Editorial

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Handwerkspräsident Otto Kentzler hatte die zweifelhafte Ehre, die Saison des diesjährigen Sommertheaters zu eröffnen. Er gab – als Auftakt des bundesweiten Sommerpausen- Spielplans – die Farce: „Urlaubskürzung bei Krankheit“.

Warum Kentzler gerade diesen Vorschlag auf die Bühne brachte, hat letztlich kaum jemand verstanden. Ohnehin hatten die Deutschen in 2004 den niedrigsten Krankenstand seit Beginn der Siebzigerjahre. Die Kritik – aus allen politischen Reihen – zog entsprechend hart mit Kentzler zu Gericht.

Dass sein Versuch, die Arbeitskosten zu senken, zum groben Fehlgriff geriet, liegt aber auch an den Rahmenbedingungen, die in den kommenden Monaten diese Republik politisch bestimmen werden: Vorgezogene Wahlen sind angesagt. Der Kampf um die Wählerstimmen beschert diesen Sommer nicht die fast schon traditionelle Pause, sondern eher ein Polit-Hoch erster Ordnung. Alt- wie Möchtegern-Parlamentarier schielen ständig Richtung Wahlpublikum. Für das so dringend nötige Sparen und damit verbundene unpopuläre Entscheidungen sind das denkbar schlechte Voraussetzungen. Dass Kentzler ausgerechnet beim Krankenstand der Republik den Rotstift ansetzen will, gibt aber auch aus anderer Sicht zu denken: Kostenbewusstsein ist zwar auch für die Reformen im Gesundheitswesen ein wichtiger Faktor. Und für sich betrachtet ist auch der Vorstoß zur Senkung der Arbeitskosten durch Hinterfragen der hohen deutschen Urlaubskonten – gerade mit Blick auf internationale Konkurrenz – ein systemisch betrachtet vielleicht legitimes Unterfangen.

Fatal ist daran aber die mehr als unglückliche Verbindung zwischen medizinischer Verantwortlichkeit und der Bewahrung sozialer Errungenschaften. Zu nahe liegt für jeden Einzelnen die Versuchung, Krankheit zu vernachlässigen, um Urlaubstage zu sparen. So ein zu Lasten der Prävention gehender Vorschlag ist weder ehrlich noch nötig.

Und das ist wohl auch eines der wesentlichen Hindernisse, die auf dem Weg zu funktionstüchtigen Reformen endlich überwunden werden müssen: Wer in dieser Republik meint, die deutschen Arbeitnehmer hätten zu viel Urlaub, soll dann gefälligst auch den Mut besitzen, direkt den Abbau von Urlaubstagen zu fordern. Stattdessen mutet man dem einzelnen Bürger die absurde Entscheidung zwischen Krankheit und Urlaub zu.

Das ist mit Sicherheit der falsche Weg. Ehrlichkeit ist angesagt. Sonst wird das nie etwas mit den nötigen Reformen.

Mit freundlichem Gruß

Egbert Maibach-Nagelzm-Chefredakteur

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.