Gastkommentar

Aufbruch zum Steinbruch

Im Konflikt mit Finanzund Familienpolitik wird der Rahmen für die nächste Gesundheitsreform gesetzt. Das niederländische Modell zeigt einen Weg zum Kompromiss. Bleibt es beim Sparen ohne Fantasie oder schafft die Koalition den Aufbruch zu neuen Strukturen ?
Martin Eberspächer, Leiter der Abteilung Wirtschaft und Soziales im Bayerischen Rundfunk

Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist so gut wie im Boomjahr 2000. Unternehmer zeigen Mut zu Investitionen, Verbraucher Vertrauen trotz stagnierender Einkommen. Angela Merkel hat den Aufbruch geschafft – rein psychologisch betrachtet. Bei der Sanierung von Arbeitsmarkt und Haushalt verfolgen die beiden Volksparteien in der großen Koalition einige Ziele gemeinsam. Sozialminister Franz Müntefering hat die unvermeidliche Anhebung des Rentenalters ab 2012 beschleunigt. Gegen Widerstand aus der eigenen Partei zeigte er Mut zu einer unpopulären Reform vor den Landtagswahlen. Doch stehen konkrete Erfolge der neuen Regierung noch aus.

Offen bleibt, wohin die Reise geht. Neben Ulla Schmidt werden die Chefs der Fraktionen mitentscheiden. Volker Kauder sieht den Sektor als Wachstumsmarkt. Technischer Fortschritt soll für Patienten schneller nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig müsse die Finanzierung von den Lohnkosten abgekoppelt werden. Finanzpolitiker sehen die Krankenversicherung als einen Steinbruch, aus dem sie „Subventionen“ herausbrechen wollen. Der Bundeszuschuss für gesetzliche Krankenkassen von 4,2 Milliarden Euro soll ab 2007 wegfallen. Hinzu käme eine neue Last von 800 Millionen durch die um drei Prozent höhere Mehrwertsteuer für Arzneimittel. Die Summe entspricht einem Beitragspunkt. Dagegen spricht, dass der Fehler, den Staatshaushalt über die Sozialversicherung zu sanieren, bei der Finanzierung der Deutschen Einheit schon einmal gemacht wurde. Er gilt als wesentliche Ursache der Misere auf dem Arbeitsmarkt. Familienpolitiker der Koalition wollen die bisher aus Beiträgen finanzierte Versicherung der Kinder künftig aus Steuermitteln begleichen. Das würde 14 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Im Gegenzug wäre eine spürbare Senkung der Beiträge möglich. Bravo! Doch wie der Finanzminister das finanzieren soll, sagen sie nicht.

Ein heißes Eisen haben die Familienpolitiker in der Öffentlichkeit noch nicht angepackt: Wer soll künftig den Beitrag für nicht berufstätige, bisher mitversicherte Ehegatten bezahlen ? Bei der Suche nach einer gerechten Lösung für unterschiedliche Familien und andere Partnerschaften kommt es auf die Summe der Lasten an. Kinderbetreuungskosten, Steuern und Sozialabgaben für nicht Berufstätige und so genannte „Doppelverdiener“ müssen als Paket bewertet werden.

Aus Sicht der Krankenversicherung ist eine klare und sachgerechte Trennung zu wünschen. Der Ausgleich von Familienlasten sollte künftig möglichst transparent im Steuersystem geregelt werden.

Im Interessenkonflikt zwischen Finanz- und Familienpolitik sind auch Vorschläge, die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt für Ende März in Aussicht gestellt hat, am Ende als „Chefsache“ zu entscheiden. Die Schlagwörter „Bürgerversicherung“ und „Gesundheitspauschale“ stehen sich dagegen nicht mehr wie Feuer und Wasser gegenüber. Das erleichtert die Zusammenarbeit im schwarzen und roten Lager. Bei der Suche nach neuen Wegen kann der Blick zu den Nachbarn hilfreich sein. Besonderes Interesse findet das Reformmodell der Niederlande. Dort werden ein Arbeitgeberbeitrag von 6,5 Prozent des Einkommens und eine Pauschale von rund 1 000 Euro pro Person und Jahr erhoben.

Auf deutsche Verhältnisse übertragen wäre die gemischte Finanzierung durch sozial verträgliche Prämie und prozentuale Gesundheitssteuer vom Einkommen eine Variante, die den Koalitionspartnern entgegen kommt. Der Beitrag der Arbeitgeber könnte eingefroren, durch ein vereinfachtes Verfahren über die Finanzämter eingezogen und an die Krankenkassen weitergeleitet werden.

Offen bliebe die Frage der Zukunft privater Kassen. Als Vollversicherung für eine Minderheit passen sie nicht zu derartigen Modellen. Weil aber der Leistungskatalog bei der gesetzlichen Grundversorgung mit knappen Finanzen kaum zu halten wäre, könnte Spielraum für private Zusatzversicherungen entstehen – für spezielle Heilmethoden, Komfortleistungen und Innovationen. Durch private Zuzahlung ließe sich das Spektrum nach Wahl erweitern.

Mit vereinter Kraft können große Koalitionen große Probleme anpacken. Es besteht aber die Gefahr, dass faule Kompromisse geschlossen werden. Das müssen vor allem kleine Gruppen fürchten, die in den Volksparteien keine große Lobby haben: Zum Beispiel Selbständige und freie Berufe, die sich in eine neue Volksversicherung nicht ohne Weiteres einordnen lassen.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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