Leitartikel

Toll Collect hoch Zwei?\r

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Es klappt aber auch gar nichts mehr! Auch nicht die Zusammenarbeit verschiedener Ministerien. Dabei hätten doch Frau Schmidt und Herr Stolpe einem technologischen Jahrhundert-Projekt noch das geniale I-Tüpfelchen aufsetzen können: die Verquickung von Toll Collect und e-Health. Maut und Praxisgebühr für freie Fahrt und freie Arztwahl! Wo steht mein LKW und in welcher Praxis sitzt die Oma? Lieferschein gleich(t) Krankenschein. Tolle Möglichkeit, tolle Perspektiven, tolle Idee? Mitnichten. Doch die Parallelitäten sind schon frappierend.

Das Großprojekt „elektronische Gesundheitskarte“: Es soll nachhaltig Kosten sparen und den Alltag im Sachleistungssystem verbessern. Die neue E-Karte soll neben den auf jetziger GKV-Karte gespeicherten administrativen Daten das elektronische Rezept, die EU-Berechtigung und möglicherweise Notfalldaten, Arzt-Briefe, Arzneimitteldokumentationen, elektronische Patientenakte wie auch Patientenquittungen satteln. Ein elektronischer Tausendsassa, den die vom Bundesgesundheitsministerium involvierten EDV- und Kommunikationsberater anpreisen wie warme Semmeln. Kein Wunder: Geld winkt. Dabei verursacht diese von den Großkonzernen und der Bundesregierung gefeierte „Chip chip-Hurra“-Karte in Millionen- Auflage Milliarden an Kosten.

Für den zahnärztlichen Bereich und seine Patienten gibt es keinen Grund für diese überzogene Kaufrausch-Euphorie. Wir brauchen die E-Karte nicht. Für unsere und die ärztlichen Praxen weist das Kosten-Nutzen- Verhältnis dieses europaweiten Vorzeige- Projektes eine drastische Schieflage auf. Nach prospektiven Berechnungen schafft das neue System uns einen Nutzenanteil von etwa einem Prozent, fordert uns aber einen Betriebskostenanteil von rund 60 Prozent ab.

Das mag bei Ärzten und Apothekern mit entsprechend hohem Rezept-Transfer anders aussehen, wird aber auch für diese in Wirklichkeit den Kohl nicht fett machen. Lassen wir die Katze, bevor wir sie kaufen, besser aus dem Sack: Eigentliche Nutznießer sind die Krankenkassen. Sie sparen Kosten, sie bauen auf den Zugang Servergestützter Daten zum Aufdröseln ganzer Kranken- und auch Praxengeschichten. Daten- Nutz konterkarriert Daten-Schutz.

Bezahlen sollen wir – wie bei der Einführung der alten GKV-Krankenversichertenkarte. Neue Lesegeräte, neue Software, je nach dem neue Computersysteme, ganz zu schweigen von dem für diese Systematik erforderlichen bürokratischen Apparat – alles das geht, so die Vorstellungen der Bundes- regierung, mit auf unser Soll. Das mögliche Haben erscheint in den Bilanzen der Krankenkassen.

Die an den Planungsszenarien beteiligten Heilberufsgruppen sind sich einig, dass die Kosten für das bisher größte EDV-Projekt des deutschen Gesundheitswesens dort aufschlagen sollen, wo auch der maßgebliche Nutzen erzielt wird: bei den Krankenkassen.

Der Zeitplan für das neue System ist, so die einhellige Kritik aller Fachleute jenseits der Bundesregierung und ihrer industriellen Know-how-Geber, alles andere als realistisch. Selbst aus Kreisen der immens an der Einführung interessierten Krankenkassen wird der Einführungstermin inzwischen gut eineinhalb Jahre später angesiedelt.

Doch um nicht dem Maut-Gau den e-Health-Super-Gau folgen zu lassen, beharrt die Regierung auf eine beschleunigte, wenn auch schon abgespeckte Umsetzung zum 1. Januar 2006. Nach dem Maut-Weh jetzt der Chip-Wahn – nach Toll Collect jetzt Toll Collect Zwei, besser noch hoch Zwei.

Stellt sich die Frage, ob wir ein weiteres Groschengrab – neudeutsch besser „Cent- Cemetery“ – wirklich noch verkraften können.

Das deutsche Gesundheitswesen braucht jedenfalls weit mehr als die Idee, einfach alles auf eine Karte zu setzen.

Mit kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzAmtierender Vorsitzender der KZBV

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