Gesundheitsreform in Frankreich

Hausärzte laufen Sturm gegen Regierungspläne

Heftarchiv Gesellschaft
Die bei uns zunächst so viel gescholtene Praxisgebühr findet in Frankreich bereits ihre Nachahmung. Zwar fällt der Obolus von einem Euro, den die Patienten bei ihrem Hausarzt entrichten müssen, wesentlich niedriger aus. Wer jedoch weiterhin direkt zum Facharzt geht, muss tiefer ins Portmonee greifen. Während sich die Regierung von dieser und einigen anderen Maßnahmen Einsparungen in Milliardenhöhe erhofft, sind die Hausärzte gar nicht glücklich über die Pläne. Sie sehen sich zu Türstehern des Gesundheitswesens herabgestuft.

Um gegen die bereits zu Jahresbeginn in Kraft getretene Reform zu protestieren, sind französische Allgemeinärzte und Medizinstudenten vor einigen Wochen in Paris sogar zu tausenden auf die Straße gegangen. Der eingeschlagene Kurs der französischen Regierung in Richtung Hausarztsystem hat nämlich ihre schlimmsten Befürchtungen geweckt. Sie sehen darin vor allem das Ende ihrer medizinischen Ausrichtung als Generalist gekommen.

MG France, die größte Vertretung der Allgemeinmediziner Frankreichs, fürchtet, dass sich die Hauptaufgabe der Hausärzte künftig auf eine reine Verteilerfunktion beschränken wird. Die Gewerkschaft hat ihre Mitglieder daher dazu aufgerufen, die Rolle als erster Ansprechpartner der Patienten abzulehnen. Bis zum 1. Juli dieses Jahres müssen alle 38 Millionen gesetzlich versicherten Franzosen ihrer Kasse schriftlich mitteilen, welcher Arzt künftig ihre erste Anlaufadresse sein soll. Schaden fügen sich die Allgemeinärzte mit dieser Haltung im Zweifel allerdings in erster Linie selbst zu. Denn zum einen trägt eine solche Aktion nicht unbedingt zur Arzt-Patienten-Bindung bei. Zum anderen steht es den Versicherten weiterhin frei, direkt zum Spezialisten zu gehen.

Die Regierung hat sich nämlich nicht dazu entschließen können, ein wirkliches Primärarztsystem einzuführen. Patienten, die ohne Überweisung zum Facharzt gehen, müssen fortan lediglich eine höhere Selbstbeteiligung bezahlen. Der direkte Besuch beim Spezialisten schlägt mit mindestens fünf Euro zu Buche – Ausnahmen gelten nur für Behandlungen beim Kinderarzt, Gynäkologen oder Augenarzt. Wer zuerst zu seinem Hausarzt geht, muss für jeden Arztbesuch hingegen nur einen Euro aus eigener Tasche bezahlen.

Bürokratischer Mehraufwand

Das ärgert die Allgemeinärzte genauso wie die Tatsache, dass ihnen der bürokratische Mehraufwand, zum Beispiel für das Ausfüllen von Patientenakten und Überweisungen, nicht entsprechend honoriert werden soll. Die Regierung gesteht ihnen als eingeschriebene Hausärzte eine jährliche Kopfpauschale von 40 Euro zu. Die Mediziner verlangen indes das Vierfache.

Trotz des massiven Protestes haben die Allgemeinärzte bislang allerdings wenig ausrichten können, denn die rechtsbürgerliche Regierung unter Premierminister Jean- Pierre Raffarin hält eisern an der Reform fest. Schließlich ist es ihr Ziel, so schnell wie möglich das Einnahmeloch der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von derzeit rund 14 Milliarden Euro zu stopfen. Spätestens Anfang 2008, so der ehrgeizige Plan, sollen die Kassen wieder schwarze Zahlen schreiben. Neben der Einführung der Praxisgebühren will die Regierung dies durch eine geänderte Bemessungsgrundlage bei den Sozialversicherungsbeiträgen und die Pflicht, verstärkt Generika zu verschreiben, erreichen. Außerdem ist geplant, bis Ende 2007 flächendeckend eine elektronische Gesundheitskarte mit Foto einzuführen, um die Verwaltungsabläufe zu vereinfachen und teure Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Eine Teilprivatisierung von Leistungen, wie Zahnersatz oder Brillen, umfasst das Sparpaket bislang jedenfalls nicht.

Petra SpielbergRue Colonel Van Gele 98B-1040 Brüssel

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