Editorial

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Liebe Leserinnen und Leser,

als „die tageszeitung“ letztes Jahr eine Liste der „zehn bekanntesten Hochstapler der Welt“ veröffentlichte, gab es unter ihnen einen „falschen“ Arzt: Der Briefträger Gert Uwe Postel erschwindelte sich diesen eher unrühmlichen Rang als vorgeblicher Psychiater und Nervenarzt. Und er fiel – mitten im zeitgenössischen Deutschland – damit lange nicht auf. Ein Aufsehen erregender Fall, der ihm – noch dazu als Wiederholungstäter – nicht nur eine Gefängnisstrafe, sondern auch die Veröffentlichung seiner Erlebnisse und gute Verkaufszahlen seiner „Doktorspiele“ einbrachte. Ein Einzelfall in der Medizin?

Sicher: Geläufiger, weil unterhaltsamer scheinen laut „taz“-Ranking die „Köpenickiaden“ eines Schusters wie Wilhelm Vogt oder die – ganz bewusst Sympathie einfordernden – Betrügereien einer Thomas Mannschen Kunstfigur wie Felix Krull.

Fälle wie diese haben in den Köpfen der Leute – und auch im Ranking der „taz“ – ihren festgefügten Platz. Sie prägen das gängige, oft sogar mit Achtung vor der betrügerischen Leistung besetzte Bild des Hochstaplers in der breiten Öffentlichkeit.

Belangt und bestraft werden die Kriminellen in der Regel für Delikte wie Betrug oder Urkundenfälschung. Und die gutgläubigen, hinterher oft hoffnungslos erstaunten Opfer entlocken manchem Mitmenschen eher Spott denn Mitleid.

Dabei gehören Reaktionen wie diese gar nicht in die Kategorie bestaunenswerter „Robin-Hoodiaden“. Hochstapelei ist und bleibt: Betrug. Und der ist um so schwerwiegender, wenn er in Bereichen erfolgt, in denen damit weit mehr als „nur“ ökonomischen Schaden angerichtet wird.

Gert Postel ist, wie unsere Titelstory zeigt, kein medizinischer „Einzelfall“. Dass die gesellschaftlich geachtete Position des Arztes die Fantasie von Hochstaplern anregt und dazu herausfordert, sich den Nimbus eines „Doktors“ zuzulegen, beweist eine Reihe durch die Jahrzehnte dokumentierter Beispiele. Unter ihnen ist das des Gert Postel allenfalls besonders eklatant.

Auch wenn „gefälschte“ Mediziner eine Randerscheinung bleiben, das Phänomen wird es weiterhin geben. Der verantwortungsschwere Beruf des Arztes zieht diejenigen an, die sich Macht und Einfluss versprechen. Zu groß scheint die Versuchung, in die Rolle eines „Halbgottes in Weiß“ zu schlüpfen.

Wer etwaigen erfolgreichen Versuchen auf diesem Feld aber Bewunderung zollt, macht sich die potentielle Tragweite eines solchen Vergehens kaum bewusst. Hier droht mehr als Vertrauensmissbrauch. Im Zweifel stehen Gesundheit und Leben von Patienten auf dem Spiel.

Das ist, wenn nicht formaljuristisch, dann zumindest ethisch alles andere als eine heimlich oder unheimlich zu bewundernde Gaunerei.

Mit freundlichem Gruß

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