Ärzte wollen neue Fehlerkultur entwickeln

Schluss mit Schweigen

Durch Pfusch im OP kommen jährlich mehr Menschen ums Leben als im Straßenverkehr. Den Schluss legen Studien nahe. Ärzte fordern deshalb, mit Pannen ehrlich umzugehen. Das neu gegründete Aktionsbündnis Patientensicherheit soll dabei helfen, Fehler rechtzeitig zu erkennen und zu vermeiden.

„Wir dürfen Fehler nicht mehr unter den Teppich kehren und so tun, als wenn nichts passieren würde“, fordert Prof. Dr. Matthias Rothmund, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), auf dem 122. Chirurgenkongress im April in München.

Und legte alarmierende Zahlen vor: Forscher vom amerikanischen Institute of Medicine fanden heraus, dass in den USA pro Jahr bis zu 98 000 Menschen an vermeidbaren Behandlungsfehlern sterben; zwischen zwölf und 16 Prozent aller Klinikpatienten widerfährt laut Studien aus England und Australien „ein unerwünschtes Ereignis“. Zwar fehlten in Deutschland verlässliche Daten, so Rothmund, aber: „man müsse davon ausgehen, dass die Situation hier ähnlich ist“. Die Realität schockt: „Legt man die genannten Zahlen zugrunde, gehören Fehler im Krankenhaus zu den zehn häufigsten Todesursachen. Sie rangieren noch vor Brustkrebs, Aids und Verkehrsunfällen“.

Schlechte Presse kann sich heutzutage freilich keine Klinik mehr erlauben – zu groß ist der Wettbewerbsdruck. Denn durch die Gesundheitsreform sinkt die Bettenzahl dramatisch, Schließung droht.

Um vorbeugende Maßnahmen ergreifen zu können, müssen die Kliniken die Fehler allerdings zuerst einmal erkennen und benennen. „Wir müssen eine Fehlerkultur entwickeln“, appelliert Rothmund. In den angelsächsischen Ländern stünden regelmäßige Konferenzen, in denen die Todesfälle noch einmal genau unter die Lupe genommen werden, auf der Tagesordnung. „Solche Konferenzen finden in Deutschland in der Regel nicht statt.“

Kunstfehler und Pfusch im OP? Für die Ärzte bislang Tabu. Zu groß war die Furcht vor Skandalen, glaubt Dr. Günther Jonitz, Präsident der Berliner Ärztekammer und seit zehn Jahren für die Patientensicherheit aktiv. Die Folge: Eine Diskussion über Fehler wurde unterdrückt. Stattdessen verlegte man sich auf die Jagd nach Schuldigen. „Krankenhäuser sind Misstrauensorganisationen“, bestätigt Holger Pfaff, Medizinsoziologe, Uni Köln.

Auf die unproduktive, weil weitgehend repressive Fehlerkultur in der deutschen Medizin hatte der Sachverständigenrat bereits vor drei Jahren aufmerksam gemacht.

Fehler im System

Anstatt nach dem Sündenbock zu suchen, müssten die Ärzte systematisch Verbesserungsmöglichkeiten suchen, betont auch Jonitz. Ebenso wie die Flugsicherheit nicht allein vom Piloten, sondern vom technischen Stand des Flugzeugs, dem Wetter und dem Lotsen abhänge, sei auch die Patientensicherheit nicht allein das Ergebnis eines sorgfältig arbeitenden Arztes. Fehler in der Patientenversorgung gingen nahezu durchweg auf Organisationsmängel zurück, Nachlässigkeit und Unwissen einzelner Ärzte spielten eine nachrangige Rolle. In der Tat: Unerwünschte Ereignisse sind fast immer die Folge von Systemfehlern, das ist belegt. Noch fehlen Studien, welche Fehler am häufigsten passieren und wie viele Patienten von Behandlungsfehlern betroffen sind. Eins ist für Rothmund jedoch klar: Die Crux ist weniger das falsch amputierte Bein – Probleme bereiten die kleinen Unzulänglichkeiten im Stationsalltag. Falsche Medikamente, falsche Dosierungen und Namensverwechslungen. Die Folge kleiner sich addierender Unaufmerksamkeiten unter Zeitdruck.

Jonitz macht drei Trends für die Behandlungsfehler verantwortlich: 􀃂 den medizinischen Fortschritt: Ärzte wagen therapeutisch heute mehr, was häufiger zu Komplikationen führt 􀃂 die alternde Gesellschaft: Die Menschen werden immer älter, das Behandlungsrisiko steigt, und als aufgeklärte Patienten sind sie anspruchsvoller denn je 􀃂 und den Sparzwang: Zugleich steigt der Effizienz- und Kostendruck im Gesundheitswesen, und wie überall, wo rabiat gespart wird, sagt Jonitz, komme es öfter zu Fehlern.

Fliegen ist sicherer

Ein Umdenken ist erforderlich. Die Fluggesellschaften machen es vor. In Sachen Fehlerprävention sind sie der Medizin um Jahrzehnte voraus: Im Krankenhaus liegt das Risiko, eine schwere oder tödliche Komplikation zu erleiden, bei eins zu 200, im Luftverkehr bei eins zu zwei Millionen.

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