Hauptstadtkongress 2006

Glückliche Nachbarn

Heftarchiv Gesellschaft
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Die Gesundheitsreform in den Niederlanden ist seit Jahresbeginn in Kraft. Auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit wurde das Modell ausgiebig diskutiert. Fazit: Als Blaupause für Deutschland eignet es sich nicht. Trotzdem würde sich Ulla Schmidt gerne die eine oder andere Scheibe davon abschneiden.

Besonders gut gefiele ihr, ließ die Ministerin verlauten, dass die Niederländer private und gesetzliche Krankenkassen unter einem Dach vereint hätten: „Alle Kassen unterliegen den gleichen Wettbewerbsbedingungen und können sich zum Beispiel ihre Patienten nicht aussuchen. Ich sehe nicht ein, warum ein solcher Kontrahierungszwang nur für gesetzliche Kassen gelten soll“, erklärte Schmidt in ihrer Rede zur Eröffnung des dreitägigen Kongresses für die Bereiche Krankenhaus, Pflege und Ärzte.

Unterschiedlich gewachsen

Bei aller Bewunderung für die Reform wies die Ministerin jedoch auch auf nationale Besonderheiten hin. Die Systeme beider Länder hätten zwar ähnliche Wurzeln, seien aber unterschiedlich gewachsen, analysierte sie. Ein entscheidender Unterschied: Die privaten Kassen in den Niederlanden funktionierten nach dem Umlageprinzip, hatten also anders als die deutschen, kapitalgedeckten Pendants keine Altersrückstellungen gebildet. Einer Zusammenlegung stand so weniger im Weg. Aus diesem Grund und – wie der angereiste niederländische Gesundheitsminister Hans Hoogervorst hinzufügte – weil die Niederlande mit 16 Millionen Einwohnern erheblich kleiner seien, könne die Reform nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen werden.

Für sein Land zog Hoogervorst eine positive Reformbilanz: „Eins unserer Ziele war es, den Bürgern klar zu machen, wieviel Gesundheit eigentlich kostet“, erklärte er. Seiner Meinung nach ist dieser Plan geglückt, denn bisher haben neun Prozent der Niederländer ihre Kasse gewechselt. Hoogervorst sieht das als Zeichen dafür, dass zwischen den Kassen ein echter Wettbewerb entstanden ist. Von heute auf morgen, erinnerte Hoogervorst, könne man eine umfassende Reform jedoch nicht umsetzen. Im Gegenteil: „Die Niederlande haben dafür Jahrzehnte gebraucht.“

Entschlackungskur

Soviel Zeit will sich die Große Koalition nicht mehr geben. Die Weichen sollen bald gestellt werden. Ulla Schmidt ließ ganz klar erkennen – auch wenn zum Zeitpunkt des Hauptstadtkongresses noch Stillschweigen Buin punkto Gesundheitsreform verabredet war – wohin der Weg ihrer Meinung nach gehen soll: „In Deutschland fließen zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Gesundheit. Das muss reichen, um die 80 Millionen Versicherten zu versorgen.“ Um die nötige Effizienz zu erreichen, müssten die Mittel nur richtig eingesetzt werden. Entschlacken war in diesem Zusammenhang eines der Schlüsselwörter, das Schmidt in ihrer Rede zur Eröffnung des dreitägigen Kongresses für die Bereiche Krankenhaus, Pflege und Ärzte nannte. „Entschlacken“ will sie die überbordende Bürokratie, die Geld kostet – und Zeit.

Beispiel Krankenhaus: „Die Arbeitszeit der Ärzte muss den Kliniken zu kostbar sein, als dass sie sie drei Stunden über Akten sitzen lassen“, sagte Schmidt. Diese Aufgabe könnten stattdessen Dokumentationsassistenten übernehmen. Im Kampf gegen die Bürokratie haben die streikenden Krankenhausärzte die Ministerin demnach ganz auf ihrer Seite. Wenig Verständnis zeigte sie allerdings für deren „überzogene“ Forderung nach 30 Prozent mehr Gehalt. „Ich weiß ganz einfach nicht, wer das bezahlen soll.“ Dennoch: Ärztliche Arbeit müsse von bürokratischem Aufwand befreit werden. Zudem plädierte Schmidt dafür, sich bei der Honorierung vom Punktesystem zu verabschieden und medizinische Leistungen in Euro und Cent abzurechnen.

Eine Entschlackungskur würde die Ministerin auch den Krankenkassen gerne verordnen: „Wenn es eine Mindestmitgliedzahl von 100 000 gäbe, würden auf einen Schlag 100 Kassen verschwinden“, rechnete sie vor. Der Effekt für die Entbürokratisierung wäre ihrer Ansicht nach enorm.

Für Schmidt steht fest: Gesundheit wird in Zukunft teurer. Zum einen aufgrund der demographischen Entwicklung und zum anderen, weil medizinischer Fortschritt seinen Preis hat: „Innovationen sind wunderbar, aber teuer. Was die Bürger für Gesundheit aufbringen müssen, kann daher nicht weniger werden.“

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