prof. Dr. Eberhard Wille in seinem einleitenden Vortrag, „mittelfristig eine neue Reform“, auch wenn derzeit die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durch die Sozialabgaben nicht gefährdet sei. Dennoch sei zu erwarten, dass die Finanzierungsbasis der GKV weiter wegbreche – unabhängig von der Frage, ob es eine einkommensabhängige Bürgerversicherung geben werde oder nicht. Da bereits jeder zehnte Deutsche dem Gesundheitswesen seinen Arbeitsplatz verdanke, sei der Zielkonflikt zwischen dem Finanzierungsproblem und dem Wachstumsmarkt Gesundheitswesen von entsprechender Bedeutung.

Franz Knieps, Leiter der Abteilung 2 des Bundesgesundheitsministeriums, forderte zur Umsetzung der GMG-Normen auf: „Meine Ministerin ist es sehr ernst, deshalb nehmen auch Sie die Gesetze sehr ernst,“ appellierte der BMGS-Vertreter an die Selbstverwaltungen. Als „mehr als erfreulich“ bezeichnete Knieps die „sehr konstruktive Arbeit an der Umsetzung der Festzuschüsse für Zahnersatz. Das Ministerium beabsichtige nicht, in die Festzuschuss-Systematik einzugreifen, versprach der BMGSAbteilungsleiter.

Prof. Dr. jur. Günther Schneider, Vorsitzender Richter am Sächsischen Landessozialgericht Chemnitz, sieht auch künftig einen „permanenten Konsolidierungsbedarf“: „Kein Jurist, kein Politiker kann die Entwicklung wegreformieren.“ Das GMG markiere nach den vielen Kostendämpfungsgesetzen eine neue Wegmarke in der Rechtsentwicklung. Zwar setze die Verfassung dem Änderungsbedarf Grenzen, dennoch seien Neuerungen der jüngsten Reform wie beispielsweise die Kostenerstattung systemgerecht und ordnungspolitisch geboten.“ Aus rein konzeptioneller Sicht sei die Sachleistung „eigentlich ein Gegner der Wirtschaftlichkeit“. Das sei allerdings, so Schneider, „ausschließlich Sache der Politik“.

Dr. Eckart Fiedler, Vorstandsvorsitzender der Barmer Ersatzkasse, erinnerte in seinem Statement daran, dass das GMG das Thema Finanzierung bewusst ausgegrenzt habe. Fiedler betonte aber auch, dass ohne das GMG „Anfang dieses Jahres eine Steigerung des Beitragssatzes auf 15 Prozent“ erfolgt wäre. Dennoch: Eine Beitragssatzsenkung in der GKV könne das Lohnnebenkosten- Problem in Deutschland nicht lösen, auch wenn die Kostendämpfungspolitik die Arbeitgeber partizipieren lasse. In der Diskussion um die mittel- bis langfristig erforderlichen Schritte plädierte der BEK-Chef für die Bürgerversicherung. Sie sei gerechter als die von der CDU vorgeschlagene Kopfprämie und bringe „mehr Geld ins System“.

Ganz anders denkt PKV-Verbandsdirektor Dr. Volker Leienbach. Selbst unter Einbeziehung anderer Einkommensarten erbringe die Bürgerversicherung maximal acht Milliarden Euro mehr. Leienbach: „Will man dafür die GKV zum Finanzamt machen?“ Als nachhaltiger Schritt zur Bewältigung des Demografie-Problems leiste die Bürgerversicherung keinen geeigneten Beitrag. Leienbach propagierte eine mutige Weiterentwicklung des Status Quo. Dabei sei es nicht sinnvoll, mehr Menschen in ein System zu ziehen, das erkennbare Mängel habe. In Sachen Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit biete die PKV mehr als das Sachleistungssystem.

Das System ist mutlos

Die „Reform als Prozess“ beschrieb der amtierende Vorsitzende der KZBV, Dr. Jürgen Fedderwitz, in seinem Vortrag. Die jüngste Reform bestätige die „Mutlosigkeit des Systems“. Das gelte insbesondere für die zahnärztlich relevanten Lösungen für Zahnersatz, Festzuschüsse, Kostenerstattung, aber auch für die Parodontologie: „Man hat es wohl ganz bewusst darauf angelegt, das Gesetz zu erschweren.“ Gerade in der Kostenerstattung sei die Ausweitung auf den gesamten ambulanten Bereich hinderlich, „für weite Teile der Gesellschaft so nicht mehr attraktiv“. Die Selbststeuerung des Patienten werde sich künftig in bestimmten Vertragsformen der gesetzlichen wie auch der privaten Krankenversicherungen wiederfinden. Hier sei die zahnmedizinische Versorgung bereits recht weit: „Der Eigenanteil der Patienten am Zahnersatz ist anerkannt, der gesellschaftliche Grundkonsens ist hier hergestellt.“ Das Resümee des KZBVVorsitzenden: „Die Reform liegt eigentlich noch vor uns.“

Das größte Manko des GMG, so Sachsens Sozialministerin Helma Orosz, sei, dass die „neuen Wege schlecht kommuniziert wurden“. Mit Blick auf weitere Schritte forderte Orosz eine „echte Umstrukturierung“ des Gesundheitswesens: „Sparen und Leistungen einschränken hilft nicht.“ Anders die Einschätzung von Dr. Erika Ober, Gynäkologin und SPD-MdB. Sie forderte, „dem Gesetz ein wenig Zeit zu lassen“. Das von den Skeptikern in Aussicht gestellte Chaos sei ausgeblieben, der Bundesausschuss habe nach anfänglichen Problemen inzwischen „alles definiert“. Gleichwohl sei das GMG kein Gesetz, das den großen Durchbruch bringt. Hier liege weiterer Reformbedarf. Mit Blick auf die EU-Ebene warnte die SPDAbgeordnete vor zu großen Hoffnungen: „Auf europäischer Ebene ist eine gemeinsame soziale Regelung auf Grund der Unterschiedlichen Lebensverhältnisse in weiter Ferne.“

CDU-MdB Andreas Storm brandmarkte das kürzlich vom BMGS herausgegebene Schwarzbuch als „unsägliche Diskreditierung“ der Heilberufe und bisherigen „Tiefpunkt in der Gesundheitspolitik“: „Bei wechselseitiger Behandlung dieser Art sind so keine Kompromisse zu erzielen.“ Sein Blick nach Vorn: Die rechtzeitige Umsetzung der Festzuschüsse für Zahnersatz sei für die christlichen Parteien Prüfmaßstab. Im Spätsommer würden diese Parteien Detailfragen zur Änderung der Reform klären. Hier sei gerade die Zahnmedizin „der Bereich, der weiter zur Diskussion der Entwicklung steht“. Storms Befürchtung zum GMG: „Auf der Einnahmenseite kann die Entwicklung so bleiben, dass die Beitragssatzsenkung unmöglich wird.“ Ansatz für die nächste Reform sei deshalb die Stabilisierung der Einnahmenseite. Erfolgversprechende Maxime sei dabei die Trennung von den Arbeitskosten und deren Umverteilung auf die Versicherten. Storm bekräftigte die Präferenz für das Prämienmodell, warnte aber auch vor einer grundsätzlich ablehnenden Haltung der Heilberufler gegenüber weiteren Reformschritten: „Wenn wir alles, was Politiker sich ausgedacht haben, als Schwachsinn abtun, dann kommen wir auch im Vorhaben der großen Reform nicht weiter.“

Sachsen stellvertretender AOK-Vorsitzender Hans Günter Verhees erwartet angesichts der kontroversen Diskussion um Bürgerversicherung oder Prämienmodell eine Mischlösung der beiden Modelle.

Nur Zahnersatz reicht nicht

BZÄK-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp bekräftigte die Aufnahme der diagnoseorientierten Festzuschüsse als Schritt in die richtige Richtung. Allerdings habe die Zahnärzteschaft ihren Vorschlag nicht nur auf den Zahnersatz bezogen. Aber auch im jetzt verabschiedeten Teilbereich Zahnersatz sei es mühsam, „das, was wir uns vorgestellt hatten, auch umzusetzen“: „Wir treffen auf Restriktionen, die das sehr schwierig machen.“ Der Mitteleinsatz im Gesundheitswesen könne „am ehesten durch diejenigen gebremst werden, die die Leistungen auch in Anspruch nehmen,“ bekräftigte Weitkamp seine Forderung nach mehr Eigenverantwortlichkeit der Patienten und notwendiger Transparenz des Systems.

Auch KZBV-Vorstandsmitglied Dr. Holger Weißig konstatierte, dass das GMG „in vielen Bestimmungen für uns Zahnärzte“ ausgefallen sei. Dennoch plazierte er deutliche Kritik: Das GMG bringe – insbesondere in den avisierten Satzungsänderungen der zahnärztlichen Selbstverwaltung – mehr staatlichen Einfluss und deutlich mehr Bürokratisierungselemente. Deren Professionalisierung sei kein Ansatz in die richtige Richtung. Grundsätzlich brauche man sich nicht zu wundern, so Weissig mit Blick auf die Politiker, dass man, „wenn man vorher nicht gehört wurde, nachher sich kritisch äußert und nicht eins zu eins umsetzt.“ Den Ansatz der befundorientierten Festzuschüsse werde die Zahnärzteschaft – trotz schlechter Vorgaben – im Gesetz entsprechend umsetzen. Weißigs mahnte aber grundsätzlich: „Wenn ich nach dem Gesetz alles so haben will wie bisher, ist es schade um die Arbeit. Dann braucht es kein neues Gesetz.“

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