Inkretin-Regulierung bei Diabetes mellitus
Im Fokus der Blutzuckerregulation steht das Insulin. Ein ausgewogenes Wechselspiel zwischen Insulinsekretion und Insulinwirkung sorgt für einen normalen Blutzuckerspiegel. Falls die Beta-Zellen im Pankreas einem wie immer verursachten Mehrbedarf an Insulin nicht nachkommen können, brennen sie regelrecht aus, wie Michael Stumvoll, Leipzig, erläuterte. Diese Dysfunktion der Pankreaszellen bedeutet einen kritischen Schritt im Verlauf der Pathogenese des Typ-2-Diabetes. Schon bevor ein Typ-2-Diabetes mellitus manifest wird, steigt bei einer gestörten Glukosetoleranz das Risiko für Herz-Kreislauf- und andere Folgekrankheiten. „Der Typ-2-Diabetes ist eine hochkomplexe Störung von Substratflüssen und hormonellen Gleichgewichten, die in die Hyperglykämie münden. Eine zukunftsweisende Therapie sollte diesen komplexen Zusammenhängen so gut wie möglich Rechnung tragen und an die individuellen Bedürfnisse der Patienten angepasst werden können“, resümierte Stumvoll. Zurzeit existiert zwar eine breite Palette von antidiabetischen Substanzen, doch der Diabetestherapie sind durch Nebenwirkungen wie Hypoglykämie, Gewichtszunahme oder Ödeme Grenzen gesetzt, wie Michael M. Nauck, Bad Lauterberg erläuterte (siehe Tabelle).
Die Funktion der Inkretine
Ein Schlüssel für eine innovative Therapiestrategie bei Hyperglykämie scheint in der Aktivierung des Inkretin-Systems zu liegen. Bei steigendem Blutzuckerspiegel stimulieren die im Darm sezernierten Inkretine zum einen die Insulinproduktion, zum anderen hemmen sie die hepatische Glukoseproduktion. Des Weiteren verzögern sie die Magenentleerung und vermindern das Hungergefühl.
Tierexperimentelle Untersuchungen deuten darauf hin, dass Inkretine sogar die Zahl der Beta-Zellen im Pankreas und ihre Funktionstüchtigkeit erhöhen können. Zu den Inkretinen gehören das Glucagon like peptide 1 (GLP-1), das im Ileum und Jejunum gebildet wird, sowie das Glucose-dependent insulinotropic peptide (GIP). Induziert wird die Synthese dieser Darmhormone durch die orale Aufnahme von Kohlenhydraten.
Die Inkretin-Freisetzung ist bei Typ-2-Diabetikern geringer ausgeprägt. Daraus ergibt sich ein Angriffspunkt für eine neue medikamentöse Therapiestrategie, die Prof. Nauck wie folgt erläutert: „Leider kann GLP-1 selbst als Peptidhormon nicht langfristig verabreicht werden, da es nur bei parenteraler Gabe wirkt und eine extrem kurze Halbwertzeit besitzt. Eine überall im Organismus vorkommende Protease, die Dipeptidyl- Peptidase 4 (DPP-4), wandelt GLP-1 rasch in ein unwirksames Molekül um.“
Mit dem neu zur Therapie vorgeschlagenen Sitagliptin ist jedoch ein Wirkstoff gefunden worden, der DPP-4 zu hemmen vermag und so die Konzentrationen von GLP-1 und GIP erhöhen kann. Der Vorteil von Sitagliptin besteht darin, dass es nur dann die Inkretin- Spiegel und in der Folge den Insulinspiegel erhöht, wenn die Hormone nach der Aufnahme von Kohlenhydraten ausgeschüttet werden – dadurch wird eine Hypoglykämie im Prinzip vermieden. Auch die Glukagon-Sekretion, die bekanntlich vom Glukosespiegel abhängt, wird unterdrückt und die hepatische Glukoseproduktion gedrosselt. Weitere positive Nebeneffekte, die gerade dem Diabetiker zugute kommen: die langsamere Nährstoffaufnahme durch die verzögerte Magenentleerung und ein gebremster Appetit können die Reduzierung der Kalorienaufnahme unterstützen. Die ersten klinischen Studien mit Sitagliptin an gesunden Probanden zeigten bei guter Verträglichkeit eine DPP-4-Inhibition über 24 Stunden an. An 552 Typ-2-Diabetikern ließ sich bestätigen, dass die neue Substanz die Inkretin-Spiegel anheben kann, was zu einer Erhöhung der Insulinspiegel führte. Bei diesen Patienten konnte eine Reduktion des Nüchternblutzuckers, des postprandialen Blutzuckers und der HbA1c-Werte beobachtet werden. Die Inzidenz von Hypoglykämien lag auf Plazebo-Niveau. Es fand sich keine Auswirkung auf das Körpergewicht.
Hoffnungsvoller Ansatz
Der Weg aus dem jetzigen Stadium der Erforschung bis zu einem für die Praxis reifen und für die Kassen auch zu einem akzeptablen Preis verfügbaren Medikament ist noch relativ lang. An den vorliegenden Daten fällt jedoch auf, dass trotz eines Eingriffs an einer zentralen Schaltstelle des Glukosestoffwechsels die Verträglichkeit des ersten Vertreters der neuen Substanzklasse sehr gut war.
Angesichts des aufgefächerten Wirkspektrums könnte es gelingen, nicht nur eine neue wirksame, sondern vor allem auch ziemlich nebenwirkungsfreie Therapie des Typ-2-Diabetes zu etablieren. T. U. Keil
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Klasse
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Problem(e)
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