Wissenswertes für die Kinderbehandlung

Schmerzausschaltung bei Kindern und Jugendlichen

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Kinder haben eine andere Physiologie. Das drückt sich in der Tatsache aus, dass in gewissen Bereichen vom Erwachsenen differierende Rezeptoren, ein etwas veränderter Stoffwechsel sowie eine andere Clearence für die so genannten „kindlichen“ Verhältnisse sorgen. Dieses Phänomen ist bei der Schmerzausschaltung in der Zahnarztpraxis von großer Bedeutung. Hier eine Übersicht.

Schmerzphysiologie

Eine konsequente Schmerzausschaltung bei allen schmerzhaften Manipulationen ist eine grundlegende Voraussetzung in der Kinderzahnheilkunde. Zum einen, weil frühe Schmerzerfahrungen ein wichtiger modulierender Faktor für die spätere Schmerzwahrnehmung und -bewältigung sind und zum anderen hierdurch Lernprozesse in Gang kommen, die für die Ausbildung der Neuromatrix wesentlich sind.

Die enge Verknüpfung von zentraler Schmerzwahrnehmung und Stressregulationsmechanismen hat entscheidenden Einfluss auf den Erfolg einer modernen Schmerztherapie. Der Hippocampus als eine der Hirnregionen, die beim Lernen eine entscheidende Funktion übernimmt, sowie die Amygdala als wesentliche Struktur im Bereich des limbischen Systems und wichtig für die emotionale Kodierung von Ereignissen, sind an beiden Funktionen beteiligt.

Effektives Lernen kann nur stattfinden, wenn die Anforderungen an das Kind seinen kognitiven, physischen und psychischen Fähigkeiten angepasst werden. In akuten und chronischen Stresssituationen ist kein Lernen möglich. Dauerhaft hohe Cortisonspiegel führen sogar zu einer Degeneration des Hippocampus.  

Hieraus ergibt sich für den Zahnarzt die Aufgabe, seine Anforderungen an die kleinen Patienten entsprechend ihrem Alter, ihrer Auffassungsgabe und der aktuellen Verfassung zu dosieren und die Kinder nach Möglichkeit vorsichtig an die Gegebenheiten der Behandlungssituation beim Zahnarzt heranzuführen. Auch hierfür ist eine sichere Schmerzausschaltung essentiell notwendig. Die Differenzierung zwischen Angst vor der zahnärztlichen Behandlung, die graduell sehr unterschiedlich sein kann, und einer Phobie sollte möglichst frühzeitig getroffen werden.  

Die früher vorherrschende Auffassung, dass Kinder ein vermindertes Schmerzempfinden haben und daher weniger Anästhetika und Analgetika benötigen, ist völlig tradiert und längst durch wissenschaftliche Untersuchungen widerlegt. Bereits intrauterin (ab der 25. Gestationswoche) findet eine Schmerz- und Stressreaktion statt. Die aufsteigenden Schmerzbahnen leiten die sensorischen Reize bis zum somatosensorischen Cortex, verzögert erfolgt jedoch die Ausbildung der absteigenden, Schmerz hemmenden Bahnen. Dies entspricht keineswegs mehr dem Schmerzverständnis von René Descartes, der 1644 eine aufsteigende Schmerzbahn postulierte, die entsprechend dem peripher ausgelösten Reiz eine zentrale Erregung im Bereich der Zirbeldrüse beschrieb. Eine aszendierende und deszendierende Hemmung sowie die Unterteilung in mediales und laterales Schmerzsystem wurde erstmals 1965 als gate control Theorie von Melzack und Wall beschrieben und inzwischen noch weiter spezifiziert. 

Die aktuelle Definition von Schmerz beschreibt sowohl die nozizeptiven als auch emotionalen Anteile und setzt nicht mehr zwingend eine aktuelle Traumatisierung voraus. Dies stellt eine wesentliche Erweiterung dar und wird auch den Patienten gerecht, bei denen kein adäquater Lokalbefund zu beobachten ist. Mechanismen der peripheren und zentralen Sensibilisierung als Folge einer ausgeprägten neuronalen Plastizität auf peripherer, spinaler und zentraler Ebene können inzwischen klinisch und per spezieller Bildgebung diagnostiziert werden.

Im Bereich des somatosensorischen Cortex können Veränderungen der Größe des ohnehin schon sehr ausgedehnten rezeptiven Feldes des Mund- und Gesichtsbereiches beobachtet werden. Obwohl diese Plastizität im Laufe des Alterns abnimmt, bleibt sie dennoch zeitlebens erhalten. Diese hohe Adaptationsfähigkeit und die sehr hohe sensible Innervationsdichte des gesamten Kopf-Halsbereiches in Kombination mit der besonderen psychischen Bedeutung dieser Region für den Patienten machen den Schmerz im Gesichtsbereich zu einem zentralen Problem.  

Kinder reagieren per se stärker auf akute Schmerzereignisse als Erwachsene. Dies ist sowohl auf den nicht erkennbaren ursächlichen Zusammenhang des Schmerzes mit dem Ereignis und seine transiente Natur als auch die noch nicht kontrollierbare Angst vor dem Schmerz zurückzuführen. Das Schmerzerleben im Kindesalter ist darüber hinaus noch von verschiedenen Einflussfaktoren abhängig. Dabei spielen sowohl die patientenbezogenen Faktoren, wie körperliche und geistige Reife sowie biografische Ereignisse, als auch kulturelle Faktoren eine wesentliche Rolle, da sie die Möglichkeiten der Schmerzkontrolle stark beeinflussen. Anamnestisch kann dies in der Regel nicht vollständig geklärt werden. Dennoch ist es wichtig, primär mit dem Kind angemessen darüber zu kommunizieren (etwa ab dem dritten Lebensjahr). Ergänzende Angaben der Begleitpersonen sind hilfreich, dürfen aber nur bei sehr kleinen Kindern im Vordergrund stehen.  

Situationsabhängig, insbesondere bei medizinischen und zahnmedizinischen Behandlungen, verstärken hohe Schmerzerwartungen des Kindes und eine Fokussierung auf die negativen Aspekte der Situation das Schmerzerleben. Negative Erfahrungen führen zu einer Vermischung von Angst und Schmerzempfinden und lösen bei nachfolgenden Behandlungen eine größere negative Stressreaktion aus.

Kinder können primär in der aktuellen Schmerzsituation nur auf ihre bereits erlernten Bewältigungsstrategien zurückgreifen. Erst die zunehmende Vertrautheit mit Schmerzen und die dabei gewonnene subjektive Überzeugung diese kontrollieren zu können, führt zu einem Anstieg der Schmerztoleranz.  

Das Verhalten von Eltern und Ärzten steht dabei in einer komplexen Wechselwirkung mit dem Verhalten des Kindes und ist für diese Lernprozesse von entscheidender Bedeutung.  

Die Tatsache, dass die Schmerzausschaltung bei Kindern in der Medizin und Zahnmedizin sehr lange stiefmütterlich behandelt wurde und nur langsam in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses rückte, muss zur Konsequenz haben, alle Bemühungen dahingehend zu bündeln, die Versorgungssituation zu verbessern. Den Zahnärzten, die sich speziell mit dieser Klientel beschäftigen, fällt dabei eine besondere Aufgabe zu, da bei den ersten Kontakten mit der Zahnmedizin in der Regel die Weichen für die weitere Zahnarzt/Patientenbeziehung gestellt werden.

Bedeutung der Lokalanästhesie

Die zahnärztliche Lokalanästhesie nimmt dabei als die regelhafte Methode der Schmerzausschaltung eine zentrale Rolle ein und muss als Goldstandard angesehen werden. Sie muss bestimmte grundlegende Forderungen erfüllen, sowohl hinsichtlich der Sicherheit bei der Auswahl der Medikamente und der Injektion. Um unnötige Begleitverletzungen, die sich die kleinen Patienten in der Regel selbst zufügen, zu vermeiden, ist es wichtig, die zeitliche und räumliche Ausdehnung der Anästhesie auf ein Minimum zu reduzieren.

Aus einer Vielzahl von Variablen kann so die individuelle optimale Lokalanästhesie (differenzierte Lokalanästhesie) zusammengestellt werden. Prinzipiell sollten Zahnarzt und Patient auf der Basis der geplanten Behandlung (Schmerzhaftigkeit, Umfang), der zur Verfügung stehenden Instrumentarien (manuelle, elektronische Spritzensysteme) und möglichen Techniken (oberflächlich, lokale Injektionen, Leitungsanästhesie) die geeignete Lokalanästhetikumlösung auswählen.  

Der Schlüssel, um die wirklichen Bedürfnisse der kleinen Patienten zu erkennen, ist die Kommunikation. Diese muss individuell auf das Kind angepasst sein und darf nicht über es hinweg ausschließlich mit den Begleitpersonen stattfinden. Hierbei sollten altersentsprechende Ausdrücke verwendet und ganz detaillierte Absprachen getroffen werden, wie das Kind sich während der Behandlung bemerkbar machen kann, falls Besonderheiten auftreten oder eine Pause notwendig wird. Zumindest Injektionsschmerz und Betäubung der Weichteile müssen angesprochen werden. Falsche Informationen oder ungünstiges Timing bei Erklärungen und Ablenkungsversuchen wirken sich immer negativ auf die kindliche Schmerzbewältigung aus.

Besonderheiten bei Kindern

Bereits bei den körperlichen Proportionen ergeben sich Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern. Die Relation des Kopfes zum Körper nimmt mit dem Alter ab. Im Bereich der oberen Atemwege ist allein aufgrund der großen Zunge und der engen Nasengänge, sowie den fragilen Schleimhäuten mit einer Behinderung der Atmung durch Schwellung und gegebenenfalls Blutung zu rechnen. Ferner können diese Faktoren die zahnärztliche Behandlung erschweren. Das Kind sollte daher zumindest infektfrei sein.

Aber auch der Flüssigkeitsgehalt ist deutlich höher. Dies sollte aufgrund der notwendigen präoperativen Nüchternheit im Hinblick auf die Terminierung der Behandlung, aber auch bei der Verteilung der applizierten Medikamente berücksichtigt werden. Problematisch ist auch das absolut gesehen geringe Körpergewicht der kleinen Patienten, das eine Berechnung der individuellen Grenzmenge des Lokalanästhetikums notwendig macht, um eine absolute Überdosierung zu vermeiden. Spezielle Grenzdosen sind nicht üblich und notwendig, da der Metabolismus dem der Erwachsenen vergleichbar ist.

Beim instrumentellen Monitoring der kleinen Patienten ist zu beachten, dass zum einen auch entsprechende Messgeräte, wie schmale Blutdruckmanschetten, zur Verfügung stehen, um überhaupt valide Werte zu erhalten, zum anderen entsprechende Normwerttabellen. So nehmen im zeitlichen Verlauf die Herzfrequenz, die Atemfrequenz sowie der Sauerstoffverbrauch des Körpers ab, während sowohl der diastolische als auch der systolische Blutdruck ansteigen.   

Im Rahmen der Lokalanästhesie durch Injektion sollten nur Säureamide verwendet werden. Diese bieten ein höheres Maß an pharmakologischer Sicherheit, vor allem hinsichtlich allergischer und kardiovaskulärer Komplikationen. Da außer Lidocain kein Amid zur Oberflächenanästhesie geeignet ist, können hierfür streng lokalisiert auch Ester eingesetzt werden. Sofern keine absoluten Kontraindikationen vorliegen, ist der Zusatz von Adrenalin sinnvoll. Das dann als Antioxidanz notwendige Natriumdisulfit muss bei der Indikationsstellung berücksichtigt werden. Da in den Mehrfachentnahmeflaschen auch Konservierungsmittel enthalten sind, die ebenfalls zu allergischen Reaktionen führen können, ist Ampullen ganz klar der Vorzug zu geben. 

Aufgrund der guten Durchblutung des Kopf-Halsbereiches mit 25 Prozent des Herz-Zeit-Volumens ist die Resorptionsrate in dieser Region relativ hoch. Erfolgt die Injektion sogar intraligamentär beziehungsweise intraossär, ist sie einer i.v.-Gabe vergleichbar. Lokalanästhetikummoleküle werden intravasal an Plasma-Eiweiße gebunden und sind somit nicht toxisch. Wird die Bindungskapazität überschritten, kann das ungebundene Lokalanästhetikum zu systemischen Effekten an ZNS, Herz und Gefäßen führen (Abb. 1).  

Um die Resorption des Lokalanästhetikums zu verzögern und damit auch die systemischen Plasmaspiegel zu minimieren, werden der Lösung Vasokonstriktoren zugesetzt. Darüber hinaus verbessern sie die Lokalanästhesie, indem sie zu einer Verlängerung der Wirkzeit, Verstärkung der Wirkintensität und einer Reduktion der lokalen Blutung und damit besseren Übersicht führen. Eigene analgetische Effekte konnten inzwischen für Adrenalin ebenfalls nachgewiesen werden, so dass offensichtlich ein Synergismus vorliegt. Sofern keine absolute Kontraindikation besteht, sollte daher immer eine vasokonstriktorhaltige Lokalanästhesielösung benutzt werden.

In Abhängigkeit von der Konzentration des Adrenalins in der Lösung wird dabei eine unzureichende Anästhesietiefe (s.V.) beziehungsweise ausreichend tiefe, aber unterschiedlich lang anhaltende Anästhesie bei den Lösungen mit 1:400 000, 1:200 000, 1:100 000 erzielt. An- und Abflutung werden durch das Adrenalin nicht beeinflusst und sind somit substanzspezifisch.

Mittels Adrenalin als Vasokonstriktor lässt sich die Wirkung von Articain steuern und beeinflussen. Dies trifft im Übrigen auch in vergleichbarer Weise auf Lidocain zu. Bei Mepivacain und Bupivacain kann eine solche eindrückliche Beziehung nicht festgestellt werden. Beide Lokalanästhetika können auch ohne Adrenalinzusatz verwendet werden.

Die Reduktion der systemischen Plasmaspiegel des Lokalanästhetikums zeigt einen dosisunabhängigen Effekt des Adrenalins. Offensichtlich reichen bereits kleine Konzentrationen von Adrenalin aus, um die Rezeptoren zu besetzen und eine ausreichende Vasokonstriktion zu erreichen. Der Effekt liegt etwa bei 50 Prozent geringeren Plasmaspiegeln. Somit macht der Adrenalinzusatz die zahnärztliche Lokalanästhesie sicherer, vorhersagbarer und effektiver. In Kombination mit Articain, das aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit und hohen Plasmaproteinbindungskapazität als sehr sicheres Lokalanästhestikum einzuschätzen ist, scheint eine ideale Kombination zur Verfügung zu stehen.

Getrübt wird diese Euphorie jedoch durch die möglichen systemischen Nebenwirkungen. Gelangen beide Substanzen in das Kreislaufsystem, so steigt die ZNS-Toxizität des Lokalanästhetikums. Zur Erkennung einer intravasalen Kanülenlage sollte daher vor jeder Injektion eine Aspiration durchgeführt werden. Partielle intravasale Injektionen lassen sich hierdurch aber nicht ausschließen und treten etwas in 20 Prozent der Fälle auf und führen zu transienten, gegebenenfalls sehr hohen Adrenalinspiegeln. Dies unterstützt die Forderung nach einer langsamen und fraktionierten Injektion im ZMK-Bereich. 

Adrenalin selbst führt ebenfalls zu einer Vielzahl von – vor allem kardiovaskulären – Nebenwirkungen. Sowohl Veränderungen von Herzfrequenz und Blutdruck, aber auch vegetative Nebenwirkungen wie Übelkeit, Zittern und Schwitzen können festgestellt werden. Da diese Effekte dosisabhängig sind, sollte die Adrenalinkonzentration der Lösung so gering wie möglich, keinesfalls jedoch höher als 1:200 000 sein.

Alle Lokalanästhetikamoleküle können die Bluthirnschranke problemlos überwinden. Dies stellt insbesondere für die Lokalanästhesie im Kopf-Halsbereich ein Risiko dar, da Injektionsort und ZNS räumlich sehr nah beieinander liegen. Da die Lokalanästhetika einen vasodilatatorischen Effekt aufweisen, führen sie auch zu einer Steigerung des cerebralen Blutflusses. Adrenalin kann hingegen die Bluthirnschranke nicht passieren und nur indirekt den Gefäßtonus beeinflussen und führt zu einer Abnahme der Hirndurchblutung. Eine Kombination erscheint daher sinnvoll. 

Kontraindikationen

Zur Vermeidung von Komplikationen und Behandlungsfehlern ist die Beachtung von Kontraindikationen essentiell wichtig. Absolute verbieten die Anwendung komplett, relative schränken sie ein und erfordern eine Modifikation. Auch dem Wunsch des kleinen Patienten muss Rechnung getragen werden. Sollten Alter, Behandlungsunwilligkeit oder Behinderung keine sichere Behandlung ermöglichen, so ist die Indikation zur Allgemeinanästhesie zu stellen. Nur bei geringen Einschränkungen genügt eine Sedierung. Allergische Komplikationen treten bei Kindern häufiger auf und stellen gleichzeitig einen wesentlichen allgemeinmedizinischen Risikofaktor dar. Glücklicherweise besteht keine Kreuzallergie zwischen den verschiedenen Lokalanästhetika, so dass in der Regel ausreichend viele Ausweichpräparate zur Verfügung stehen. In jedem Fall sollte bei Problemen ein Allergologe zu Rate gezogen werden. Herzfehler werden nach Möglichkeit sehr früh und definitiv korrigiert, entsprechend der Anamnese kann ein Kinderkardiologe Auskunft geben. Dies gilt auch für die Notwendigkeit der Endokarditisprophylaxe sowie der Beurteilung von Rhythmusstörungen hinsichtlich Monitoring und der generellen Belastbarkeit des kleinen Patienten. Injektionen in einen Abszess beziehungsweise in ein Infiltrat führen in der Regel nicht zur Schmerzfreiheit und lösen unter Umständen eine Bakteriämie mit Sepsis aus. Im mittleren Trimenon ist die Behandlung für Mutter und Kind am risikoärmsten. Bei vorliegender Gerinnungsstörung sollte auf eine Leitungsanästhesie am aufsteigenden Unterkieferast verzichtet werden. Ein bestehendes Endokarditisrisiko verbietet intraligamentäre und intraossäre Injektionen.

Lokalanästhetika

Entsprechend seiner pharmakologischen Kenngrößen kann für jedes Lokalanästhetikum ein „Steckbrief“ erstellt werden. Wirkstärke und Toxizität beziehen sich dabei auf das erste synthetische Lokalanästhetikum, nämlich Procain. Grenzdosis und Maximaldosis sind extrapolierte Werte aus tierexperimentellen Untersuchungen und können nicht als absolute Größen auf den Menschen übertragen werden. Auch unterhalb können Intoxikationserscheinungen auftreten. Die Grenzdosis ist primär patientenbezogen, die Maximaldosis substanzspezifisch. Sowohl Lidocain als auch Articain weisen ohne Vasokonstriktor eine relative kurze Pulpenanästhesiedauer auf, was diese Lösungen für die Kinderzahnheilkunde nur eingeschränkt einsatzfähig macht. Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Konzentration der Lösungen, die sich um den Faktor 2 unterscheidet. Sollten räumlich ausgedehnte Infiltrationsanästhesien notwendig sein, so ist der zweiprozentigen Lidocainlösung der Vorzug zu geben. Für die Oberflächenanästhesie ist es bis auf die gustatorischen Elemente Mittel der ersten Wahl.

Articain, das in Deutschland am weitesten verbreitet ist, kann sicher in der Kinderzahnheilkunde angewendet werden. Seine guten Diffusionseigenschaften in Verbindung mit dem hohen Konzentrationsgefälle (vierprozentige Lösung) können zusätzliche Injektionen ersparen (palatinal, Leitungsanästhesie im Unterkiefer). Eine zweiprozentige Lösung mit Adrenalinzusatz steht ebenfalls zur Verfügung. Von einer Verwendung der adrenalinfreien Lösung sollte in der Kinderzahnheilkunde generell abgesehen werden (Sicherheit der Anästhesiewirkung, schnelle Resorption).  

Bei den Kontraindikationen für Adrenalin überwiegen eindeutig die relativen, was eine Dosisreduktion zur Folge haben sollte (<= 1:200 000). Zu den absoluten zählen das Phäochromozytom, ein adrenalinbildender Tumor der Nebennierenrinde, die Überfunktion der Schilddrüse, da das Thyroxin die adrenergen Rezeptoren sensibilisiert, eine sehr hohe Herzfrequenz sowie die Sulfitallergie, da Natriumsulfit immer adrenalinhaltigen Lösungen als Antioxidans beigefügt ist. In diesen Fällen bietet sich das synthetische Hypophysenhinterlappenhormon Octapressin als Alternative an.

Gerade bei den kleinen und vor allem untergewichtigen Patienten sollte vor der Injektion die zur Verfügung stehende Grenzmenge (24 h) berechnet werden. Gerade diese Patientengruppe hat ein erhöhtes Risiko für Intoxikationen infolge relativer oder absoluter Überdosierung. Keinesfalls sollte die gesamte Menge in einem Zyklus injiziert werden. Diazepam und Sauerstoff sind bereitzuhalten.

Lokalanästhesietechnik

Zur Reduktion des Schmerzes bei der Schleimhautpenetration der Kanüle wird gerade bei Kindern die Verwendung der Oberflächenanästhesie empfohlen. Diese sollte streng lokal begrenzt möglichst mit Watteträger oder Schaumstoffpellet als Applikator erfolgen. Großflächige Anwendungen können nur als alleinige Anästhesieform erfolgen.

Die supraperiostale Infiltrationsanästhesie ist fast immer und überall einsetzbar und aufgrund der dünnen Kompakta des kindlichen Unterkiefers auch hier einsetzbar. Intraligamentären Verfahren ist gegenüber intraossären im Kindesalter eindeutig der Vorrang einzuräumen. Zahnkeimverletzungen und lokale Infektionen stellen ein zu hohes Risiko dar. Die gut steuerbare Anästhesiezeit und die fehlende Weichteilanästhesie machen sie für Kinder besonders attraktiv. Zu beachten ist bei der Applikation der hohe Druck zur Injektion im PASpalt, der unter Umständen schmerzhaft ist und damit die Akzeptanz einschränkt. Bei vorsichtiger und langsamer Injektion wird sie gut toleriert (Abb. 2).

Die Leitungsanästhesie bietet den Vorteil gegenüber der Infiltration, dass mit geringen Mengen des Anästhetikums große Areale für lange Zeit betäubt werden können (Abb. 3). Prinzipiell sind alle peripheren Trigeminusäste hierzu sowohl mit intraoralen, als auch extraoralen Techniken geeignet. Berücksichtigt werden muss, dass die Aspirationsrate höher und die Technik bei der Leitungsanästhesie am Foramen mandibulare schwieriger ist als beim Erwachsenen. Da eine gewisse Kooperationsfähigkeit des Patienten unbedingt erforderlich ist, sollte bei kleinen Kindern primär die Infiltrationsanästhesie eingesetzt werden.  

Es ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass sich die Position des Foramen mandibulare im Laufe der Unterkieferentwicklung und des Längenwachstums in Relation zur Okklusionsebene verändert. Diese sollte aber dennoch als anatomische Leitstruktur benutzt werden, da die Weichteile in der Regel eine schlechtere Orientierungshilfe darstellen. Dies sind bei weit geöffnetem Mund die Plica pterygopalatina sowie die Vorwölbung des Planum buccale (Abb. 4). Einen echten Fortschritt für die beschriebenen Injektionstechniken stellt die computerassistierte Anästhesie dar. Rechnergestützt und adaptiert an den Gewebewiderstand wird dabei, ausgelöst durch ein Fußpedal, die Lokalanästhesielösung mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten appliziert. Es stehen drei Kanülenlängen mit unterschiedlichem Durchmesser zur Verfügung. Alle gängigen Zylinderampullen können verwendet werden. Besonders die Injektionen in sehr festes Gewebe (palatinal, fixierte Gingiva) sind daher schmerzärmer. Durch die grazile Form des Einmalhandstückes von The Wand® plus, das wie ein Füllfederhalter zu fixieren ist, sind erstmals kontrollierte Rotationsbewegungen während des Vorschiebens der Kanüle möglich, um die Verbiegung der Kanüle, die durch den Gewebswiderstand entsteht (Deflexion), auszugleichen. Ferner kann das Handstück abgebogen werden, um besseren Eingang in den Parodontalspalt zu ermöglichen. Auch die Aspiration wird über den Fußschalter initiiert und akustisch signalisiert. Es werden somit alle Kriterien für eine sichere Injektion erfüllt.  

Die beschriebenen Vorteile konnten in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt werden. Von klinischer Relevanz sind die zielgenaue Applikation, die sichere Aspiration und die neuen Techniken der palatinalen Injektionen, mit denen sich eine sichere Anästhesie des Oberkiefers und der Zähne erzielen lässt, ohne Betäubung und Bewegungsstörung der Oberlippe. Nachteile sind die relativ hohen Kosten für die notwendigen Einmalmaterialartikel sowie des Gerätes selbst.  

Nicht durchsetzen konnten sich bislang nadellose Injektionssysteme, wie sie zum Beispiel bei der Applikation von Impfstoffen und Insulin in der Humanmedizin eingesetzt werden. Probleme sind dabei das notwendige Umfüllen der Anästhesielösung aus der Zylinderampulle in den Injektor sowie das dichte Aufsetzen des Injektors auf der Unterlage. Letzteres Problem wurde durch die Einführung eines Silikonaufsatzes zumindest teilweise gelöst. Das laute Geräusch bei der Auslösung der Injektion, mit dem die Lösung durch Mukosa und Periost hindurch mit hohem Druck appliziert wird, stößt bei Kindern nicht immer auf große Akzeptanz.

Da im Kieferbereich relativ wenig plane Knochenflächen, die zudem gut einer Applikation zugänglich sind, vorhanden sind, bleiben die Indikationsgebiete begrenzt. Im Wesentlichen sind dies der vestibuläre Oberkieferfrontzahn- und Prämolarenbereich sowie die Frontzähne im Unterkiefer. Die palatinale Anwendung ist nicht immer möglich. Der Behandlungsumfang umfasst kleine, kurz dauernde Maßnahmen geringer bis mittlerer Schmerzintensität.

Wissenschaftliche Studien führten zu Ergebnissen mit eher geringer klinischer Relevanz, da die Verkürzung der Anflutung und die geringere Dosis keine entscheidenden Verbesserungen darstellen, das Nachfüllen, wenn auch delegierbar, ebenfalls berücksichtigt werden muss. Ungeklärt ist bislang die Frage der induzierten Bakteriämie, ein Problem, das zumindest in der Anästhesie den Einsatz zur Reduktion des Punktionsschmerzes beim Legen von Venenverweilkanülen beendet hat. Entsprechende Untersuchungen zur intraoralen Anwendung stehen aus.  

Die zahnärztliche Lokalanästhesie ist aber nicht nur als alleinige Form der Schmerzausschaltung von zentraler Bedeutung, sondern auch in Kombination mit anderen Verfahren. Eine zusätzliche lokale Betäubung im Rahmen der Allgemeinanästhesie bei schmerzhaften Behandlungen (zum Beispiel Chirurgie) kann dazu beitragen, die Narkosetiefe zu reduzieren, die Aufwachphase zu verkürzen und die postoperative Analgesie zu verbessern. Analgosedierung und Sedierungsverfahren (auch inhalativ) erzielen keine ausreichende Schmerzausschaltung, so dass eine zusätzliche Lokalanästhesie zwingend erforderlich ist. 

Bei der Auswahl des Verfahrens ist die personelle Ausstattung zu beachten. Außer bei der Lokalanästhesie und reinen Sedierung ist in Deutschland die Personalunion von Anästhesist und Behandler (Chirurg) nicht zulässig. Analgosedierungsverfahren erfordern einen anderen Arzt/Zahnarzt, der in der Technik erfahren ist. Allgemeinanästhesien dürfen alleinverantwortlich nur von Fachärzten für Anästhesiologie durchgeführt werden.

PD Dr. Dr. Monika DaubländerUniversitätszahnklinik MainzAugustusplatz 255131 Mainz

 

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