Fortbildungsteil 1/2006

Ethische Grenzen kosmetischer Maßnahmen in der Zahnheilkunde

Immer häufiger wird die Qualifikation der Zahnärzte nicht nur zur Behandlung von kranken Zähnen in Anspruch genommen, sondern auch zu rein kosmetischen Zwecken. Man denke hier nur an die Verbreitung des Bleaching, an die Anfertigung von Veneers oder Keramikkronen oder auch an die Anbringung von Zahnschmuck jeglicher Art.

Mit dieser Ausrichtung schließt sich die Zahnmedizin einem allgemeinen Trend der gesamten Medizin an, sich als reine Dienstleistungsdisziplin zu verstehen, die allein nach den Wünschen ihrer Klienten handelt. In ethischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob es überhaupt vertretbar sein kann, sich als Fachvertreter der Medizin auf die Erfüllung von nicht krankheitsbezogenen kosmetischen Wünschen einzulassen. Dieser Frage in kritischer Hinsicht nachzugehen ist Aufgabe dieses Beitrages. Zunächst einmal gibt es verschiedene oft verwendete positive Argumente, kosmetische Maßnahmen in der Zahnheilkunde vorzunehmen. So ließe sich der kosmetische Eingriff möglicherweise damit rechtfertigen, dass er das Wohlbefinden des Patienten steigern kann. Mehr noch, der Arzt kann mit seinen Maßnahmen das Selbstwertgefühl der Patienten steigern und somit möglicherweise auch zur besseren sozialen Integration von Menschen beitragen. Ein weiteres Argument lautet, dass mit der kosmetischen Maßnahme der Arzt einem Grundbedürfnis des Menschen entspricht, schön aussehen zu wollen. Angesichts einer solchen Rechtfertigungsmöglichkeit erschiene der kosmetische Eingriff in dieser Perspektive

Mit der Kosmetik begibt sich der Arzt auf ein Terrain, das mit seiner eigentlichen Qualifikation nichts zu tun hat.

als moralisch wenig strittig, wäre er doch nichts anderes, als die Reaktion auf ein legitim erscheinendes menschliches Anliegen. Außerdem hat man in den letzten Jahrzehnten der Medizin immer wieder vorgehalten, sie solle mehr als bisher die Autonomie des Patienten respektieren. Es soll der Patient selbst sein, der darüber entscheidet, was für ihn gut ist, und der Arzt solle sich in die Wertvorstellungen des Patienten nicht einmischen - so das Credo unserer heutigen Epoche. Wenn das Prinzip der Selbstbestimmung des Patienten zum obersten Prinzip ethischen Handelns in der Medizin hochstilisiert wird, so erscheint es nur folgerichtig, dass der einzelne Arzt nichts Schlechtes daran findet, wenn er nach entsprechender Aufklärung dem autonomen Wunsch eines Menschen nach einem kosmetischen Eingriff ohne Skrupel entspricht. Man könnte sogar fragen, ob der Arzt vielleicht sogar eine Verpflichtung hätte, solche Eingriffe vorzunehmen, wenn diese so vehement von Menschen eingefordert werden. Wir sehen, es gibt viele scheinbar hoch plausible Gründe, kosmetische Eingriffe vorzunehmen, und fast erscheint es widersinnig, sich überhaupt mit den ethischen Implikationen der kosmetischen Zahnheilkunde zu beschäftigen. Doch gerade weil die kosmetischen Eingriffe so evident harmlos und unstrittig erscheinen, ist es umso notwendiger, genauer hinzuschauen. Denn erst bei genauer Betrachtung wird man erkennen, dass diese vordergründige Harmlosigkeit kosmetischer Eingriffe in vielerlei Hinsicht täuscht. Zunächst einmal machen die oben dargelegten Argumentationen deutlich, dass der kosmetische Eingriff per se nur schwerlich als ein ethisch fragwürdiger Eingriff betrachtet werden kann, solange der Patient entsprechend aufgeklärt ist und der Eingriff dem freien Willen des Patienten entspricht. Wer also den kosmetischen Eingriff für sich genommen zu einem ethischen Problem machen möchte, wird sich schwer tun, triftige rationale Gründe hierfür zu benennen. Das ethische Problem startet erst dann, wenn man den Eingriff in den Kontext der Medizin verortet. Die grundlegende Frage lautet daher nicht, ob es ethisch vertretbar sein kann, kosmetische Eingriffe vorzunehmen, sondern sie lautet, ob es im Einklang mit dem ärztlichen Selbstverständnis steht, speziell als Arzt kosmetische Eingriffe auf Wunsch vorzunehmen.

1.Kritik: Die kosmetische Zahnheilkunde hat ein Ziel, von dem der Zahnarzt nicht mehr versteht als sein Klient

Im Umgang mit kosmetischen Eingriffen ergeben sich für den Arzt vielfältige schwerwiegende Probleme. Das erste Problem betrifft die Zielsetzung seines Handelns.

Solange der Arzt Krankheiten behandelt, ist seine Zielsetzung durch die Wiederherstellung der Gesundheit definiert. Zwar herrscht über die genaue Definition von Gesundheit alles andere als Einvernehmen, aber zumindest begrifflich ist das Ziel ärztlichen Handelns über den handlungsleitenden Gesundheits- beziehungsweise Krankheitsbegriff klar formuliert. Beim Wunsch nach einem rein kosmetischen Eingriff ist keine Krankheit gegeben, und es stellt sich die Frage, wodurch sich der Arzt bei der Kosmetik leiten lassen soll. Nun könnte man - wie oben dargelegt - argumentieren, dass auch der kosmetische Eingriff der Gesundheit dient, wenn er zum Wohlbefinden des "Patienten" beiträgt. Diese Begründung läuft etwa darauf hinaus, eine gewisse Notwendigkeit der Kosmetik zu postulieren. Würde man tatsächlich so weit gehen wollen, bestimmte kosmetische Maßnahmen für medizinisch notwendig ansehen zu wollen, so wäre man in dieser Argumentation genötigt, die Kosmetik auch anderen zugute kommen zu lassen, die ähnlich "bedürftig" wären, denn ansonsten läge eine problematische Verteilungsungerechtigkeit vor, die dem Grundverständnis der Medizin zuwiderliefe. Wenn kosmetische Eingriffe den Status notwendiger Maßnahmen beanspruchen könnten, müsste die Medizin eine Verpflichtung verspüren, diese nicht nur den finanziell Bessergestellten zur Verfügung zu stellen, sondern auch denjenigen, die es sich nicht leisten könnten. Eine Zweiklassenmedizin kann es nur im Bereich der Komfortleistungen geben, nicht jedoch im Bereich des medizinisch Notwendigen. Da kaum jemand es aber als ungerecht empfindet, dass nicht jeder, der sich durch eine kosmetische Behandlung wohler fühlte, eine solche Behandlung auch erhält, ist schon daraus ersichtlich, dass es nicht gelingen wird, die Kosmetik als notwendige Maßnahme zu definieren. Wenn es auf diese Weise dem Arzt verwehrt bleibt, sich bei der Vornahme kosmetischer Maßnahmen auf die Gesundheit des "Patienten" zu berufen, so wird deutlich, dass die eigentliche Zielsetzung der Kosmetik nicht die Erfüllung eines medizinischen Bedarfs, sondern allein die Erfüllung eines Wunsches ist. "When you are happy, I'm happy" ist die grundlegende Moral des kosmetisch handelnden Zahnarztes [Hyman, 1990]. Hier wird deutlich, dass der kosmetisch behandelnde Zahnarzt seine Methoden für ein Ziel einsetzt, für dessen Definition er keinerlei Kompetenz besitzt. Das heißt nichts anderes, als dass der Arzt keinerlei Definitionsmacht hat über die Kriterien für den Erfolg einer kosmetischen Maßnahme. Wenn der "Patient" nach dem Eingriff unzufrieden mit dem Ergebnis ist, hat der Arzt diesem kaum etwas entgegenzuhalten. Mit der Kosmetik begibt sich der Arzt auf ein Terrain, das mit der eigentlichen Zielsetzung seines ärztlichen Tuns und mit seiner eigentlichen Qualifikation nichts zu tun hat. Wenn der Arzt die Schönheit als Ziel seiner Handlung betrachtet, so wird er zugeben müssen, dass er sich ein Ziel ausgesucht hat, von dem er - als Arzt - nichts versteht. Der Zahnarzt versteht hier lediglich etwas über die Wahl der Methoden, nicht aber etwas über die Definition von Schönheit, denn für die Definition von Schönheit ist er nicht ausgebildet worden.

2. Kritik: Das Leitbild einer "objektiven Schönheit" geht von einem reduktionistischen Menschenbild aus

Viele Zahnärzte argumentieren, dass es eine objektive Schönheit gäbe, die arithmetisch und geometrisch bestimmt werden kann. Aber, wer so argumentiert, übersieht zwei entscheidende Gesichtspunkte: Zum einen lässt sich Schönheit nicht allein auf die Form von Kiefer und Gebiss oder auf die Farbe der Zähne reduzieren. Manche Zahnärzte werben damit, dass mit der zahnärztlichen Methode ein "schönes Lächeln" erzielt werden kann. Wer so argumentiert, verkennt die Bedeutung, die nicht morphologische Faktoren für die Wahrnehmung des Schönen haben; man denke hier nur an die Kraft der inneren Ausstrahlung oder an die Bedeutsamkeit einer ausgeglichenen psychischen Verfassung. Der Funke springt nicht über wegen einer bestimmten Form, sondern aus Konstellationen heraus, die der wissenschaftlichen Erkenntnis und der sinnlichen Wahrnehmung verschlossen bleiben. Wer also glaubt oder gar verspricht, Schönheit über die Veränderung rein äußerlicher Merkmale erzielen zu können, sitzt nicht nur einer mechanistischen Verkürzung der Schönheit auf, sondern dieser ist letztlich auch Opfer eines rein mechanistischen Menschenbildes, glaubt er doch, dass der Mensch - einer Maschine gleich - sich durch die Veränderung seines Äußeren selbst verändern kann [Maio, 2004]. Wer so argumentiert, übersieht ferner, dass der Begriff der Schönheit ein sozial determinierter Begriff ist. Es ist nicht der Einzelne, der für sich allein über Schönheit befindet, sondern Schönheit ist eine Norm, eingebettet in eine bestimmte Kultur. Und genau dieser Gesichtspunkt führt uns zu einer zentralen Kritik an der kosmetischen Zahnheilkunde.

3. Kritik: Die kosmetische Zahnheilkunde macht sich zur Komplizin einer von Eitelkeit und Machbarkeitswahn getriebenen Gesellschaft

Ein "Arzt", der allein den Wunsch des Patienten als Legitimation seines "ärztlichen" Tuns begreift, ohne den Wunsch selbst noch einmal kritisch zu reflektieren, läuft Gefahr, bestimmte Vorstellungen zu bestätigen, die für sich genommen kritikwürdig sind. So müssen wir zum Beispiel fragen: Was ist das für eine Vorstellung vom Menschen, wenn man davon ausgeht, dass man nur mit dieser oder jener Erscheinung ein lebenswertes Leben führen kann? Was ist das für ein Menschenbild, wenn man die persönliche Anerkennung von der Form eines Gebisses oder der Zahnfarbe abhängig macht? Die Notwendigkeit des kritischen Hinterfragens geht sogar noch weiter; so gilt es kritisch zu bedenken, dass schon der Wunsch nach Schönheit keineswegs als ein unbestritten legitimer Wunsch betrachtet werden muss. Vielmehr kann schon der Wunsch nach Schönheit Ausdruck einer zweifelhaften Selbstdeutung des Menschen sein. Über Jahrhunderte hinweg galt die Orientierung des Menschen an seinem äußerlichen Erscheinungsbild als lasterhafter Ausdruck von Eitelkeit und Selbstsucht. Noch vor gar nicht langer Zeit galt es als verpönt, seinem äußeren Erscheinungsbild allzu sehr Beachtung zu schenken. Doch selbst, wenn man so weit nicht gehen wollte und man dem Schönseinwollen eine eigene Legitimation geben wollte, so gälte es zu bedenken, dass beispielsweise die antike Philosophie die Schönheit immer nur in der Verknüpfung mit der Tugend definiert hat. Schönheit und Tugend waren in dieser antiken Tradition lange Zeit als zwei Seiten einer Einheit betrachtet worden; ohne das eine sei das andere nicht möglich, wo das eine ist, liegt auch das andere nahe [Maio, 1999]. Heute hat man die Schönheit reduziert auf das rein Äußere und hat sie der Tugend, der inneren Haltung komplett entrissen. Folge hiervon ist es, dass die Suche nach einer solchen Schönheit nunmehr nicht mehr die Suche nach einer ganzheitlichen Einheit ist. Vielmehr ist die heutige Suche nach Schönheit Ausdruck einer wahnhaften Rastlosigkeit einer Gesellschaft, die nicht eine ganzheitliche Einheit im Sein sucht, sondern sich mit dem richtigen Schein begnügt. Wenn man dies zu Ende denkt, kann man sich der Erkenntnis nicht verwehren, dass eine Medizin, die auf breiter Front rein kosmetisch handelt, am Ende mitverantwortlich ist für eine Gesellschaft, die dem Primat der Eitelkeit, der Äußerlichkeit, der Jugendlichkeit und der sinnentleerten Oberflächlichkeit folgt. Die Medizin mag nicht der Urheber dieser - gerade für unsere Zeit so bestimmende - Ausrichtung sein, aber indem sie sich offiziell - und meist ohne Skrupel - die Kosmetik zu einer ihrer zentralen Aufgaben macht, bestätigt und fördert eine solche Medizin die latent vorhandenen modernen Tendenzen, sich der Einsicht mit allen Kräften zu versperren, dass jeder Mensch als Mensch ein endliches und grundsätzlich begrenztes und unvollkommenes Wesen ist, das nur glücklich werden kann in der Akzeptanz seiner Unvollkommenheit. Die kosmetische Zahnmedizin - wie die kosmetische Medizin überhaupt - trägt zu einem in der Medizin wie in der modernen Gesellschaft weit verbreiteten Machbarkeitswahn bei. Der Mensch lehnt in diesem modernen Wahn seine eigenen natürlichen Grenzen ab; er begreift sich selbst nicht mehr als gegeben, sondern nur als gemacht, und dementsprechend ist er dem Wahn verfallen, auch sein Selbst immer weiter zu "machen". Der Blick dafür, dass der Mensch in den Kernbereichen seines Lebens nichts machen, sondern nur in Gelassenheit erwarten und vertrauen kann, dieser Blick ist dem modernen Menschen vollkommen abhanden gekommen, und die Medizin hat hierbei in beträchtlichem Masse mitgewirkt. Daher ist nicht zu leugnen, dass eine sich der Kosmetik verschreibende (Zahn-)Medizin sich zur Komplizin einer solchen nichtigkeitsorientierten Gesellschaft macht. Eine solche Medizin hat sich von ihrem ureigensten Auftrag, eine Hilfe für krank gewordene, für in Not geratene Menschen zu sein, verabschiedet und sich dazu herabgelassen, nur noch Erfüllungsgehilfin einer rastlosen Gesellschaft zu sein, die so etwas wie Sinn nur noch in der wahnhaften Selbstgestaltung erblickt [Maio, 2004].

4. Kritik: Die kosmetische Zahnheilkunde wird bei Ihren "Patienten" das Gefühl des Defizitären eher verstärken als beheben

Die erste Kritik hat den Anspruch, durch kosmetische Eingriffe einer Notwendigkeit des Menschen zu folgen, widerlegt, die zweite Kritik hat den Anspruch der Medizin, für die Schönheit zuständig zu sein, in Frage gestellt, die dritte und vierte Kritik zeigen auf, dass der kosmetisch handelnde Zahnarzt nicht einmal dem Anliegen, dem "Patienten" zu helfen, letzten Endes gerecht wird. Damit soll keineswegs geleugnet werden, dass Menschen aufgrund ihres Äußeren sozial stigmatisiert werden. Aber wenn ein Arzt wirklich helfen wollte, so dürfte er in diesem Falle doch keine "reine" Kosmetik betreiben, sondern er müsste als Arzt daran interessiert sein, die Grundursache für diesen "Leidenszustand" zu beheben. Wenn ein Mensch unter der Erscheinung seines Gebisses leidet, so ist es doch nicht tatsächlich das Gebiss, worunter er leidet, sondern er leidet vielmehr daran, nicht genügend Selbstbewusstsein zu haben. Der Arzt, der an diesem Patienten nur das Gebiss behandelt, würde das eigentliche Grundproblem außer Acht lassen, so dass daraus zu folgern wäre, dass diesem kosmetisch handelnden Arzt das Wohl seines "Patienten" im Grunde relativ gleichgültig wäre. Erst recht wäre ihm das Wohl seines "Patienten" dann gleichgültig, wenn er wüsste, dass er nicht nur das Grundübel unbehandelt lässt, sondern wenn er mit seinem Angebot dafür sorgt, dass dem "Patienten" in finanzieller Hinsicht deutlich geschadet wird, und dies meist nur für einen recht kurzfristigen Erfolg, denn so lange das Selbstbewusstsein schwach bleibt, wird auch der nächste Anlass nicht ausbleiben, weitere Veränderungen an seinem Körper vornehmen zu lassen. Abgesehen von diesem Gesichtspunkt verfehlt der Arzt seine ärztliche Ethik noch in einer anderen schwerwiegenden Weise. Zwar denken viele Ärzte, dass sie mit ihrem Angebot kosmetischer Maßnahmen nur Reagierende sind, aber es gilt zu bedenken, dass auch ein Arzt, der nur kosmetische Maßnahmen vornimmt, immer noch als Arzt tätig wird, und dieser Gesichtspunkt hat weitreichende Konsequenzen. Was macht den Arzt zum Arzt? Das Spezifische des Arztseins besteht weniger in der Wahl der Behandlungsmethoden als vielmehr darin, dass jeder Arzt sich einer bestimmten Ethik verschrieben weiß. Ein Arzt als Arzt würde nie eine Maßnahme vornehmen, von der er wüsste, dass sie nur schadet, weil dies mit seiner ärztlichen Identität nicht vereinbar wäre. Ein Arzt als Arzt würde nur dann handeln, wenn er wüsste, dass seine Maßnahme Aussicht auf Erfolg hat, wenn er davon ausgehen kann, dass sie dem Patienten hilft. Wenn nun ein solcher Arzt kosmetische Eingriffe vornimmt und dies als Arzt tut, so hat dies eine beträchtliche Auswirkung: Man wird nämlich denken, dass wenn es schon ein Arzt tut, es dann in gewisser Hinsicht schon vernünftig sein muss, dass man Zähne bleicht oder Vollkeramikkronen einsetzt. Damit wird deutlich, dass der Arzt mit seinem Tun den Eindruck verstärken wird, dass es veränderungswürdig ist, wenn man kein geometrisch perfektes Gebiss hat. Je mehr kosmetische Eingriffe angeboten werden, umso mehr wird das Gefühl der "normalen" Menschen verstärkt, sich als defizitär zu empfinden [Maio, 2002]. Der kosmetisch handelnde Arzt mag dem Einzelnen (für kurze Zeit) mit seinem Eingriff das Gefühl perfekteren Aussehens geben, aber global gesehen sorgt eine Zahnmedizin, die es sich explizit zur Aufgabe erklärt, sich für die Verschönerung der Zähne, Kiefer und Gebisse verantwortlich zu fühlen, letztlich dafür, dass sich viele Menschen allein durch die Verbreitung dieses Tuns erst recht als minderwertig fühlen. Dieser Zusammenhang wird umso gravierender, wenn der Zahnarzt kosmetische Eingriffe nicht nur auf Wunsch vornimmt, sondern wenn er für solche Eingriffe auch noch Werbung betreibt. Denn die Werbung macht es sich zum Ziel, einen Bedarf zu wecken; das heißt, dass der Arzt mit seiner Werbung nichts anderes bezweckt als dem Menschen das Gefühl zu geben, dass es ihm ohne kosmetischen Eingriff eigentlich nicht gut gehen kann. Die Werbung sorgt also dafür, dass Menschen, die sich vor der Werbung wohl fühlen, durch die Werbung dieses Wohlempfinden verlieren, damit es durch die Maßnahme des Arztes wieder hergestellt werde. Hieraus wird deutlich, in welch schwerwiegender Weise die Werbung den ärztlichen Auftrag zur Hilfe konterkariert. Wäre das Wohlergehen des Patienten der eigentliche oder gar einzige Beweggrund und die eigentliche Zielsetzung ärztlichen Handelns, so wäre die Werbung kein geeignetes Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Ab dem Moment, da der Arzt Werbung für bestimmte kosmetische Maßnahmen betreibt, wird implizit zum Ausdruck gebracht, dass das primäre Ziel dieses ärztlichen Handelns das Verkaufen oder der Gewinn eines Markwettbewerbs ist und nicht das Interesse des Patienten. Dieser Gesichtspunkt führt uns nun zur zentralen und fundamentalen Kritik der reinen Kosmetik in der Zahnheilkunde.

5. Kritik: Eine Zahnheilkunde, die sich nur noch von Marktkategorien leiten lässt, wird keine Medizin, sondern nur noch Handwerk sein

Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass die dargelegte Kritik der Komplexität der Zahnmedizin nicht gerecht werden kann; zu viele Zahnärzte gibt es, die auch in ihrem kosmetischen Tun von hehren Idealen geleitet sind und sich tatsächlich eine wertvolle Hilfe für ihre Patienten versprechen; nicht jeder Zahnarzt wird ein solches Bild vom Menschen haben, wie ich es ausgemalt habe; auch gibt es viele äußere Erscheinungsformen, die bereits als Formen ernsthaftes Leid hervorrufen können, so dass die Medizin bei der Korrektur dieser Formen tatsächlich auch Helfer sein könnte. Diese Konstellationen gibt es, und eine Ethik, die alles über einen Kamm schert, wird ihrem Auftrag, differenzierte Reflexion zu betreiben, nicht gerecht. Daher kann die Schlussfolgerung meiner Ausführung nicht lauten, dass alle kosmetischen Eingriffe zu verurteilen wären. Vielmehr sollten die vorangegangenen Überlegungen den größeren Kontext verdeutlichen, in dem die Zahnmedizin handelt, damit der einzelne Zahnarzt im Bewusstsein dieses breiteren Hintergrundes bewusster wird entscheiden und handeln können. Nur eine solche kritische Reflexion des eigenen zahnärztlichen Tuns kann vielleicht doch noch verhindern, dass die Zahnmedizin sich nur noch als Dienstleistung ohne moralischen Anspruch versteht. Denn wenn die Zahnmedizin als Leitmotiv ihres Handelns tatsächlich nur noch den Markt, die Gewinnoptimierung und die persönlichen und oft narzisstischen Wünsche ihrer Kunden definitiv wählte, so würde sie bald in eine Identität zurückfallen, die sie eher in die Nähe des Barbiers und Zahnsbrechers als in die Nähe der ärztlichen Identität bringt. Am Ende eines solchen Trends steht die Ablösung einer moralischen Institution durch ein moralindifferentes Handwerk. Die Zahnmedizin - wie die Medizin allgemein - ist eine Profession und nicht nur ein Beruf. Mit dem Status der Profession sind Privilegien verbunden, die darin bestehen, dass der Staat sich weitgehend bei der Formulierung der Standards für die Ausübung der Profession heraushält; der Staat vertraut darauf, dass die Zahnärzte selbst festlegen, was eine gute Zahnmedizin ist. Darin liegt das Privileg der Zahnmedizin als Profession, dass sie von sich aus sagen kann, wie eine Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst auszusehen hat. Der Staat verlässt sich darauf, weil er davon ausgeht, dass die Zahnmedizin als Leitmotiv ihrer Entscheidungen das Interesse des Patienten im Auge hat. Das Vertrauen beruht also nicht nur auf den technischen Fähigkeiten des Arztes, sondern vor allem darauf, dass die Zahnmedizin als Medizin sich von einem moralischen Wert, nämlich dem Wohl des Patienten - und nur von diesem - in ihrer Festlegung der Standards leiten lässt. Ähnlich beruht auch das Vertrauen des Patienten weniger in der technischen Versiertheit des Arztes als darin zu wissen, dass wenn er Arzt ist, er als Arzt sicher zu allererst an seinen Patienten denken wird. Von einem Verkäufer wird man eine solche moralische Grundeinstellung nicht erwarten, und jeder weiß, dass der Verkäufer zunächst einmal daran denkt, sein Produkt zu verkaufen. Ein Arzt aber darf nicht zuerst an den Verkauf denken, sondern muss zuerst daran denken, ob seine Leistung tatsächlich gut für den Patienten ist [Welie, 1999]. Genau hierin liegt der vulnerable Punkt der heutigen Zahnmedizin, wie der Medizin überhaupt. Wenn die Zahnmedizin den Verkauf ihrer Dienstleistungen gegen Geld an autonome Kunden zu ihrem eigentlichen Ziel erklärt, so ist das von sich aus nicht zu verurteilen, aber es muss klar sein, dass mit einer solchen modern klingenden Ausrichtung eine wegweisende Grundsatzentscheidung getroffen wird. Ab dem Moment, da der Verkauf im Vordergrund steht, ab diesem Moment kann sich eine Zahnmedizin nicht mehr Medizin nennen [Welie, 2004]. Wenn das Leitmotiv das Verkaufen ist und nicht das Helfen, dann ist es kein ärztliches Handeln mehr, sondern Handeln eines Handwerkers. Moralisch ist dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden, aber Folge eines solchen Identitätswandels wäre es, dass ein Handwerker nicht mehr die Privilegien in Anspruch nehmen kann, die der Zahn-Arzt als Teil einer Profession zu Recht in Anspruch nimmt. Das heißt - zu Ende gedacht - dass ein Zahnarzt, der etwas verkaufen möchte und hierbei betont, dass er Arzt ist, unmoralisch handelt. Denn er benutzt den Nimbus, der mit dem Arztsein verknüpft ist, nur für seine eigenen Interessen, obwohl er streng genommen gar nicht als Arzt, sondern nur als Handwerker handelt. Er müsste also, um moralisch integer zu handeln, zugeben, dass er hier nicht als Arzt, sondern lediglich als Handwerker, als Dienstleistender handelt. Der Handwerker, der Dienstleistende ist nur für das Resultat verantwortlich, er bringt sein technisches Können ein, ohne hinterfragen zu brauchen, ob das Ziel, wofür er es einbringt, ein gutes Ziel ist. Für den Arzt kann dieses Ziel nur das Wohl seines Patienten sein. Wir haben oben gesehen, dass mit vielen kosmetischen Eingriffen diesem Wohl nicht immer gedient wird. Wir haben auch gesehen, dass der kosmetisch handelnde Zahnarzt durch die unreflektierte Erfüllung bestimmter kosmetischer Wünsche nicht ärztlich handelt, nicht nur weil er sich in eine Ideologie verstrickt, sondern weil er kein ärztliches Ziel seiner kosmetischen Maßnahmen benennen kann. Wenn die Zahnmedizin ein Interesse daran hat, auch in Zukunft eine Institution zu sein, der man Vertrauen entgegenbringt, und wenn sie nicht riskieren will, dass die Zahnmedizin wieder zum reinen Handwerk wird, so müsste sie sich eindeutiger und mit überzeugenderen Argumenten dazu bekennen, dass es ihr nur um das Wohl ihrer Patienten und nicht um die Erfüllung von Kundenwünschen geht. Wenn sie dies versäumt, wird sie sich bald dem Vorwurf aussetzen, sie hätte mit der Kosmetik auch ihre eigene Identität verkauft.

Prof. Dr. Giovanni MaioInstitut für Medizinethik und Geschichte der MedizinStefan-Meier-Straße 2679104 FreiburgTel. 07612035034Fax. 07612035039giovanni.maio@uniklinik-freiburg.de

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