Der Zahnarzt als Diagnostiker

Orale und periorale Manifestationen von Infektionskrankheiten

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Rainer S. R. Buch, Oliver Driemel, Torsten E. Reichert Viele Infektionserkrankungen manifestieren sich mit ihren Prodomie oder später in ihrem Verlauf als Veränderungen der Haut oder Schleimhaut. Aufgrund der Tatsache, dass in der Regel gerade der Zahnarzt seine Patienten weitaus häufiger zu Routinekontrollen sieht als Ärzte anderer medizinischer Fachgebiete, kommt dem Zahnarzt in der Frühdiagnostik eine große Bedeutung zu [Reichert, 2004].

Infektionen der Mundschleimhaut können als direkte oder indirekte Folge auf lokale oder systemische Keimbesiedlung der Schleimhäute oder des Organismus auftreten [Seifert, 1966]. Oft erscheinen Symptome im Bereich der perioralen Region oder der Mundhöhle, bevor Manifestationen an anderen Körperregionen auftreten [Buch, 2005]. Als ursächliche Erreger können neben Bakterien, Viren und Pilzen auch Parasiten in Frage kommen. Häufig werden unspezifische Stomatiden oder Mukositiden beobachtet, die mit einer allgemeinen Rötung, Vulnerabilität und brennenden bis schmerzenden Missempfindung einhergehen. Daher kann im Besonderen der Zahnarzt in seiner allgemeinmedizinischen Verantwortung in interdisziplinärer Kooperation mit Hautärzten, Internisten und Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen zur frühzeitigen Erkennung und Behandlung der oft zugrunde liegenden systemischen Erkrankungen beitragen [Wagner, 1994].

Virusinfektionen

Am häufigsten werden Infektion mit Viren beobachtet, da deren Übertragung oft durch die Luft (Tröpfcheninfektion) oder über die Nahrung stattfindet. Die Viren dringen dann über die Schleimhaut in den Organismus ein. Deshalb verursachen viele Viren zunächst Beschwerden im Mund- und Rachenraum.

Herpes-Simplex-Virus (Herpes labialis)

Die durch das Herpes-Simplex-Virus (HSV) verursachten Erkrankungen, gehören zu den häufigsten Infektionskrankheiten der Haut. Die meisten Infektionen treten im Gesicht (HSV-Typ 1) und im Genitalbereich (HSV-Typ 2) auf. Klinisch auffällig sind die typischen Veränderungen der perioralen Haut und Schleimhaut mit gruppiert stehenden Bläschen auf gerötetem Grund.

Die Infektion mit HSV-1 (Gesicht/Lippen) kann schon ab dem Kindesalter durch engen körperlichen Kontakt (Mutter-Kind, Geschwister, Spielkameraden) übertragen werden. Der genitale Herpes wird dagegen in erster Linie bei sexuellen Kontakten übertragen, wodurch der Infektionszeitpunkt daher im Durchschnitt später liegt.

Beide Infektionen persistieren lebenslang (Virus persistiert in Nervenganglien).

Die Erkrankung des HSV-1 äußert sich in zwei unterschiedlichen Erkrankungsformen:

• Die Gingivostomatitis herpetica (Abb. 1) ist das typische Bild einer symptomatischen primären HSV-1-Infektion beim Kleinkind (Dauer: zehn bis 14 Tage).

• Der Herpes labialis als rezidivierend provozierbare Erkrankung (Abb. 2).

Neben inapparenten Infektionen tritt die Gingivostomatitis herpetica mit Bläschen und Aphthen auf der gesamten Mundschleimhaut und Zunge auf, die sich in runde bis ovale, schmierig belegte, konfluierende Erosionen umwandeln. Fieber, Appetitlosigkeit und Vergrößerung der zervikalen Lymphknoten können ebenfalls auftreten. Starke Schmerzen und Schluckbeschwerden führen zu einem erheblichen Krankheitsgefühl mit der Gefahr einer bakteriellen Superinfektion. Nach akuten Infektionskrankheiten sind besonders schwere Verlaufsformen bis hin zur letalen Herpessepsis möglich (Aphthoid Pospischill-Feyrter) [Bork, 1993].

Obwohl die Durchseuchung bei 95 Prozent liegt, tritt der rezidivierende Herpes labialis nur bei 15 bis 40 Prozent der Bevölkerung auf [Reichart, 1999]. Prodomal verspüren die Betroffenen oft Hautirritationen (Hautspannung, Überempfindlichkeit) der betroffenen Stelle, typische Lokalisation ist der Lippenrand (Rot-Weiss-Grenze). Im Anschluss entstehen an derselben Stelle mehrere gruppiert stehende Bläschen auf geröteter Haut, die zu Krusten eintrocknen und nach etwa einer Woche abheilen. Auch andere Stellen im Gesicht, wie Nase oder Wangen, können betroffen sein. Es gibt spezifische Auslöser für die Virusvermehrung und den Ausbruch der Erkrankung. Dazu zählen Hautreizungen wie Verbrennungen, Sonnenbestrahlung, fiebrige Erkältungskrankheiten, Immunsuppression oder psychische Faktoren wie Stress, Trauer, Ängste oder starke Ekelgefühle [Rivera-Hidalgo, 1999]. Da Reizungen des Ganglions, beispielsweise durch Entzündungen oder zahnärztliche Behandlung, einen Lippenherpes auslösen können, sollten zahnärztliche Routinebehandlungen in der Akutphase vermieden werden.

Varizella-Zoster-Virus (Gürtelrose)

Das Varizella-Zoster-Virus (VZV) gilt als Erreger der Windpocken (Varizellen) (Abb. 3). Nach der primären Infektion (Varizellen) kommt es, wie beim HSV, zu einer latenten Persistenz des VZV in sensorischen Ganglien. Bei älteren Menschen oder immunsupprimierten Patienten kann es nach Jahrzehnten zu einer Reaktivierung von VZV kommen. Der Kopfbereich, zum Beispiel die Innervationsbereiche des Nervus trigeminus und anderer Hirnnerven (Nervus VII, Nervus VIII) wird in zirka 20 Prozent befallen [Meister, 1998], wobei sich die Erkrankung auf das Ausbreitungsgebiet eines Nerven beschränkt. Meist wird ein Trigeminusast befallen, wobei nach einem kurzfristigen Blasenstadium (Abb. 4) eine Krustenbildung imponiert [Reichart, 1999]. Die Bläschen treten sowohl im Bereich der Haut als auch der Schleimhaut auf und gehen mit starken neuralgiformen Schmerzen einher. Durch einen desmodontalen Befall kann es zu Zahnverlusten kommen. Bei schweren Verläufen ist aufgrund des möglichen paraneoplastischen Auftretens ein Malignom-Ausschluss indiziert [Wagner, 1994].

Eppstein-Barr-Virus (Pfeifersches Drüsenfieber)

Die Epstein-Barr-Virus-Infektion ist ebenfalls durch eine nahezu 100-prozentige Durchseuchung im Erwachsenenalter gekennzeichnet. Bei der Primärinfektion, die meist bei Jugendlichen (Kissing Disease) auftritt, kommt es zu hohem Fieber, Lymphadenopathie und Angina (Abb. 5) unter dem klinischen Bild einer Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber). EBV gilt auch als Kofaktor bei der Entstehung einiger bösartiger Tumoren wie dem Burkitt-Lymphom (Tumor des Oberbeziehungsweise Unterkiefers) in Afrika, sowie dem Nassopharyngealkarzinom in Südchina [Herold, 2005]. Bei der Gabe von Ampicillin tritt häufig ein Exanthem mit starkem Juckreiz auf.

Coxsackie-Viren

Coxsackie-A-Viren verursachen die Hand-Fuß-Mund-Kankheit und auch die Herpangina. Die Hand-Fuß-Mund-Krankheit beginnt vor allem bei Kindern mit grippalen Krankheitszeichen, die manchmal aber auch symptomarm verlaufen. Später stellt man typische Veränderungen an den Händen und Füßen in Form von rötlichen Flecken, kleinen Knötchen oder Bläschen an den Handinnenflächen und Fußsohlen fest, die auch an der Mundschleimhaut auftreten können. Enoral findet man zwei bis drei Millimeter große Bläschen mit dunkelrotem Rand, die nach dem Platzen schmerzhafte kleine Geschwüre im Bereich des weichen Gaumens bilden, die denen der Herpangina ähneln (Abb. 6) und häufig zum Aufsuchen des Zahnarztes führen. Therapeutisch werden schmerzlindernde und entzündungshemmende Tinkturen oder Spüllösungen angewendet [Nobel, 2005].

Humane Papillomaviren

Durch DNA-Viren aus der Gruppe der Humanen Papillomaviren (HPV) werden zum Beispiel Warzen hervorgerufen. Sie können in jedem Lebensalter auftreten und sind oft an Händen und Füßen lokalisiert, können aber auch perioral und oral in Erscheinung treten. Verrucae vulgares müssen nicht therapiert werden. Für störende enorale Warzen wird die chirurgische Therapie im Vordergrund stehen, die auch der histologischen Diagnosesicherung dient [Bork, 1993].

Morphologisch sind vulgäre Warzen nicht von spitzen Kondylomen (Condyloma acuminata) zu unterscheiden (Abb. 7), die ebenfalls, wenn auch selten, an der Mundschleimhaut vorkommen können [Henley, 2004]. Anogenitale Condylome und orale Papillome werden überwiegend durch HPV 6 und 11 verursacht. Die HPV-Typen 16 und 18 werden unter anderem für die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs und etwa 15 Prozent der Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinome verantwortlich gemacht [SHAH, 1996]. Die Therapie der Wahl bei oralen Papillomen ist ebenfalls die Exzision.

Masern-Virus

Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion. Die Erkrankung beginnt mit Fieber, Grippesymptomen und katarrhalischen Erscheinungen mit Konjunktivitis. Charakteristischerweise finden sich kalkweiße Stippchen auf stark geröteter Wangenschleimhaut (Koplik´sche Flecken). An das Prodromalstadium schließt sich ein makulopapulöses Exanthem (Abb. 8) an, das zunächst hinter den Ohren und im Gesicht beginnt und sich dann über den gesamten Körper ausbreitet. Als typische Kinderkrankheit fällt die Therapie in das Fachgebiet der Pädiatrie.

HIV (Human Immunodeficiency Virus)

Heute sind mehr als 39 Millionen Erwachsene weltweit mit HIV infiziert oder haben Aids [UNAIDS, 2004]. Akzidentelle Übertragungen im zahnmedizinischen Bereich durch Verletzungen an HIV-kontaminierten Gegenständen (Kanülen, Skalpelle, und dergleichen mehr) kommen vor, spielen zahlenmäßig aber eine untergeordnete Rolle. Für perkutane Verletzungen im medizinischen Bereich wurde in mehreren prospektiven Studien ein mittleres Übertragungsrisiko von 1:300 ermittelt [Marcus, 2000]. Im Gegensatz dazu ist das Übertragungsrisiko bei HIV-infizierten Patienten mit zwei bis acht Prozent um ein Vielfaches höher zu bewerten [Schreier, 2001]. Eine HIV-Infektion sollte daher nicht Anlass zum Ausschluss von zahnärztlicher Behandlung sein. Die Beachtung üblicher Schutzmaßnahmen (Nadeln oder Skalpelle nie in die Hülle zurückstecken, Handschuhe, Schutzbrille und so weiter) gilt als ausreichend. Nach beruflichem Kontakt mit einer potentiell infektiösen Flüssigkeit muss ein D-Arzt-Verfahren eingeleitet werden.

Die HIV-assoziierten oralen Manifestationen sind drei Gruppen zugeordnet. Die Gruppe I beschreibt Veränderungen mit direkter Assoziation zur HIV-Infektion. Hierzu gehören Erkrankungen, von denen das Kaposi-Sarkom (Abb. 9) AIDS-definierend ist, das heißt Patienten mit Auftreten eines Kaposi-Sarkoms haben die Schwelle von der HIV-Infektion zur AIDS-Erkrankung überschritten [AIDS-Hilfe, 1999].

Zusätzlich werden bei 30 Prozent der HIVInfizierten an den lateralen Zungenrändern weiße, nicht abwischbare Veränderungen beobachtet, die als orale Haarleukoplakie (Abb. 10) bezeichnet werden [Reichart, 1999]. Im Verlauf treten Soor (Candidiasis) nekrotisierende Gingivitiden (ANUG) und Non-Hodgin-Lymphome hinzu.

Die Veränderungen der Gruppe II werden weniger deutlich mit HIV in Zusammenhang gebracht. Dazu gehören virale Infektionen (Herpes-Gruppe), die zu einer raschen Ausbreitung führen können. Auch Condyloma accuminata, die durch humane Papillomaviren (HPV) verursacht werden, können auftreten. Zu weiteren wichtigen Veränderungen dieser Gruppe gehören Speicheldrüsenerkrankungen unter dem klinischen Erscheinungsbild einer Xerostomie, wobei die Parotis am häufigsten betroffen ist.

In der dritten Gruppe finden sich Krankheitsbilder mit geringer Assoziation zur HIV-Infektion. Auch neurologische Erkrankungen, wie Fazialisparesen und Trigeminusneuralgien werden beobachtet. Letztlich sind „aphthöse“ Veränderungen in die dritte Gruppe mit einzubeziehen. Die meisten Erscheinungen der dritten Gruppe können auch bei Nichtinfizierten auftreten. Sie stellen keine direkte Assoziation zur HIV-Infektion dar. Bei HIV-Positiven sind aber in allen drei Gruppen das Ausmaß und die Beherrschbarkeit der Symptome und Erkrankungen häufig progredienter [AIDS-Hilfe, 1999].

Bakterielle Infektionen

Die häufigsten bakteriellen Entzündungen der Mundhöhle sind akute odontogene Infektionen, die von Zähnen oder vom Zahnhalteapparat ausgehen. Sie führen als aerobanaerobe Mischinfektionen zu entzündlichen Veränderungen in der unmittelbaren Umgebung (apikale Ostitis, Gingivitis, Parodontitis), die sich regional (Abszess) oder auf lymphogenem und/oder hämatogenem Wege (Sepsis) weiter ausbreiten können [Buch, 2003]. Akute periorale Infektionen (Rötung, Schmerz, Schwellung und „Fluktuation“) können als Furunkel oder Karbunkel (Abb. 11) in Erscheinung treten. Ein weniger ausgeprägter Befund lässt bei Männern auch an eine gewöhnliche Perifollikulitis denken. Zu den mikrobiellen Erregern gehören Staphylokokkus aureus, koagulase-negative Staphylokokken, gramnegative Bakterien, Pityrosporum-Hefen und Dermatophyten. Die Impetigo contagiosa ist eine ansteckende, oberflächliche Infektion der Haut durch Streptokokken oder Staphylokokken. Charakteristisch sind oberflächliche Bläschen, die später in Pusteln übergehen und verkrusten. Die entstehenden Krusten haben häufig eine honiggelbe Farbe. Sie treten bevorzugt bei Kindern meist im Gesicht (Kinn) und an den Extremitäten auf [Bork, 1984].

Erysipel (Wundrose)

Als Erysipel (Wundrose, Rotlauf) wird eine scharf begrenzte ausgeprägte Rötung im Gesicht bezeichnet, die flammenförmig rasch fortschreitet (Abb. 12). Ursächlich ist eine Infektion der Lymphgefäße der Haut durch ß-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (Streptococcus pyogenes), die oft mit Fieber und Schüttelfrost einhergeht und nach Bagatelleverletzungen (zum Beispiel Rhagade) entstehen kann. Prädisponierend sind Läsionen mit lymphatischer Abflussstörung [Keitzer, 2003]. Meist ist ein promptes Ansprechen auf die Penizillintherapie zu verzeichnen. Die Diagnose bereitet meist keine Schwierigkeiten und kann als Blickdiagnose gestellt werden [Bonnetblanc, 2003].

Scharlach

Beim Scharlach treten neben einer Streptokokkenangina (makulöses, dunkelrotes Enanthem) zusätzlich ein Enanthem des Gaumens und eine Himbeerzunge auf (Abb. 13). Die Diagnose Scharlach ist neben hohem Fieber und schwerem Krankheitsgefühl hauptsächlich durch das Auftreten des typischen, feinfleckigen, konfluierenden Scharlachexanthems definiert. Dieses samtartig erhabene Exanthem beginnt am Stamm und im Gesicht, breitet sich rasch über den Körper aus, spart den Perioralbereich bei starker Wangenrötung aus und ist in den Leistenbeugen stärker ausgeprägt. Es ist wegdrückbar, blasst nach zwei Tagen ab und führt meist zu feinlamellärer Schuppung, die sich vom Gesicht nach distal ausbreitet und an den Extremitäten am stärksten ausgebildet ist [Keitzer, 2003]. Es können, wie bei anderen Streptokokkeninfektionen, auch nach der Genesung Komplikationen, wie Myokarditis, Glomerulonephritis und Polyarthritis, auftreten [Herold, 2005].

Aktinomykose

Die Aktinomykose ist eine eitrig einschmelzende und granulomatöse Infektionskrankheit mit überwiegend chronischem Verlauf [Neville, 2002]. Die Erreger sind fakultativ pathogene, grampositive und anaerobe Fadenbakterien, die regelmäßig in der Mundhöhle vorkommen. Das klinische Bild der Aktinomykose ist meist durch eine brettharte, bläulich livide Induration des betroffenen Hautabschnittes (Abb. 14) mit teilweise eitrig-rezidivierender Fistelbildung gekennzeichnet (Abb. 15). Die richtige diagnostische Einordnung dieses vielgestaltigen Krankheitsbildes kann erst durch den charakteristischen histologischen Befund mit den typischen Aktinomyzesdrusen sowie durch den kulturellen Nachweis der Aktinomyzeten erfolgen [Altmeyer, 2004].

Lues (Syphilis)

Der Erreger der Syphilis (meldepflichtig), Treponema pallidum, gehört zu den Spirochäten. Häufigster Übertragungsweg ist der Geschlechtsverkehr mit einem Infektionsrisiko von 30 Prozent. Es handelt sich um eine chronischzyklische Infektion. Beim so genannten Primäraffekt (nur zehn Prozent extragenital) handelt es sich um eine derbe Induration an der Eintrittspforte, die in ein schmerzloses Ulcus mit Randwall (Abb. 16) übergeht (Ulcus durum, harter Schanker). Zusammen mit einer regionalen Lymphadenopathie wird dies als Primärkomplex bezeichnet (Lippe 60 Prozent > Zunge > Gaumen > Frontzahngingiva) [Wagner, 1994].

Differentialdiagnostisch ist an Herpes simplex und Karzinome zu denken. Im Lues II-Stadium fallen „Plaques muqueuses“, sehr infektiöse weißliche Plaques an der Zungenoberfläche auf (bei fehlendem grauen Belag „Plaques lisses“). Das Luesenanthem (rote Flecken bukkal und weicher Gaumen) entwickelt sich im weiteren Verlauf zu den grau belegten „Plaques opalines“. Heute werden nur noch selten Veränderungen der Lues III beobachtet. Oral finden sich dann zum Beispiel Gumma (knotige Infiltrate) an Lippen oder Zunge. Die Diagnose erfolgt serologisch, in Stadium I und II darüber hinaus über Erregernachweis (aus Reizsekret) im Dunkelfeldmikroskop [Heyer, 2002]. Bei der angeborenen Lues (Lues connata) sind Tonnenzähne (Hutchinson-Zähne, obere Schneidezähne) mit halbmondförmiger Einkerbung des freien Zahnrandes, sowie Parrotfurchen, narbige Einkerbungen perioral, zu erwähnen. Therapie der ersten Wahl ist und bleibt Penicillin G, da eine Resistenzentwicklung bisher nicht bekannt ist [Petzold, 2001].

Tuberkulose und atypische Mykobakteriosen

Die Tuberkulose (Mykobakterium tuberkulosis) ist eine chronisch verlaufende Infektionskrankheit, die durch HIV und Immigration wieder an Bedeutung gewinnt. Bei einer jährlichen Inzidenz von zirka 14/100 000 in Deutschland treten 85 Prozent der Tuberkuloseinfektionen in der Lunge auf [Geldmacher, 2002]. Kurze Zeit nach der Infektion entsteht die Primärtuberkulose (isolierter Entzündungsherd, meist Lunge). Die übrigen Manifestationen betreffen etwa zur Hälfte Lymphknoten und hier zu einem erheblichen Anteil die Kopf-Hals-Region [Al-Serhani, 2001]. Ein oraler Primärkomplex ist selten und äußert sich vor allem als kleines Ulcus mit weichem Randsaum und schmierig belegtem Grund (Wangen, Lippen, Rachenring). Die Erreger können sich im Körper ausbreiten und nach Jahren entsteht dann durch Reaktivierung die Postprimärtuberkulose mit fortschreitender Organentzündung. In 90 Prozent der Fälle entsteht eine zervikale Lymphknoten-Tuberkulose als so genannte „postprimäre Erkrankung“. Die Tuberkulose wird ansteckend, wenn ein Entzündungsherd aufbricht und die Erreger nach außen gelangen (meldepflichtig).

Aus zahnärztlicher Sicht interessieren drei Formen mit oralen Manifestationen [Straßburg, 1991]:

Tuberkulosis ulzerosa (Stomatitis tuberculosa ulcerosa)

Entsteht im fortgeschrittenen Stadium einer Tuberkulose. Oberflächliche Ulzerationen (Abb. 17) mit gezackten unterminierten Rändern, gelbgrauem Geschwürsgrund und Knötchen in der Umgebung (Zunge, Schleimhaut) [Bork, 1993].

Tuberkulosis cutis colliquativa (Hauttuberkulose)

Dies kommt besonders im Halsbereich vor und ist von den Lymphknoten ausgehend. Einzelne schmerzlose subkutane Knoten (Abb. 18), die miteinander konfluieren, erweichen und nach außen durchbrechen, wobei Ulzerationen mit weichen unterminierten Rändern und Fisteln entstehen. In seltenen Fällen auch im Bereich der Mundhöhle (Zunge).

Tuberkulosis cutis luposa

Hirsekorn- bis erbsengroße blaßrote oder grauglasige Knötchen mit geröteter Umgebung oder papillomatöse Wucherungen, die zunächst von einem weißlich getrübten Epithel überzogen sind und letztlich ulzerieren und konfluieren. Bei Befall der Gingiva sind Lockerungen der Zähne möglich. In den Lippen kann es durch Lymphstauung zu einem Ödem mit anschließender Bindegewebshyperplasie kommen.

Atypische Mykobakteriosen

Atypische Mykobakteriosen sind fast immer disseminierte Infektionen, die unspezifische Symptome (Fieber, Gewichtsverlust), Diarrhoe und vor allem cervikale Lymphknotenschwellungen (derbe Hautinfiltration) bei Kindern verursachen können. Fehlen adäquate Ursachen einer unspezifischen Lymphadenitis und / oder ist die Lymphadenitis einer konventionellen Therapie nicht zugänglich, ist eine chirurgische Intervention mit histologischer und mikrobiologischer Diagnosesicherung zu empfehlen. Mehr als 90 Prozent aller Erkrankungen bei HIV-Infizierten werden durch Atypische Mykobakterien verursacht [Brockmeyer, 1999].

Pilzinfektionen

Soor

Der Hefepilz Candida albicans findet sich auch bei Gesunden gelegentlich in geringem Ausmaß an der Mundschleimhaut. Eine Candidainfektion (Soor) führt erst bei immunkompromittierten Patienten oder bei systemischer Immunschwäche (wie AIDS) zu klinisch manifesten Symptomen (Abb. 19). Auch eine systemische oder lokale Antibiotikagabe kann ebenso wie eine schlechte Mundhygiene oder eine „alte“ Prothese zu Soor-Stomatitis beitragen. Es zeigen sich abwischbare weißliche bis fleckige grau-weißliche Beläge auf der Zunge und den Schleimhäuten.

Neben der akuten pseudomembranösen Form werden chronisch hyperplastische Formen unterschieden. Man kennt atrophische (nach Abwischen des Belages leicht blutende Schleimhaut) sowie hypertrophische Formen. Auch bei Glossitis rhombica mediana lässt sich häufig sekundär eine Candidabesiedelung nachweisen [Heyer, 2002]. Da im Hautbereich, gerade im feuchten Milieu, die Soor-Infektion auftritt, wird bei reduzierter vertikaler Distanz und Hypersalivation auch häufig eine Perleche beobachtet. Diese ekzematöse Läsion mit Rhagaden der Mundwinkel entsteht meist ebenfalls durch eine Infektion mit Candida albicans. Die Behandlung besteht in topisch verabreichten Breitband-Antimykotika (Fluconazol, Nystatin) [Wagner, 1994].

Aspergillose

Diese Pilzerkrankung ist in erster Linie auf die Überpressung (Endodontie) von gewebereizendem, zinkoxidhaltigem Wurzelfüllmaterial in die Kieferhöhle (Oberkieferseitenzahnbereich) zurückzuführen. Im zinkreichen nekrotischen Material finden inhalierte Aspergillosesporen ideale Wachstumsbedingungen vor. Das Aspergillom, ein zwiebelschalenartig geschichteter Pilzball, liegt frei in der Kieferhöhle, in dessen Zentrum sich das verursachende Wurzelfüllmaterial meist befindet. Klinisch stellt sich häufig eine einseitig verschattete Kieferhöhle mit metalldichtem Fremdkörper dar. Die einseitige Sinusitis heilt nach Entfernung des Fremdmaterials meist spontan ab [Sailer, 1996].

Zusammenfassung

Veränderungen der Mundschleimhaut werden häufig zuerst vom Zahnarzt entdeckt. Diese Schleimhaut- oder auch perioralen Hautveränderungen können Symptome vieler Erkrankungen oder Infektionen darstellen. Der vorliegende Artikel gibt eine Übersicht über die oralen und perioralen entzündlichen Schleimhautveränderungen wie Soor, Herpesvirusinfektion oder Herpangina. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die möglichen Ursachen und ihre Behandlung gelegt.

Dr. Dr. Rainer S.R. Buch

Dr. Dr. Oliver Driemel

Univ.-Prof. Dr. Dr.Torsten E. Reichert

Klinikum der Universität Regensburg

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und

Gesichtschirurgie

Franz-Josef-Strauß-Allee 11

93053 Regensburg

rainer.buch@klinik.uni-regensburg.de

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