Dermatosen in der Zahnarztpraxis

Pemphigus vulgaris

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Patienten mit der Blasen bildenden Autoimmunerkrankung Pemphigus vulgaris sind oft viele Monate bei verschiedenen Ärzten in Behandlung bevor der Dermatologe eine Therapie einleiten kann. Die augenscheinliche Verdachtsdiagnose des Zahnarztes kann bei anamnestischen und klinischen Verdachtsmomenten den Leidensweg von Patienten extrem verkürzen. Hier ein Fallbericht.

Es wird eine Kasuistik einer Patientin mit einem Pemphigus vulgaris dargestellt, deren zeitliche Verlaufsform typisch für Dermatosen mit ähnlichen Leiteffloreszenzen ist (Epidermolysisgruppe, Pemphigoidgruppe, Dermatitis herpetiformis Duhring). Eine 49-jährige Patientin stellte sich am 29. September 2005 zur zahnärztlichen Untersuchung vor. Sie gab anamnestisch an, seit elf Monaten bei Ärzten und Zahnärzten vorstellig gewesen zu sein und brachte eine Auswahl der verordneten Medikamente mit (Abbildung 1). Sie klagte über penetrante Schmerzen an der Gingiva, die bisher durch keine Medikamente oder Therapie verändert werden konnten. Die Schilderung war von einem starken Leidensdruck geprägt.

Der Befund

• eingeschränkte Mimik

• schmerzhafter Schluckakt

• erosiv und ulzerierend veränderte Gingivaareale mit Spontanblutung auf Sondieren

• erythematöser Rachen mit lokalen Granulationen

• lokal tiefrot gezeichnetes Gaumensegel mit weißlichen, flottierenden, lappigen Veränderungen an den Randbezirken

• lokal weiche und fest anhaftende Zahnbeläge (besonders approximal)

• Sondiertiefen bis 5 Millimeter (mm)

• freiliegende Zahnhälse bis 3 mm

• Bleeding on Probing-Index (BOP) von 40 Prozent, (Abbildungen 2, 3, 4).

Diagnosen

• Nicht primär plaqueinduzierte Gingivitis

• Gingivale Manifestation systemischer Erkrankung [1]

• Chronische Parodontitis – lokal leicht

• Konservierend und prothetisch (Einzelzahnersatz) versorgtes Kauorgan – mit provisorischen Kronen

• Dekapitierter, wurzelkanalbehandelter Zahn/Wurzelrest 45

Im Rahmen der systemischen parodontalen Risikoabklärung wurde die Patientin zur ambulanten internistischen und dermatologischen Untersuchung vorstellig.

Allgemeinbefund

166 cm große, 60 kg schwere Patientin. Internistische und neurologische Untersuchung ohne pathologischen Befund

Hautbefund

Kleines Ulcus von 2 mm Ø Größe am Scheidenausgang. Am Bauchnabel eine 1 cm große Blase. Kleine feine Teleangiektasien im Bereich beider Wangen.

Immunologie

ANA, c-Anca, p-Anca, Autoantikörper Leber, Magen, Darm negativ. Gliadin-Antikörper positiv (unspezifische Erhöhung möglich). Hautantikörper Desmosomen positiv, Hautantikörper gegen Basalmembran negativ.

Histologie und Immunhistologie

Hautbiopsie mit intraepidermaler Blase – Zeichen einer Akantholyse/subbasal.

Diagnose: Pemphigus vulgaris. Keine Ablagerung von Immunoglobulin und Komplement.

Der histologische Befund entspricht einem Pemphigus vulgaris

Gynäkologisches Konsil

Verdacht auf Pemphigusherd am äußeren Genitale. Introitus vaginae auf 6 Uhr.

Histologie Colon

Unauffällige Dünndarmschleimhaut. Stufenbiopsien vom Colon ascendens bis Rektum mit leichter follikulärer lymphatischer Hyperplasie, keine Entzündung, hyperplastisch, metaplastischer Colonpolyp.

Therapie und Verlauf bei der Patientin

In stationärer Behandlung erfolgte eine systematische Therapie mit Kortikosteroiden bei histologischem Nachweis eines Pemphigus vulgaris. Reduktion bis auf 30 mg Urbason/Tag bei Entlassung, darunter kein Auftreten neuer Herde. Zur Therapie des Soor wurden Amphomoronal Lutschtabletten verordnet 6x/die. Die Mundpflege wurde mit Chlorhexidinprodukten und einer extraweichen Zahnbürste durchgeführt, zudem tägliches Zungenbürsten. Es folgte die Applikation von Triamcinolon-Salbe auf die marginale Gingiva. Die Rosazeatherapie der Gesichtshaut wurde mit Metronidazolcreme 2x/die durchgeführt.

Weiterbehandlung

1.Langsame Reduktion des oralen Kortikoids, Scheide Triamcinolonsalbe 1x/die, Vorstellung bei Facharzt Gynäkologie, bei Bedarf Schmerztherapie

2.Amphomoronal Lutschtabletten, Kontrollabstrich

3.Kontinuierliche Weiterbetreuung durch den betreuenden Parodontologen, engmaschige professionelle Gingivitistherapie mit Mundhygienekontrollen, Neuversorgung der Zähne mit Kronen und Füllungen durch den Hauszahnarzt

4.Metronidazol Creme für die Gesichtshaut 2x/die.

Die Patientin hatte trotz symptomatischer medikamentöser Therapie (lokal Triamcinolon) weiterhin erträgliche Schmerzen bei der Mundhygiene und schaffte es durch Eigenmotivation, die Belagsentfernung regelmäßig durchführen. Sie benutzte chlorhexidinhaltige Zahnpasta, ultraweiche Zahnbürste (Butler Gum® Delicate).

Nach der stationären Behandlung im Krankenhaus stellte sich die Patientin am 23. November 2005 zur professionellen medizinischen Zahnreinigung und Mundhygieneschulung vor. Sie wird parodontal behandelt und bleibt zukünftig, in individuellen Terminabfolgen, im Recall zur unterstützenden professionellen Mundhygiene/Gingivitistherapie. Ihr Hauszahnarzt wird demnächst die prothetische Versorgung neu anfertigen.

Diskussion

Von autoimmunologisch bedingten Hauterkrankungen, stellt der Pemphigus vulgaris („pemphix“, griechisch Blase) die schwerste und auch die häufigste Form dar. Die Autoimmunreaktion richtet sich gegen Zellstrukturen (Desmoglein III auf Keratinozyten) in der obersten Epidermis (Abbildung 7). Daraufhin kommt es zur Akantholyse, und es können sich Blasen bilden. Ursachen für diese Erkrankung sind bislang nicht bekannt. Eine Veranlagung, an Pemphigus vulgaris zu erkranken, ist wahrscheinlich vererbbar.

Inzidenz

Das Erkrankungsalter liegt zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr. Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen. Exakte und verlässliche Zahlen fehlen, wobei man davon ausgeht, dass jährlich ein bis zehn Personen von 1 000 000 Einwohnern erkranken. Insgesamt betrachtet ist der Pemphigus vulgaris eine sehr seltene Krankheit, wobei deutliche regionale Unterschiede zu verzeichnen sind. Aus dem mediterranen Raum stammende Menschen erkranken häufiger, was vermuten lässt, dass eine genetische Komponente vorliegt. Früher endete der Pemphigus vulgaris tödlich und die Patienten verstarben vorwiegend an schweren Infektionen, die sich auf dem Boden der umfangreich abgelösten Hautareale gebildet hatten.

Die Krankheitserscheinungen betreffen ausschließlich die Haut und die Schleimhäute in 80 bis 90 Prozent der Patienten. Erste Symptome sind meist schmerzhafte Läsionen im Mund, fetzige Blasenreste an der Mundschleimhaut. Seltener sind Effloreszenzen im Genitalbereich, die sehr schlecht abheilen.

Die Epidermis kann durch leichtes horizontales Reiben abgeschoben werden (sogenanntes direktes Nikolski-Zeichen), wobei nachfolgend ein leichter Druck bereits zu einer Blasenbildung führen kann. Die Symptomatik der Mundschleimhaut ist gelegentlich so ausgeprägt, dass Sprach- und Essstörungen die Folge sein können.

Wenn nach Wochen bis Monaten die Läsionen deutlich sichtbar sind, werden sie oft nicht als Zeichen eines Pemphigus vulgaris erkannt. Noch später erscheinen plötzlich großflächige schlaffe Blasen, die schnell platzen und nässende oder krustig bedeckte offene Hautareale hinterlassen.

Vornehmlich betroffene Areale sind Achselhöhlen, Leistengegend, die Mundschleimhaut, das Gesicht, der Rumpf und die Kopfhaut. Die Erosionen und Ulzerationen sind sehr schmerzhaft und stellen Zutrittspforten für Infektionen dar. In der Schwangerschaft können Antikörper auf das Ungeborene übertragen werden, so dass dieses erkrankt.

Erste Symptome

Der erste Hinweis auf einen Pemphigus vulgaris sind Erosionen im Bereich der Mundschleimhaut, die oft zunächst nicht erkannt werden, was sicherlich damit zusammen hängt, dass ein Arzt/Zahnarzt in seinem gesamten Praxisleben höchstens ein oder zwei Mal mit der sehr seltenen Krankheit konfrontiert ist. Die seltenen aber möglicherweise folgenschweren Hauterscheinungen können außerdem leicht mit anderen blasenbildenden Autoimmun-Dermatosen, zum Beispiel dem bullösen Pemphigoid (subepidermal), verwechselt werden.

Bei Verdacht auf einen Pemphigus vulgaris sollte eine Gewebeexzision/Biopsie folgen. Mikroskopisch wird man erkennen können, dass sich die Hautzellen krankheitstypisch voneinander lösen (Abbildung 7). Mittels der direkten Immunfluoreszenz, lassen sich in der Biopsie die Desmoglein-Antikörper (siehe Schema oben) direkt sichtbar machen. Man kann die Autoantikörper auch im Blut der meisten Betroffenen bestimmen, was aber weniger der Diagnosefindung als der Kontrolle der Therapie und des Krankheitsverlaufes dient.

Conclusio

Der Pemphigus vulgaris ist ein typisches Beispiel dafür, wie eine enge konsiliarische Zusammenarbeit mit behandelnden Internisten und Dermatologen einen Fortschritt in der Heilung von Erkrankungen darstellt. Der Zahnarzt dürfte der erste medizinische Behandler sein, der Effloreszenzen bei den regelmäßigen Untersuchungen der Mundhöhle erkennt. An die Untersuchung der Weichgewebe der Mundhöhle sollte nicht nur im Rahmen der frühzeitigen Krebserkennung und der Parodontaldiagnostik erinnert werden. Die Zusammenhänge mit dermatologischen Erkrankungen sind mannigfaltig, wie am Beispiel des Pemphigus vulgaris zu sehen ist. Die Inzidenz dieser Erkrankung ist zwar gering, das besonders psychische Leiden der Patienten umso stärker.

Dr. Gregor GutscheRizzastr. 12a, 56068 Koblenzpraxis.gutsche@tiscali.de

Dr. Bernhard SorhageBundeswehrzentralkrankenhausDermatologie, Venerologie und AllergologieRübenacher Str. 170, 56072 Koblenz

Literatur1. Gary C. Armitage GC: Development of aClassification System for Periodontal Diseasesand Conditions, I.B.5 Gingival manifestationsof systemic conditions a. mucotaneous disorders3) pemphigus vulgaris. Ann Periodontol1999;4: 1-6.2. Lapidoth M, Davis M, Dan-Arnitai D,Katzenelson V Lustig S, Sandbank M:The efficacy of combined treatment withprednisone and cyclosporine in patients withpemphigus: preliminary study. J Am Dermatol1994; 30: 752-757

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