Hygiene in der Zahnarztpraxis

Wider eine willkürliche Regelungswut

Praxisbegehungen in Nordrhein-Westfalen haben in den letzten Monaten das Thema Hygiene in der Zahnarztpraxis in den Mittelpunkt gerückt. Zwar ist Hygiene wichtig, aber die Zahnärzte wehren sich gegen eine überbordende Bürokratie und Regelungswut. Mehr Klarheit liegt jetzt vor: Seit 30. Januar 2006 ist die neue zahnärztliche Hygiene-Empfehlung des Robert Koch- Instituts in Kraft. Fazit: Die bürokratische Gängelung geht weiter, aber viel Unsinniges konnte für den Berufsstand abgewendet werden. Die Bundeszahnärztekammer und der Deutsche Arbeitskreis für Hygiene in der Zahnarztpraxis haben ihren Hygieneplan umfassend aktualisiert und jetzt veröffentlicht.

Abstrus: Da müssen Thermodesinfektoren validiert werden, obwohl sie laut Auskunft des Herstellers nicht mehr validierbar sind, obwohl sie gerade drei Jahre alt sind. Wenn jedoch der Desinfektor stillgelegt ist und die Instrumente auf herkömmliche Weise im Tauchbad desinfiziert werden, dann ist das genehmigt. So will es die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV).

Noch abstruser: Da wird laut Checklisten von Bürokraten verlangt, dass Aufbereitungsräume mit Fliegengittern zu bestücken sind, oder dass aqua destillata aus der Apotheke vor Gebrauch bakteriologisch untersucht werden soll.

Dies sind nur einige Vorgaben, mit denen sich derzeit Zahnärzte herumschlagen müssen, die mit Praxisbegehungen zu rechnen haben. Praxisbegehungen – das sind kostenpflichtige Inspektionen von Zahnarztpraxen, durchgeführt von Mitarbeitern von Bezirksregierungen, um die Einhaltung von Hygienevorschriften abzuprüfen. Seit einigen Monaten müssen in Nordrhein-Westfalen vornehmlich Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen mit solchen Inspektionen rechnen. Auch in anderen Kammerbereichen beginnen entsprechende Aktivitäten. Mit der Durchführung betraut sind Mitarbeiter der Bezirksregierungen, Rechtsgrundlage ist das Medizinproduktegesetz (§ 26 MPG).

Auf Veranlassung des Bundesgesundheitsministeriums sollen die Bundesländer die Umsetzung von MPG und Betreiberverordnung in Einrichtungen des Gesundheitswesens kontrollieren. In Nordrhein-Westfalen läuft derzeit ein Pilotprojekt. Obwohl Auslöser für dieses Vorgehen vor allem Vorkommnisse in Alten- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern waren, sollen auch Zahnarztpraxen mit in diese Kontrollen einbezogen werden.

Was den Zahnarzt hierbei quält, ist vor allem die überbordende Regelungswut und die bürokratische Fleißarbeit, die mit dem Ganzen einhergeht. „Es geht uns nicht darum, Hygienevorschriften auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern wir wollen den bürokratischen Aufwand für die Kollegen in diesem Zusammenhang in Grenzen halten“, erklärt der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dr. Jürgen Weitkamp (siehe dazu auch zm 10/2005, Seite 14 f). Der Regelungsumfang ist enorm. So gibt es eine Checkliste mit mehr als 20 Positionen, die der Zahnarzt dem Inspektor binnen kürzester Zeit vorlegen soll – wobei er die verlangten Informationen nicht mal eben so aus dem Ärmel schütteln kann. Dazu gehört zum Beispiel der Nachweis der notwendigen Sachkenntnis eines Technikers, erworben durch Berufserfahrung und Ausbildung. Dazu gehören weiterhin Listen mit den angewendeten Reinigungs-, Desinfektionsoder Sterilisationsverfahren, Listen mit sämtlichen Verfahrens- und Arbeitsanweisungen, Listen mit sämtlichen in der Praxis angewendeten Normen und vieles mehr. Neben der Fleißarbeit innerhalb einer Frist von oftmals nur zehn Tagen kostet das den Zahnarzt auch noch Geld: Die erhobenen Gebühren für die Kontrollen betrugen bisher zwischen 600 und 2 500 Euro.

Komplexes Thema

Hygiene-Paranoia oder nicht? Das Thema ist komplex und äußerst vielschichtig. Zum Hintergrund: Das MPG ist nicht etwa eingeführt worden, weil in Deutschland einiges im Argen lag. Vielmehr steckt dahinter die europäische Medizinprodukterichtlinie. Ziel dieser Vorschrift ist es, einen großen europäischen Medizinproduktemarkt aufzubauen, wobei freier Warenverkehr und Patientenschutz in einem ausgewogenen Verhältnis stehen sollen. Das MPG stellt die nationale Umsetzung der europäischen Richtlinie dar.

Neue RKI-Empfehlung

1998 wurde die Empfehlung „Anforderungen an die Hygiene in der Zahnmedizin“ der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlicht. Diese RKI-Empfehlung ist seinerzeit eigens für die Zahnmedizin erarbeitet worden, weil man festgestellt hatte, dass die existierende RKIEmpfehlung über ambulantes Operieren aus dem Krankenhaussektor nicht eins zu eins auf die Zahnmedizin übertragbar ist. Das auch nicht zuletzt deshalb, weil es sich bei der Mundhöhle um ein anderes Operationsgebiet handelt als beispielsweise in der Bauch-, Gelenks- oder Augenchirurgie. Deshalb wurde eine Regelung erstellt, die auf die Besonderheiten des Fachgebiets Zahnmedizin eingeht.

Diese Empfehlung ist in den letzten Jahren grundlegend überarbeitet und dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse angepasst worden. Seit dem 30. Januar 2006 liegt die neue Version „Infektionsprävention in der Zahnmedizin – Anforderungen an die Hygiene“ vor. Es handelt sich um eine Vorveröffentlichung im Internet, die endgültige Veröffentlichung erfolgt im April im Bundesgesundheitsblatt (4/2006). Basierend auf einem Erlass des Bundesgesundheitsministeriums von 2003 ist vor allem eine umfangreiche Neuregelung des Bereichs über Wasser führende Systeme vorgenommen worden (mehr dazu siehe Kasten).

Die Empfehlungen wurden ehrenamtlich und ohne Einflussnahme kommerzieller Interessengruppen im Auftrag der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention bearbeitet von Prof. Dr. Jürgen Becker (Leiter der Arbeitsgruppe), Düsseldorf, Dr. Dieter Buhtz, Berlin, Prof. Dr. Martin Exner, Bonn, Dr. Richard Hilger, Kürten, Prof. Dr. Heike Martiny, Berlin, sowie für das RKI Prof. Dr. Martin Mielke, Dr. Alfred Nassauer und Dr. Götz Unger.

Hartes Ringen um Vernunft

Trotz aller Bedenken ist man seitens der Bundeszahnärztekammer der Auffassung, dass mit der neuen Empfehlung eine praktikable Lösung gefunden wurde. Zumindest ist es gelungen, durch zähes Ringen und harte Verhandlungen noch Einiges für den Berufsstand abzuwenden.

„Natürlich ist es bedauerlich, dass mit der neuen Empfehlung die bürokratische Gängelung unserer Praxen weiter forciert wird. Wir haben uns nie gegen evidenzbasierte Hygienemaßnahmen gewandt, wohl aber gegen eine überbordende Dokumentationsorgie. Die Zusammenarbeit mit dem Robert Koch-Institut fand auf sachlicher Ebene statt und konnte viel Widersprüchliches und Unsinniges verhindern“, betont Präsident Weitkamp. „Unser Berufsstand wird sich den neuen Hygieneanforderungen stellen müssen. Besonders der Bereich der ‘Aufbereitung von Medizinprodukten’ wartet mit zahlreichen gesetzlichen Vorgaben, Änderungen und neuen Bestimmungen auf. Die Bundeszahnärztekammer empfiehlt eine sorgfältige Prüfung und Abwägung, da die neuen Bestimmungen für die Praxen zusätzlichen Arbeitsaufwand und weitere finanzielle Investitionen bedeuten können.”

Hohe Anforderungen

Im Zusammenhang mit den Praxisbegehungen ziehen die Behörden als eine der Grundlagen die gemeinsame Aufbereitungsempfehlung vom Robert Koch-Institut und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) „Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten“ aus dem Jahr 2001 heran. Diese Empfehlung ist seinerzeit im Hinblick auf die Problematik der Wiederaufbereitung von Einmalprodukten entstanden. Jedoch ist dies ein Bereich, der zuallererst den Krankenhaussektor betrifft. Dort mag die Regelung aus Gründen der Kostenersparnis sinnvoll sein. Die Wiederaufbereitung von Einmalprodukten wird teilweise sehr kritisch gesehen und ist zum Beispiel in Großbritannien grundsätzlich verboten. Für die ambulante Praxis dürfte dies eher ein Randthema sein. Dennoch kommen die hohen Anforderungen der Aufbereitungsempfehlung im zahnärztlichen Sektor wieder mit ins Spiel: Die Empfehlung wird nämlich in der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (§ 4, Absatz 2) ausdrücklich erwähnt. Dort heißt es in der zentralen Aussage wörtlich: „Die Aufbereitung von bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung kommenden Medizinprodukten ist unter Berücksichtigung der Angaben des Herstellers mit geeigneten validierten Verfahren so durchzuführen, dass der Erfolg dieser Verfahren nachvollziehbar gewährleistet ist und die Sicherheit und Gesundheit von Patienten, Anwendern oder Dritten nicht gefährdet wird. Dies gilt auch für Medizinprodukte, die vor der erstmaligen Anwendung desinfiziert oder sterilisiert werden.“ Eine ordnungsgemäße Aufbereitung werde vermutet, wenn die Empfehlungen von RKI und BfArM beachtet würden, heißt es im Verordnungstext weiter.

Das bedeutet gleichzeitig, dass auch andere Wege möglich wären, die allerdings im Einzelfall auf ihre Wirksamkeit untersucht werden müssten. Ein solcher Alternativweg könnte die neue RKI-Hygieneempfehlung für die Zahnarztpraxis sein.

Knackpunkt: Validierung

Ein im Zusammenhang mit der Betreiberverordnung politisch sehr kontrovers diskutierter Punkt ist die in § 4 Absatz 2 erwähnte Validierung. Sie wird von den Landesbehörden gefordert, teilweise gibt es hier auch Maximalforderungen, die eine jährliche Vor-Ort-Validierung in der Praxis vorsehen. Für den Zahnarzt bedeutet das, dass er hier in erster Linie Zeit und Geld investieren muss. Es ergeben sich Kosten in Höhe von 1 200 bis 1 500 Euro, der Praxisbetrieb wird für einen halben Tag oder länger lahm gelegt. Politisch ist das Thema deswegen brisant, weil die geforderten Validierungsmaßnahmen oft von wirtschaftlichen Interessen geprägt sind. Entsprechende Anbieter stellen sie als unverzichtbar dar und lassen jeglichen Rahmen der Angemessenheit vermissen. Für Validierungsfirmen ergibt sich hier eine erkleckliche Einnahmequelle. Da ist Einiges im Unklaren und sicherlich auch viel Wildwuchs entstanden.

Der Umfang einer Validierung lässt sich mit Leichtigkeit auf die Spitze treiben, denn sie liegt im Ermessen des Validierers. So ist zum Beispiel kritisch zu hinterfragen, ob die Erst- Validierung eines Geräts nach Aufstellung am Betriebsort überhaupt nötig ist – das käme beispielsweise der Vorführung eines gerade gelieferten Neuwagens beim TÜV gleich.

Besonders pikant ist, dass manche Hersteller immer noch an Zahnärzte Geräte verkaufen, die nicht validierbar sind, weil sie nicht den geltenden Richtlinien entsprechen. Hier herrscht noch erheblicher Handlungsbedarf. Derzeit müssen Zahnärzte ausbaden, was die Gerätehersteller bisher nicht in den Griff bekommen haben.

Hinzu kommt, dass verschiedene Seiten intervenieren, um eine Beschäftigung von Sterilgutassistentinnen auch in Zahnarztpraxen verpflichtend einzuführen. Unter dem Thema „Sachkenntnis der Mitarbeiter“ wird diskutiert, dass eine ZFA einen 40-Stunden-Lehrgang zur Sterilgutassistentin absolvieren soll. Als Grund wird der Patientenschutz vorgeschoben, jedoch handelt es sich auch da oft um die Umsetzung massiver wirtschaftlicher Eigeninteressen.

Der gesamte Themenbereich rund um die Hygiene in der Zahnarztpraxis dürfte in nächster Zeit noch ausführlich diskutiert werden. Was die Praxisbegehungen betrifft, so scheint sich in Nordrhein- Westfalen unter der neuen CDU/FDP-geführten Landesregierung einiges zu bewegen. In Verhandlungen zwischen der Regierung und den beiden Landeszahnärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe zeichnet sich derzeit ab, dass der Aufgabenbereich rund um Hygienefragen wegen der dort vorhandenen Fachkompetenz auf die Kammern übertragen werden könnte. Nicht zuletzt hat auch die BZÄK-Bundesspitze hier entsprechend politisch interveniert. Sie betont, dass Praxisbegehungen in die Hände des Berufstandes gehören.

BZÄK ist aktiv

Der Vorstand der Bundeszahnärztekammer hatte auf seiner Klausurtagung im Juni 2005 intensiv über das Thema Hygiene und Praxisbegehungen beraten. Um den zahnärztlichen Kollegen in Fragen rund um die Hygiene Hilfestellung zu leisten, ist die Bundeszahnärztekammer über ihren Ausschuss „Zahnärztliche Berufsausübung“ unter dem Vorsitz des sächsischen Kammerpräsidenten Dr. Joachim Lüddecke (siehe Leitartikel) und über den Leiter der Zahnärztlichen Abteilung der BZÄK, ZA Michael Krone, schon lange aktiv. So ist sie in die entsprechenden Normungsgremien eingebunden, um dort das Maß an überflüssigen Anforderungen für Sterilisatoren zu minimieren. Über die Mitwirkung in den Normungsausschüssen Dental und Medizin arbeitet sie daran, den Aufwand für Validierungen möglichst gering zu halten.

Auch auf der Koordierungskonferenz der Öffentlichkeitsreferenten der Länderkammern und KZVen im November 2005 in Naumburg/Saale stand das Thema auf der Agenda. Prof. Dr. Jürgen Becker, Düsseldorf, unter dessen Vorsitz die neue RKI-Empfehlung erarbeitet wurde, fasste das schwierige Thema allgemeinverständlich zusammen. Er erklärte, dass sich aufgrund der Besonderheiten der Mundhöhle der Infektionsschutz in der Zahnarztpraxis vorwiegend auf die Bereiche Hepatitis und HIV beziehe. Zahnmedizinische Instrumente würden, so Becker, in drei Kategorien eingeteilt, für die unterschiedliche Anforderungen an die Aufbereitung gelten:

• unkritisch (Kontakt mit intakter Haut)

• semikritisch (Kontakt mit Schleimhaut oder krankhaft veränderter Haut)

• kritisch (Durchdringen von Haut oder Schleimhaut).

Prinzipiell sei die maschinelle Aufbereitung vorzuziehen. Bei manueller Aufbereitung müssten klare Arbeitsanweisungen vorliegen. Weiterhin problematisch sei eine mögliche Keimbelastung der Wasser führenden Systeme. Das Problem könne beispielsweise dadurch gelöst werden, dass bei Behandlung von Patienten mit Immunsuppression oder bei umfangreichen chirurgischen Maßnahmen nur sterile Kühlflüssigkeiten zum Einsatz kämen.

Neuer Hygieneplan von BZÄK und DAHZ

Die Bundeszahnärztekammer hat zusammen mit dem Deutschen Arbeitskreis für Hygiene in der Zahnarztpraxis (DAHZ) den BZÄK/DAHZ-(Muster)Hygieneplan umfassend aktualisiert und jetzt veröffentlicht (siehe nachfolgenden Artikel sowie Bekanntmachungsteil in diesem Heft). Er berücksichtigt alle aktuellen Erfordernisse und Erkenntnisse zur Umsetzung der Hygiene in der Zahnarztpraxis, basierend auf der neuen RKI-Empfehlung. Im Gegensatz zum alten Hygieneplan von 2000 ist er wesentlich umfangreicher. Für den Zahnarzt ergeben sich somit ganz neue Herausforderungen – er muss die Systematik der Hygiene in seiner Praxis neu überdenken und überarbeiten. Dabei gibt der neue Hygieneplan die entsprechende Unterstützung.

Eines ist der Zahnärzteschaft in Sachen Hygiene ganz wichtig: Die Einhaltung geeigneter Hygienemaßnahmen ist ebenso erforderlich wie vernünftige Arbeitsschutzmaßnahmen. Die Belange des Patienten müssen im Vordergrund stehen, das bezieht sich besonders auf solche mit speziellen Risiken. Im Umgang mit Hygienemaßnahmen ist das gebührende Augenmaß gefordert. Überbordenden Forderungen und Regelwut ist eine klare Absage zu erteilen.

Zahnärztliche Fotos und Bildlegenden:Dr. Richard HilgerAhlen 2951515 Kürten

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