Eindrücke aus Australien

Die zahnärztliche Welt ist noch in Ordnung

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Heftarchiv Gesellschaft
Anders als die Ärzte in Deutschland, die vielen staatlichen Regularien unterworfen sind, können die Zahnärzte in Australien frei und unabhängig praktizieren. Es ist zwar nicht alles nur Gold, was glänzt, doch im Großen und Ganzen erscheint das Leben für den Berufsstand dort in Ordnung. Hier einige Eindrücke über die zahnmedizinische Versorgung „down under“.

Australien als Mitglied des Commonwealth besitzt ähnlich wie Großbritannien ein staatliches Gesundheitssystem, das nicht über Beiträge zur Sozialversicherung, sondern überwiegend aus Steuermitteln finanziert wird.

Im Bereich Allgemeinmedizin hat das Land mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wie überall auf der Welt verursacht der medizinische Fortschritt zusammen mit zunehmender Alterung der Bevölkerung kontinuierlich steigende Kosten des Medizinbetriebs, unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung. Trotz der derzeit sehr hohen Wachstumsraten beobachtet man in Australien einen Anstieg der relativen Kosten. Hier wird nun versucht, die seit etwa 15 Jahren eingeleiteten Reformen der Sozialsysteme auch im Gesundheitswesen fortzuschreiben.

Die typischen Folgen eines verstaatlichten Wirtschaftszweiges sind aber auch hier zu beobachten: Ärztemangel, unmotivierte Ärzteschaft, teilweise hektische Bemühungen um Begrenzung der steigenden Ausgaben mit Einführung von Selbstbehalten für Patienten, Kürzung von Arzthonoraren, Schließung von Klinken, all das wird intensiv in den Medien diskutiert und kommentiert.

Wegen des Mangels an heimischen Ärzten werden nun schon Kollegen aus Neuseeland (Australien und Neuseeland bilden eine Wirtschaftsunion) übers Wochenende eingeflogen, und zwar zu Konditionen, von denen heimische Ärzte nur träumen können. Das erregt besonders die Neuseeländer, weil denen nun die eigenen Ärzte fehlen. Ähnliches findet sich mittlerweile auch in Europa: Die Engländer lassen deutsche Ärzte bei sehr guter Bezahlung für begrenzte Zeit einfliegen.

Frei und unabhängig

Ganz anders stellt sich die Situation in der Zahnmedizin dar. Hier hat sich die ADA (Australian Dental Association) schon in den 60er Jahren entschlossen, nur außerhalb des Staatssystems tätig werden zu wollen – Zahnheilkunde findet in Australien fast ausschließlich „privat“ statt.

Allerdings hat der australische Staat im Rahmen des „Medicare“-Programms Mittel bereitgestellt, um auch sozial Schwachen beziehungsweise Mittellosen eine zahnärztliche Betreuung zukommen zu lassen; hierzu sind die Patienten auf die staatlichen Kliniken verwiesen (teilweise mit Wartezeiten von bis zu zwei Jahren). Notfälle können außer in der Klinik auch unter Vorlage eines Berechtigungsscheins in einer der privaten Praxen behandeln werden, wenn der Kollege dort bereit ist, zu den vorgegebenen Konditionen zu arbeiten.

Eine Gebührenordnung für Zahnärzte existiert nicht; jeder Zahnarzt kann Preise aushandeln, ganz so, wie es einer freien Vertragspartnerschaft zwischen Patient und Arzt entspricht. Allerdings geben die lokalen Zahnärzteverbände Empfehlungs- beziehungsweise Orientierungshilfen in Form von jeweils zum Jahresende aktualisierten Preislisten heraus (Australien ist ein Bundesstaat, und die jeweiligen Bundesstaaten haben relativ viele Freiräume). Die Preislisten sind nicht verbindlich, sie entsprechen eher Richtlinien. Allerdings halten sich die meisten australischen Kollegen an die Vorgaben. Die Ausbildung der Zahnärzte entspricht der in Deutschland (ähnliches Curriculum), wobei derzeit in New South Wales aus Kostengründen ein Versuch läuft, die Ausbildung von fünf auf vier Jahre zu verkürzen.

Reformen greifen

Australien hat mit wirtschaftlichen Reformen bereits sehr früh begonnen und kann nun die Früchte ernten. Die Welt-Konjunkturkrise ist an Australien (ebenso wie Neuseeland) fast spurlos vorübergegangen, man kann nach wie vor auf ansehnliche Wachstumsraten verweisen. Das hat dazu geführt, dass die Arbeitslosenrate derzeit bei 5,3 Prozent liegt und von der wiedergewählten liberal-konservativen Regierung Howard durch weitere Reformen am Arbeitsmarkt (durch Lockerung der Schutzbestimmungen bei der Einstellung von Mitarbeitern) auf unter fünf Prozent im nächsten Jahr gedrückt werden soll. Dieses Ziel scheint durchaus realistisch und ist, vergleicht man dies mit den Zahlen (Arbeitslosenquote weit über zehn Prozent) von noch vor 15 Jahren, ein Beispiel dafür, wie erfolgreiche Reformpolitik aussehen kann.

Auf Kritik stößt in Australien die Vorgehensweise der Regierung, ausländische Studenten, die hohe Studiengebühren von bis zu 20 000 A$ pro Semester (im Fach Zahnmedizin) bezahlen müssen, durch abgesenkte Anforderungen zu ködern. Mittlerweile finden sich an australischen Universitäten bis zu 60 Prozent Ausländer, und australische Studenten beklagen sich, es würde ihnen kaum noch etwas abgefordert, weil man die Standards so weit abgesenkt habe. Von den Hochschullehrern wird die Problematik ebenfalls gesehen, wobei diese keinen Einfluss auf die Zulassung der Studenten haben und gehalten sind, diese auch in den Kursen zu behalten, damit der Etat der Universität nicht gefährdet ist. Durch diese Politik ist der Versuch, in Australien Privatuniversitäten zu gründen, gescheitert – die staatlichen Universitäten handeln ja schon wie private.

Ärzte, die in das australische Sozialsystem eingebunden sind, erhalten derzeit etwa 54 A$ je „Standard-Konsultation“ (und damit etwa das Doppelte eines deutschen Praktikers), beklagen sich jedoch, sie könnten davon nicht einmal ihre Kosten bestreiten, und verlassen in Scharen den Sozialdienst, um zukünftig nur noch privat zu praktizieren. In einer Studie des Sun-Herald (Sydney) erklärten 86 Prozent der Praktiker, keine Patienten des staatlichen Systems mehr zur Behandlung anzunehmen.

Trotz der Reformbemühungen versickere im staatlichen Gesundheitswesen immer noch genügend Geld, wodurch die beim Patienten ankommenden Leistungen immer schlechter würden, klagen die Medien. Die Regierung hat zahlreiche Programme angekündigt, aber, dass dies Probleme lösen würde, glaubt in Australien wohl niemand. Immerhin wurde unter Beifall angekündigt, dass die Mittel für Medicare (voll aus Steuern finanziert) nicht gekürzt würden.

Viele Spezialisten

Nach der Ausbildung erfährt der Zahnarzt erst einmal die Graduierung zum Allgemeinzahnarzt. Auf eine Weiterbildung beziehungsweise Spezialisierung wird großen Wert gelegt – die Kliniken sind alle sehr gut für die Postgraduierten-Ausbildung präpariert. Es gibt Spezialisten für praktisch jede einzelne Disziplin wie Endodontie, Parodontologie oder Prothetik.

Deutschstämmige Zahnärzte findet man auch in Australien, allerdings besteht hier eine gewisse Hürde: Da die Studienabschlüsse nicht gegenseitig anerkannt sind, muss man, wenn man als deutscher Zahnarzt in Australien tätig werden will (Zulassungsbeschränkungen gibt es nicht), eine Prüfung ablegen, die jedoch relativ leicht zu bewältigen ist. Sprachkenntnisse, insbesondere Fachausdrücke, sind allerdings unverzichtbar. Zahnärztliche Kollegen aus Großbritannien beziehungsweise Irland müssen keine Prüfung ablegen. Dies legt nahe, dass man, wenn man als deutscher Zahnarzt plant, nach Australien auszuwandern, erst einmal in England tätig werden sollte.

Derzeit sind australienweit etwa 8 000 Zahnärzte tätig, davon sind rund 80 als „Endodontists“ qualifiziert. Die Ausbildung der Australier kann als gut bezeichnet werden, allerdings klagen auch dort die Universitäten über zu hohe Studentenzahlen; beispielsweise sind in Sydney pro Semester 90 Studierende eingeschrieben.

Die Bezahlung eines Zahnarztes an der Klinik ist eher dürftig: Der Anfänger erhält ein Monatssalär von 1 500 A$, das bis zu einem Maximum von 7 000 A$ je nach Betriebszugehörigkeit gesteigert wird. Das Patientengut der Kliniken setzt sich vorwiegend aus Sozialfällen zusammen, die über Medicare finanziert werden. In Sydney stellen diese Sozialfälle etwa 40 Prozent der Patienten dar.

Die Klinken sind gut bis sehr gut ausgestattet, zumeist mit Geräten und Instrumenten aus deutscher Fertigung. Allerdings sind häufig auch Behandlungsstühle amerikanischer Hersteller zu sehen. Turbinen und andere rotierende Instrumente sind dann wiederum „Made in Germany“.

Interessant ist, dass in den Abteilungen für Endodontie (die gehören dort nicht zur allgemeinen konservierenden Abteilung) an jedem Arbeitsplatz ein Mikroskop steht.

Weit verbreitet ist die Parodontitis (obgleich in Australien strenges Rauchverbot herrscht – Rauchen ist der Hauptrisikofaktor für PAR). Dabei kommt zum Tragen, dass hier von besonders Risikogruppen betroffen sind.

Die Versorgung der breiten Bevölkerung ist, dem Augenschein nach, nicht schlechter als in Deutschland. Bei aller Zufälligkeit, die bei einem spontanen Klinikbesuch gegeben ist, scheinen die Patienten sogar etwas besser versorgt als wir das kennen. In den Kliniken machen Drogensüchtige, Neuzuwanderer aus Entwicklungsländern oder Obdachlose rund 40 Prozent des Patientenanteils aus, sie sind zugewiesen durch Medicare.

Interessant ist, dass in Australien keine Vorbehalte gegen Amalgam bestehen. Sozialpatienten erhalten ganz selbstverständlich Amalgamfüllungen. Aus Australien stammt auch eine der umfangreichsten Studien zur Haltbarkeit von Füllungen, wobei man hier keine Unterschiede zwischen Amalgam und Kunststoff gefunden hat.

Hier ein Honorar-Beispiel für Füllungen: In Victoria (Bundesstaat im Süden mit der Hauptstadt Melbourne) wird von Medicare für eine mehrflächige Amalgamfüllung ein Honorar von 133,95 A$ (Stand 1.Juli 2004) fällig. Davon soll der Patient einen Eigenanteil von 19 A$ tragen, der Staat zahlt dem Zahnarzt folglich 114,95 A$. Bei derzeitigem Umrechnungskurs bedeutet dies ein Honorar in Höhe von 79 Euro. Adhäsivfüllungen werden deutlich besser bewertet, hier werden dann bei der mehrflächigen Füllung 171,70 A$ fällig (Eigenanteil Patient 24 A$).

Die zitierten Honorare sind, das ist zu betonen, Minimalhonorare, die von Medicare für sozial Schwache bezahlt werden. Der normale Bürger zahlt dafür teilweise erheblich mehr.

So wird für die endodontische Therapie eines Molaren insgesamt die Summe von 2 000 A$ fällig (entspricht 1 180 Euro), bei Sozialpatienten ist in der Liste des Bundesstaates Victoria nur die Exstirpation der Pulpa beziehungsweise die Entfernung nekrotischen Gewebes erfasst, zu 86,70 A$ je Kanal. Weitere Leistungen müssen dann vollkommen privat bezahlt werden.

Die Kurzuntersuchung wird vom Staat mit 17,30 A$ verhältnismäßig kümmerlich honoriert, vergleicht man dies mit den anderen Honorarpositionen. Allerdings entspricht dies im Leistungsumfang unserer „Ä1“.

Der Endodontist, um ein Beispiel eines Spezialisten herauszugreifen, behandelt täglich etwa zehn bis 15 Patienten und macht damit einen Jahresumsatz von einer Million A$. Dies wird als durchaus angemessen angesehen. Immerhin hat er für seine Spezialisierung drei Jahre Postgraduiertenausbildung betreiben müssen.

Auch die Relation Zahnarzthonorar/Zahntechnikerkosten scheint in Australien in Ordnung: Man zahlt dem Dentallabor beispielsweise für eine VMK-Krone 200 A$ (insgesamt), verlangt dann vom Patienten aber 850 A$ (Gesamtkosten). Der Zahnarzt verhandelt direkt mit dem Patienten und rechnet die Laborkosten als interne Kosten. Der Prothetik-Spezialist nimmt allerdings für die Krone dann 1 100 A$, die Vollkrone ist billiger zu haben, für 1 050 A$ (Spezialistenpreis).

Die Praxen sind in Australien nicht auf Kurztermine mit Patientenmassen ausgelegt. Endodontisten haben meist nur einen Behandlungsstuhl und Allgemeinzahnärzte maximal zwei Einheiten, an denen sie arbeiten. Die Arbeit am Patienten ist locker und ohne Zeitdruck, das Personal ist sehr freundlich und leistungsorientiert.

Es ist, trotz der geringen Arbeitslosenrate, überhaupt nicht schwierig, gut motivierte und qualifizierte Mitarbeiterinnen zu bekommen.

Alles in allem scheint die Welt des Zahnarztes in Australien noch in Ordnung zu sein.

Dr. Gerhard Hetz

Winkstr. 5

81373 München

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