Investitionen der Berufseinsteiger von 1984 bis 2004

Zahnärztliche Praxisgründungen im Spiegel der Zeit

Seit 1984 analysiert das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ), wie und unter welchen Aspekten Zahnärzte ihre Niederlassung finanzieren. Die mit der Deutschen Apotheker- und Ärztebank erarbeiteten Daten zeigen, wie sich die Rahmenbedingungen für Praxisgründung oder -kauf seither gewandelt haben. Anlass für einen Rückblick über 20 Jahre.

„1984“ – der Roman des britischen Schriftstellers George Orwell aus den Nachkriegsjahren zeichnete ein düsteres Zukunftsbild und wurde als literarische Negativ-Utopie par excellence weltberühmt. Die beklemmende Darstellung eines totalitären Staates in Gestalt eines omni-präsenten, alles sehenden „Großen Bruders“, der seinen absoluten Machtanspruch mit einer Mischung aus totaler Überwachung („Panoptikum“) und sprachlicher Bemäntelung („Neusprech“) durchsetzt, galt vielen als visionäre Warnung. Und sorgte fast zwangsläufig für entsprechende Assoziationen bei der Jahreszahl 1984.

1984 – mehr bunt als schwarz-weiß

Im Rückblick erscheint das Jahr 1984 indes mehr bunt als schwarz-weiß. Die Menschen ersehnten sich ein Ende innerstaatlicher und internationaler Konfrontationen. Es war die Zeit der Ostermärsche, die Stockholmer „Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa“ tagte, der südafrikanische Bischof Tutu erhielt den Friedensnobelpreis. Dennoch warfen die RAFProzesse und der Boykott der Olympischen Spiele in Los Angeles durch die ehemaligen Ostblockstaaten ihre Schatten.

Doch die Menschen schauten nach vorne auf den Milleniumwechsel – auch die Zahnärzte.

Die kleine Praxis

Etwa 1 200 junge Zahnärzte entschieden sich im Jahr 1984 zum Schritt in die Freiberuflichkeit. Dabei waren auch damals die wirtschaftlichen Zukunftserwartungen für die zahnärztlichen Existenzgründer nicht uneingeschränkt positiv. Im politischen Raum wurden Niederlassungsbeschränkungen diskutiert und die Praxiskosten stiegen deutlich schneller als Umsatz sowie Bruttoeinkommen der Zahnärzte (siehe zm 15/1984, S. 1642).

Die Zahnarztpraxis im Jahr 2000 werde – so die damalige Erwartung – aufgrund zunehmender Personalkosten relativ klein gehalten: „ein Zahnarzt, zwei Behandlungszimmer, eines für den Zahnarzt, eines für die Individualprophylaxe durch eine spezialisierte Mitarbeiterin“. Gemeinschaftspraxen, so wurde vermutet, seien hingegen in Deutschland trotz zunehmender Spezialisierung nicht zukunftsfähig (siehe zm 16/1984, S. 1735). Aus heutiger Sicht mag man über manche der damaligen Zukunftsvisionen schmunzeln, entscheidend ist, dass diese Vorstellungen das Verhalten der Menschen in ihrer Zeit geprägt haben – und damit ihre Investitionen für die Zukunft.

Das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) hat die Investitionen der Zahnärzte bei der Niederlassung seit dem Jahre 1984 in enger Zusammenarbeit mit der Deutschen Apotheker- und Ärztebank kontinuierlich analysiert.

Der jährlich erscheinende Kurzbericht in den zm (zuletzt in zm 16/2005, S. 82 – 85) hat sich ebenso wie die jeweils parallel als IDZ-Information erscheinende Langfassung (IDZ-Information, Nr. 4/2005) mittlerweile als ein Hilfsmittel für ein externes Benchmarking etabliert, das einen Vergleich der jeweils eigenen Praxis mit Fremdpraxen ermöglicht. Anhand einer Reihe statistischer Kennziffern lässt sich das Niederlassungsverhalten der zahnärztlichen Existenzgründer über die Jahre verfolgen.

Freundliche Übernahme oder Gründung

Ob eine Einzelpraxis übernommen oder neu gegründet wurde, für beide Zukunftspläne ist das Volumen, das ein Zahnarzt in den alten Bundesländern für die Finanzierung benötigte, von 1984 bis 2004 deutlich gestiegen (Abbildung 1). Allerdings zeigen sich für die beiden Praxisformen unterschiedliche Wachstumsphasen. Um eine Einzelpraxis 1984 neu zu gründen, brauchte ein Zahnarzt umgerechnet 247 000 Euro und somit 60 000 Euro mehr als für einen Praxiskauf. Zehn Jahre später war diese Differenz auf 9 000 Euro geschrumpft, sie stieg aber in den Folgejahren wiederum an. Im Jahr 2004 betrug das Finanzierungsvolumen einer Einzelpraxisneugründung 335 000 Euro und lag damit 80 000 Euro über den Kosten einer Einzelpraxisübernahme. Die Kosten der Gründung einer Einzelpraxis stiegen von 1984 bis 2004 um etwa 36 Prozent, wobei die letzten zehn Jahre mit etwa 32 Prozentpunkten den Löwenanteil ausmachten. Um eine Praxis zu übernehmen, musste ein Zahnarzt letztes Jahr ebenfalls 36 Prozent mehr aufbringen als 20 Jahre zuvor, allerdings stiegen die Kosten eines Praxiskaufs seit 1994 nur um fünf Prozentpunkte.

Struktureffekte geben Aufschluss

Hinter den unterschiedlichen Wachstumsverläufen verbergen sich eine Reihe aufschlussreicher Struktureffekte.

Für die Neugründung einer Einzelpraxis zeigt die Aufteilung des Finanzierungsvolumens nach den Kostenblöcken „medizinisch- technische Geräte und Einrichtung“, „Bau- und Umbaukosten“ sowie „Betriebsmittelkredit”, über den Zeitverlauf eine relative strukturelle Konstanz (Abbildung 2). Der Anteil der medizinisch-technischen Geräte inklusive Einrichtung ging zwischen 1984 und 2004 um etwa fünf Prozentpunkte zurück, während die Bau- und Umbaukosten um zwei Prozentpunkte und der Betriebsmittelkredit um drei Prozentpunkte zulegten.

Bei den Einzelpraxisübernahmen lassen sich im Zeitverlauf hingegen dramatische Strukturverschiebungen erkennen (Abbildung 3). Der Finanzierungsanteil, der für den Substanzwert zuzüglich der Neuanschaffungen aufgewendet werden musste, stieg von etwa 29 Prozent im Jahr 1984 auf über 52 Prozent im Jahr 1994 an. Der Goodwill, der den immateriellen Praxiswert in Marktpreisen widerspiegelt, sank anteilsmäßig im gleichen Zeitraum von knapp 43 Prozent auf nunmehr etwa 23 Prozent. Diese Verschiebung macht deutlich, dass die hohen Zuwachsraten in der ersten Dekade primär von der Wachstumsdynamik beim Kostenblock „Substanzwert zuzüglich Neuanschaffungen“ (plus 134 Prozent) getragen wurden, während der Betrag für den Goodwill um etwa 29 Prozent sank.

Nachgelegt

Ausstattung bei Einzelpraxisneugründungen naturgemäß auf dem jeweils neuesten Stand ist, muss der Zahnarzt bei einem Praxiskauf generell eine deutlich höhere Summe für spätere Erneuerungs- und Erweiterungsinvestitionen nachlegen. Spätestens 1990 zeichnete sich der durch den medizinisch-technischen Fortschritt forcierte Strukturwandel in den Zahnarztpraxen auch in den statistischen Daten eindeutig ab.

Einen Computer zum Beispiel hatte 1984 lediglich jeder 30. Zahnarzt in seiner Praxis stehen. Marktwirtschaftlich gesehen sei, so die damalige Auffassung, „damit der Durchbruch erfolgt, und es muss damit gerechnet werden, dass in Zukunft in zunehmendem Maße EDV-Systeme in Praxen aufgestellt werden“ (zm, Nr. 5/1984, S. 470).

Der Wert des Goodwills

Der Goodwill verlor von 1984 bis 1989 beständig an Wert. Da er betriebswirtschaftlich als Indikator für die zukünftige Ertragskraft einer Zahnarztpraxis gilt, kann diese Entwicklung als logische Folgerung aus den sinkenden Praxiseinnahmen respektive -überschüssen – und damit als Ausdruck der sich verschärfenden Risikosituation – gedeutet werden. Ab 1997 erholte sich der Wert für den zu zahlenden Goodwill wieder leicht, so dass er heute knapp ein Drittel des Finanzierungsvolumens bei der Übernahme einer Einzelpraxis ausmacht – immerhin noch zehn Prozentpunkte weniger als 1984.

Dürre statt Blüte

Die Investitionsanalyse für die neuen Bundesländer begann 1990. Abbildung 4 veranschaulicht, dass die Zahnärzte hier grundlegend anders investierten als in den alten Bundesländern. Bis 1993 erwarteten sie offensichtlich eine ausgesprochen positive Zukunft.

Die Bundesregierung hatte „blühende Landschaften“ im Osten versprochen und eine Vielzahl staatlicher Investitionsprogramme initiiert, die für die privaten Haushalte zunächst auch Einkommenssteigerungen bewirkten.

Als sich jedoch abzeichnete, dass die Wohlstandsentwicklung in den neuen Bundesländern dauerhaft hinter dem Niveau in den alten Bundesländern zurückbleiben würde, mussten die Zahnärzte ihre Umsatzerwartungen entsprechend reduzieren. Statistisch ist dieser Effekt anhand des rückläufigen Finanzierungsvolumens für beide Niederlassungsformen spätestens seit dem Jahre 1997 ablesbar (Abbildung 4).

Die scheinbar trockenen statistischen Daten spiegeln immer auch individuelle Schicksale und gesellschaftliche Erwartungshaltungen wider, an die man sich rückblickend erinnern kann und sollte. Letztlich kann ein Rückblick immer auch für die Zukunft lehrreich sein und uns vor unrealistischen Zukunftserwartungen bewahren.

Dr. David Klingenberger, IDZUniversitätsstraße 7350931 Köln

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