Gastkommentar

Streiten gehört zur Politik

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In ihrer öffentlichen Auseinandersetzung um das sozialpolitische Programm der CDU/CSU muss die Union darauf achten, dass sie der SPD beim Streiten um Reformen nicht den Rang abläuft.

Walter Kannengießer
Sozialpolitik-Journalist

Die Union versucht, ihren sozialpolitischen Kurs zu bestimmen. Sie nimmt sich viel Zeit dafür. Das verleitet zum öffentlichen Streiten. Daran dürfte sich so bald nichts ändern, denn mit der Kursbestimmung ist auch die Klärung der Führungsfrage in der Union verbunden. Frau Merkel hat sich in der CDU klar durchgesetzt, aber Stoiber scheint noch immer vom Kanzleramt zu träumen. Am Ende wird es darum gehen, welchen Preis die CSU bei einem Verzicht Stoibers auf die führende Rolle in der Bundespolitik von der CDU und von Frau Merkel verlangen wird.

Der Streit hat sich um Ostern zugespitzt. So warf ein frustrierter Fraktionsvize Merz der CSU vor, auf die „Reform-Bremse“ zu treten. Die Arbeit in der gemeinsamen Fraktion stoße an ihre Grenzen. Der Chef-Sozialpolitiker der CSU, Seehofer, konterte, dass die Theorien der CDU zur Gesundheitspolitik keinen Sinn machten, wenn das Geld dafür fehle. Das zielte auf das Konzept der Kopfpauschalen, auf das sich die CDU festgelegt hat. Dieses weist eher in die Zukunft als die traditionellen Positionen der CSU. Die Bayern gehen allerdings die Reform des Arbeitsrechts mutiger an als die CDU. Bei der Reform der Alterssicherung spielt die CSU dagegen auf Zeit und profiliert sich als Gralshüter des Sozialen.

Für die Kinder wollen beide Parteien Zusätzliches tun: Die CSU will, dass Eltern weniger und Kinderlose mehr Beitrag zahlen, die CDU setzt sich für einen aus Steuermitteln finanzierten Kinderbonus ein.

Der Katalog der kontroversen Positionen ließe sich verlängern. Die CDU will das Soziale mehr über Steuern finanzieren, während die CSU darauf drängt, dass die finanziellen Probleme möglichst innerhalb der Sozialsysteme durch zusätzliche Beitragsmittel und die Ausweitung der versicherten Personenkreise gelöst werden. Am Ende wird es kein „Entweder - oder“ geben.

Wähler mögen keinen Streit. Die Union muss darauf achten, dass sie beim Streiten über die Reformen der SPD nicht den Rang abläuft. Frau Merkel will 2006 die Wahlen gewinnen und regieren. Der Weg dahin ist steinig und lang. Er wird nur zu bewältigen sein, wenn die Union den Bürgern nicht nur die Richtung ihrer Politik weist, sondern auch überzeugendere Konzepte als Rot/Grün anbietet.

Die lassen sich nicht aus dem Ärmel schütteln. Der Klärungsprozess kostet Zeit. Allen Entscheidungen geht politischer Streit voraus. Die CSU bremst. Aber einige ihrer kritischen Fragen harren der Antwort. Wie soll die soziale Komponente des Systems der Kopfpauschalen finanziert werden? Über Steuern oder über Beiträge? Eine Steuerfinanzierung hätte Konsequenzen für die angestrebte Steuerreform. Merz wäre bereit, bei weitreichenden Reformen zu deren Finanzierung auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in Kauf zu nehmen. Ökonomisch käme es vor allem darauf an, den Beitrag vom Arbeitsverhältnis zu trennen. Die CDU will das.

Trotz des Schlagabtauschs bewegen sich die beiden Parteien bei dem Thema Gesundheitspolitik vorsichtig aufeinander zu. Ein neuer Vorschlag der Professoren Rürup und Wille könnte diesen Prozess beschleunigen. Danach wird die Kopfpauschale niedriger angesetzt, der Solidarausgleich nicht über Steuern sondern über einen relativ niedrigen einkommensbezogenen Beitrag finanziert, der Arbeitgeberbeitrag den Löhnen zugeschlagen und bei den Arbeitnehmern versteuert, um daraus die Versicherung der Kinder zu bezahlen.

Das Konzept sieht auf den ersten Blick verlockend aus; von der Union kommen positive Reaktionen. Doch Vorsicht: Schon ist von gestaffelten Beitragssätzen und der Belastung aller Einkommen die Rede. Das könnte nicht nur zu progressiven Beiträgen, sondern auf weitere Sicht auch zu einer Bürgerversicherung mit Kopfpauschalen führen.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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