Infektionskrankheiten

Bewegung an der Front gegen multiresistente Hospitalkeime

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Heftarchiv Medizin
Seit Jahren verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen multiresistenten Hospitalkeimen und wirksamen Antibiotika zu Gunsten der Erreger. Diese bedrohliche Situation ist durch die gleichzeitige Gefahr einer viral verursachten Pandemie zwar etwas aus dem Fokus der öffentlichen Diskussion geraten, die Verschlechterung der Chancen infizierter Klinikpatienten war jedoch bislang nicht aufhaltbar. Diese prekäre Lage könnte sich nun durch die seit Jahren erste Einführung eines Vertreters einer neuen Antibiotikaklasse verändern.

Das Bedrohungspotential von Krankenhauspatienten, die sich etwa einer offenen Operation unterziehen müssen, durch Infektionen wird durch drei Kürzel markiert: MRSA, VRE und ESBL. Diese Kürzel stehen für die aggressivsten bakteriellen Keime, die es in der Geschichte des Kampfes gegen Infektionskrankheiten bislang gegeben hat, nämlich „Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus“, „Vancomycin-resistente Enterokokken“ und als dritte Gruppe „Extended-Spectrum-Betalaktamasen-bildende Enterobacteriaceae“. Wie das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System KISS verzeichnet, nimmt die Zahl solcher Infektionserreger speziell in der Intensivmedizin ständig zu, was die Abbildung für MRSA aus dem Zeitraum zwischen 1997 und Juni 2002 verzeichnet. Diese Entwicklung hat sich nach Prof. Hartmut Lode, Berlin, in den letzten Jahren noch beschleunigt. Die Keime sind gegen herkömmliche Antibiotika oftmals derart resistent, dass sich nur unter äußersten Schwierigkeiten und unter dem Risiko erheblicher Nebenwirkungen der eine oder andere Patient dennoch retten lässt.

Glycylcycline

Diese Entwicklung ist auch deswegen so erschreckend, weil noch vor Jahrzehnten ergiebige Forschungsinitiativen von Pharmafirmen auf dem Sektor der Antibiotikaentwicklung vor allem durch die auch in Deutschland eingeschränkte Ertragslage so unattraktiv geworden sind, dass die meisten Firmen ihre Forschungsanstrengungen auf andere Gebiete verlagert haben. Ein gutes Beispiel dafür sind die Aktivitäten der deutschen Firma Bayer, die mit Moxifloxacin ein letztes Antibiotikum auf den Markt brachte und danach die weitere Substanzforschung auf dem Gebiet der Antiinfektiva einstellte. Bayer war noch nicht vor allzu langer Zeit die weltweit führende Firma auf dem Gebiet der Antibiotikaforschung und hat hier Pioniertaten vollbracht. Jetzt gilt dieser Bereich als „ausgeforscht“. Problematisch ist dies, da Staaten, die einerseits wie Deutschland den Pharmamarkt strangulieren, auf der anderen Seite nicht bereit sind, wenigstens kompensierend in die öffentliche Forschung zu investieren. So kam Antibiotikaforschung in Deutschland nach dem Ausstieg von Bayer praktisch zum Erliegen.

Noch kommen Neuprodukte aus dem Ausland nach Deutschland, die hier allerdings teuer erworben werden müssen und kaum noch einheimische Arbeitsplätze tragen. Das beste und lange erwartete Beispiel ist die Einführung von Tigecyclin. Es markiert seit Jahren erstmalig wieder eine neue Antibiotikaklasse. Daher konnte es auch bereits Mitte Mai in Deutschland durch die USamerikanische Firma Wyeth nach einem beschleunigten europäischen Zulassungsverfahren angeboten werden. Tigecyclin ist der erste Vertreter der Glycylcycline, die sich wiederum aus den Tetracyclinen ableiten lassen.

Nur ein Etappensieg

Mit Tigecyclin steht erstmals ein Antibiotikum zur Verfügung, das zum Zeitpunkt seiner Einführung gegen alle drei Klassen der multiresistenten Krankenhauserreger wirksam ist. Die Einschränkung, dass die Aussage „zum Zeitpunkt seiner Einführung“ gilt, ist wichtig. Tigecyclin markiert nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach keinen endgültigen Sieg gegen die hoch gefährlichen Erreger, sondern bestenfalls eine gewonnene Etappe in einer längeren Schlacht. Bislang sind noch immer die Erwartungen enttäuscht worden, wenn man glaubte, nun endlich Antibiotika gefunden zu haben, gegen welche die bekämpften Bakterien keine Resistenzen entwickeln könnten. Lediglich selten gebrauchte – meist nur parenteral verfügbare und nicht harmlos anwendbare – Antibiotika waren von einer schnelleren Resistenzentwicklung verschont geblieben und bildeten die so genannte Antibiotikareserve. Man kann nur hoffen, dass Tigecyclin mit der nötigen Differenzierung angewandt wird und noch lange wirksam bleibt. Derzeit ist Tigecyclin in vitro hochwirksam gegenüber Gram-positiven und Gram-negativen ambulant erworbenen sowie in Krankenhäusern vorkommenden Keimen – mit Ausnahme von Pseudomonas aeruginosa, das allerdings mit mehreren Antibiotika gut bekämpft werden kann. Tigecyclin ist sensibel gegenüber aeroben und anaeroben Gram-positiven und Gram-negativen Erregern, gegenüber MRSA, VRE und ESBL, wie schon beschrieben. Die Ergebnisse der G-TEST-Studie (German Tigecycline Evaluation Surveillance Trial), die Dr. Frank Kipp aus Münster präsentierte, belegten eine hohe Potenz der Substanz gegenüber einzelnen Spezies. In 15 Zentren Deutschlands wurden 200 Gram-positive als auch Gramnegative Keime gesammelt und ausgetestet. Tigecyclin zeigte sich wirksam gegenüber Escherichia coli, Enterobacter cloacae, Acinetobacter baumannii, MRSA und MSSA (Methicillin-sensibler Staphylococcus aureus) sowie Enterococcus faecium, womit in etwa das ganze Spektrum der gefährlichsten Erreger erfasst wird.

Um die bekannten Schwächen abzudecken, ist Tigecyclin gut mit Piperacillin, Cephalosporinen oder Carbapenemen kombinierbar, so Prof. Lode auf einem einführenden Symposium der Firma Wyeth Mitte März in Frankfurt.

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