Klausurtagung der BZÄK in Brüssel

EU-Wirren um Binnenmarkt für Gesundheit

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Die EU-Richtlinien zur Berufsqualifikation und zur freien Dienstleistung sind aktuelle Beispiele für Brüssels Einflüsse auf die nationalen Gesundheits- „Märkte“ der EU-Mitglieder. Für Deutschlands Heilberufe sind die Folgen – trotz Subsidiaritätsgebot – erheblich. Mit dicht bepacktem Terminkalender führte der Vorstand der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) am 7. und 8. Februar in der EU-Politik-Metropole mit Politikern, Botschaftern, Kommissionsbeamten und Lobbyisten eine Reihe intensiver Gespräche zu diesen aktuellen Themen.

Klausurtagung in Brüssel – und das eine Woche vor erster Lesung der politisch hart umkämpften EU-Dienstleistungsrichtlinie im Europa-Parlament. Insbesondere die noch offenen Fragen um die Konsequenzen für die 454 Millionen EU-Bürger und die Beschäftigten im Gesundheits-„Markt“– jeder zehnte in der Union Erwerbstätige arbeitet im Bereich Gesundheit und Soziales – waren Hauptthema der mit Gesprächsterminen dicht bepackten zwei Tage der BZÄK in Europas Richtlinien-Schmiede.

„Die Heilberufe in Deutschland sind gut beraten, ihren Blick auf Brüssel zu richten“, kommentierte Bundeskammer-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp in seiner Begrüßung der Länderpräsidenten im Brüsseler Büro die aktuelle Lage. Gleichzeitig verwies er auf die kontinuierliche Arbeit des Brüsseler Büros der BZÄK seit 1993. „A & O“ der unter Leitung von BZÄK-Vizepräsident Prof. Dr. Wolfgang Sprekels agierenden Brüsseler Vertretung sei es, so BZÄK-Vertreterin Claudia Ritter, „Kräfte zu bündeln und strategische Allianzen zu bilden“. Nur auf diese Art könne man sich bei den rund 25 000 Beamten und über 700 EU-Abgeordneten erfolgreich Gehör verschaffen.

So geschehen bei den Beratungen zu den jüngsten für das Gesundheitswesen folgenschweren Projekten, der Berufsanerkennungsrichtlinie und der jetzt im gesetzgeberischen Endspurt befindlichen Dienstleistungsrichtlinie. Hier galt es, die Implikationen für Zahnärzte und Patienten zu verdeutlichen – beispielsweise die Nachteile für die Qualität und die Kostenstruktur zahnmedizinischer Versorgung in den nach wie vor abgeschotteten nationalen Versorgungsstrukturen.

Schranken abbauen

Eine kritische Bilanz zur Entwicklung des europäischen Gesundheitswesens zog der EU-Journalist Hajo Friedrich auf der Klausurtagung in seiner einführenden Moderation zu einer „Fachdiskussion über die Dynamik des EU-Binnenmarktes für Gesundheitsdienstleistungen“. Letztlich seien, so Friedrich in der Vertretung des Freistaates Bayern bei der EU, die durch gesellschaftliche Überalterung zu erwartenden Probleme im Gesundheitswesen ein in den westeuropäischen Industriestaaten durchgängig existentes Problem. Und: Im Gesundheitsbereich existiere ein zunehmend harter Wettbewerb um Nachwuchskräfte, der grenzüberschreitende Dienstleistungsverkehr im Gesundheitssektor sei für einige EUNationen, zum Beispiel die Bundesrepublik, bereits Alltagsrealität. Auch die Bürger selbst sähen die EU als wichtigen Ansprechpartner für Gesundheitsthemen: Zehn Prozent aller im EU-Bereich anstehenden Fragen betreffen schon heute, so die Zahlen der Euro- Info-Verbraucherzentrale Kehl in Straßburg, den Bereich Gesundheit.

Entsprechend umfangreich ist die Liste der gesundheitsspezifischen Themen auch im Europäischen Parlament, betonte Dr. med. Thomas Ulmer (EVP/CDU), einer der wenigen Ärzte im Straßburger Parlament, in der Podiumsdiskussion: Prävention, Arbeitsschutz und -sicherheit, Maßnahmen gegen Adipositas oder Alkoholismus, aber auch die Schaffung eines Weißbuches, das die Wirtschaftlichkeit und Effizienz der subsidiär gestalteten Systeme vergleicht, sind Gegenstand der parlamentarischen Debatten. Ein besonders wichtiger nächster Schritt sei es, eine gemeinsame Preisbildung bei Arzneimitteln zu erreichen.

Aktuell wohl wichtigstes Unterfangen war auf der Brüsseler Klausurtagung aber die für den 14. und 16. Februar angesetzte erste Lesung und Diskussion der Dienstleistungsrichtlinie. Ziel dieser von der EU-Kommission erarbeiteten Maßgabe ist, dass Dienstleistungen in der EU auf Basis einheitlicher Mindeststandards angeboten werden. Verbraucher und Patienten sollen Dienste auch jenseits nationaler Grenzen im gemeinsamen Binnenmarkt leichter in Anspruch nehmen können. Damit würde, so die Argumentation der Europäischen Kommission, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Patientenmobilität und Kostenerstattung auf rechtssichere Füße gestellt. Dr. Margot Fröhlinger, bei der Kommission zuständig für die Dienstleistungsrichtlinie: „Hier gilt es, noch vorhandene Schranken abzubauen.“

Herkunft oder Bestimmung

Aber sollte das Gesundheitswesen Bestandteil der Richtlinie bleiben? Die Diskussionsteilnehmer hatten ihre – vom EU-Parlament letztlich auch bestätigten – Zweifel. Frank Wetzel von der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU in Brüssel warnte vor falschen Kompromissen. Man könne nicht nur über Ausnahmen reden, schließlich gebe es den gemeinsamen Dienstleistungsmarkt. Scheitere die Union in dieser Frage, dann erweise sie sich „als partiell handlungsunfähig“.

Arno Metzler vom Bundesverband der Freien Berufe (BFB) versicherte, dass nach Beseitigung der Unsicherheiten in der Berufsqualifikationsrichtlinie, die inzwischen nicht mehr das Herkunftslandprinzip zur Maßgabe für die Berufsausübung mache, andere Voraussetzungen für den gemeinsamen Dienstleistungsmarkt geschaffen wurden. Da nach derzeitigem Diskussionsstand das EU-Parlament für die Herausnahme von Gesundheitsleistungen aus der Dienstleistungsrichtlinie plädiere, sei aus Sicht der Freiberufler eine weitere Initiative erforderlich, die einen gemeinsamen Markt für Gesundheitsleistungen in der EU ermöglicht.

Für eine weit moderatere Vorgehensweise sprach sich hingegen der Direktor des Europäischen Sozialversicherungsverbandes, Dr. Franz Terwey, aus. Seit der Ausweitung der EU-Mitglieder um zehn weitere Staaten entwickelten sich derzeit die nationalen Sozialsysteme eher auseinander. „Die Zeit ist noch nicht reif“, argumentierte Terwey in seinem Plädoyer gegen einen gemeinsamen Gesundheitsmarkt. Komme es zur Schaffung einer eigens auf das Gesundheitswesen abzustimmenden sektoralen Richtlinie, müsse es darum gehen, die nationalen Systeme zu erhalten.

Deutschlands Zahnärzteschaft, so betonte BZÄK-Präsident Weitkamp, habe hingegen kein Verständnis dafür, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur freizügigen Inanspruchnahme gesundheitlicher Dienstleistungen innerhalb der EU mit der Dienstleistungsrichtlinie nicht umgesetzt werde. Auch BZÄK-Vizepräsident Sprekels beklagte sich über die Verunsicherung, dass der Entwurf der Kommission – anders als in der Berufsqualifikationsrichtlinie – ursprünglich das Herkunftslandprinzip als Maßgabe für grenzüberschreitende Dienstleistungen angesetzt habe. Diese Vorgehensweise war, so Sprekels, für Ärzteund Zahnärzteschaft nicht akzeptabel und habe zur ablehnenden Haltung der deutschen Zahnärzteschaft geführt. Sprekels: „Wir wollen in der Richtlinie drinbleiben – aber ohne Herkunftslandprinzip.“

Nicht wie im Supermarkt

Dass die EU-Erweiterung nicht nur im Bereich der Abstimmung von Binnenmarktrichtlinien den Einigungsprozess schwierig gestaltet, bestätigte auch der Botschafter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, Dr. Wilhelm Schönfelder. Die EU müsse grundlegende Fragen beantworten. Die ehemals für die Gemeinschaft zu Grunde gelegten Motive reichten den EU-Bürgern von heute nicht mehr aus. Die großen Aufgaben der EU seien zurzeit die Verabschiedung einer gemeinsamen Verfassung und die Klärung der EU-Erweiterung. Für eine Harmonisierung der nationalen Sozialsysteme sieht der Botschafter der deutschen Vertretung derzeit keine Chance.

Vorab müssten sich die Mitgliedsstaaten einig werden, wie weit eine europäische Integration gehen soll.

Wahrscheinlich bleibt es also bei einer Politik der kleinen, aber für das wirtschaftliche Überleben eines Berufsstandes folgenschweren Schritte. Eine vernünftige Interessensvertretung, so EU-Parlamentsmitglied Dr. Klaus-Heiner Lehne (EVP/CDU) im fachpolitischen Gespräch mit dem BZÄK-Vorstand, sei heute jedenfalls ohne Brüssel nicht mehr zu machen. Lehne skizzierte vorab den aus seiner Sicht zu erwartenden Stand der Entwicklung nach der parlamentarischen Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie. Auch hier sei eine Entwicklung weg vom Herkunftslandprinzip möglich. Lehne: „Freie Berufe sind nicht so behandelbar wie ein Supermarkt.“ Weniger zuversichtlich zeigte sich der CDU-Politiker, dass die absehbare Entscheidung, die Gesundheitsdienste außen vor zu lassen, derzeit noch revidiert wird. Erkennbar sei, dass die EU-Kommission nach anfänglich radikalen Positionen inzwischen eine merklich gemäßigtere Politik führe. Selbst in der Frage der Gebührenordnungen sei es inzwischen gelungen, eine größere Sensibilität bei der Kommission zu erreichen. Auch der EuGH habe inzwischen in einem Urteil die Rechtmäßigkeit der nationalen Gebührenordnung von Anwälten bestätigt. Was das Gesundheitswesen angehe, so habe die EU zwar keine Richtlinienkompetenz. Wohl aber würden Gesundheitsdienstleistungen als wirtschaftliche Tätigkeiten von der EUBinnenmarktgesetzgebung erfasst. Und diese stünde unter anderem aufgrund der Lissabonn- Strategie im Zeichen der Öffnung der Dienstleistungsmärkte. Lehne betonte, dass die Ausgaben für Gesundheitsdienstleistungen in Zukunft wachsen müssten. Denkbar sei, dass schon in wenigen Jahren gut 20 Prozent des Bruttoinlandproduktes im Gesundheitsbereich ausgegeben werden. Wer das wolle, dürfe diese Entwicklung aber auch nicht einschränken. Bleibe es bei der derzeitigen Politik, sei absehbar, dass die „Halbwertzeiten der Gesundheitsreformen immer kürzer werden“.

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