Gastkommentar

Hilferuf an Merkel

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Die Einschätzungen, die elf Verbände aus Gesundheitswesen, Handwerk, Beamtentum und Einzelhandel in einem gemeinsamen Brief an das Bundeskanzleramt gegen eine „offene oder verdeckte Schwächung der PKV“ vertreten, treffen den Nagel auf den Kopf, meint

Andreas Mihm
Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Berlin

Die Petition, die Ende April im Bundeskanzleramt abgegeben wurde, war kurz, aber beileibe keine Petitesse. Es ging um etwas Großes: die Rettung der privaten Krankenversicherung (PKV). Denn sähen sie die nicht in Gefahr, hätten Spitzenvertreter der Ärzte und Zahnärzte, Krankenhausbetreiber und Handwerker, Beamte und Einzelhändler, der freien Berufe, Pharmahersteller und der PKV keinen Hilferuf an die Kanzlerin gesandt. Darin warnen elf Verbände vor einer Schwächung der PKV. Für die flächendeckende Versorgung aller Bürger und die Entwicklung des Gesundheitsstandorts Deutschland seien sie unverzichtbar. Andernfalls drohe ein „massiver Schaden“.

Der Vorgang ist beachtenswert. Im Politikbetrieb kommt es nicht alle Tage vor, dass solche Allianzen geschmiedet werden. Die Unterzeichner, alle dem bürgerlichen Lager zuzuordnen, wollen verhindern, dass die Union unter dem Druck der SPD bei der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in die Knie geht. Rund 8,3 Millionen Bürger haben eine private Krankenvollversicherung abgeschlossen. Die knapp 50 privaten Versicherungen sichern damit gut zehn Prozent der Bevölkerung ab, die restlichen 90 Prozent der Bürger sind in 250 gesetzlichen Kassen versichert.

Auf die Privatversicherten hat die Linke ihr begehrliches Auge geworfen. In die PKV darf nur wechseln, wer Beamter oder Selbständiger ist oder als Angestellter mehr als 3937,50 Euro im Monat verdient. Die PKV gilt damit als Versicherung für Besserverdiener. Angeblich eröffnet sie den „Reichen“ die Flucht aus dem Solidarsystem der GKV. Dass privat versicherte Familien viel mehr an die PKV zahlen als gesetzlich Versicherte, wird ausgeblendet; dass viele „kleine“ Beamte PKV-Kunden sind, auch.

Die SPD würde die PKV am liebsten in der umlagefinanzierten GKV aufgehen lassen. Falls das nicht geht, sollen die Privatversicherten die GKV mit einem Milliarden-Betrag subventionieren. Ziel der Operation ist Geldbeschaffung, die Solidarität nur der Deckmantel.

Denn der Vorwurf geht fehl, die PKV sei unsolidarisch. Nicht allein deshalb, weil sie die GKV indirekt mit Milliarden unterstützt. Die Privatversicherungen zahlen mehr für vergleichbare Leistungen an Ärzte, Apotheken und Kliniken als die GKV. Hinzu kommt: Privatversicherte sorgen für ihr Alter vor, weil aus ihren Prämien eine Rückstellung gebildet wird. Wie kann der PKV-Kunde, der für sein Alter anspart, unsolidarisch sein gegenüber dem gesetzlich versicherten Nachbarn, der nicht vorsorgt und später auf (anderer Leute) Kinder und Enkel als Beitragszahler angewiesen ist?

Eine offene oder verdeckte Schwächung der PKV löst kein Problem der GKV. Sie lenkt nur ab von der Notwendigkeit einer grundlegenden GKV-Reform. So schließt der Brief an Merkel. Die Unterzeichner treffen den Nagel auf den Kopf.

Was wäre besser, gäbe es die Privatversicherung nicht mehr? Die Kassen bekämen mehr Versicherte und Beitragseinnahmen. Aber ihre Ausgaben stiegen überproportional. Bund, Länder und Kommunen würden belastet, weil sie neben den hohen Beihilfekosten der Pensionäre den halben Kassenbeitrag (anstelle der niedrigeren Beihilfe) für die Aktiven zahlen müssten. Viele Leistungserbringer, nicht nur Ärzte, die ihre Praxis durch PKV-Einnahmen quersubventionieren, müssten auf überlebensnotwendige Zusatzeinnahmen verzichten.

Auch in der PKV gibt es einiges zu verbessern. Doch ihr Geschäftsmodell einer risikobezogenen Prämie mit Altersvorsorge, ihrer Wahltarife mit Selbstbeteiligung ist dem der GKV überlegen. Die Politik sollte es nicht zerstören, sondern als Vorbild für die Reform der gesetzlichen Kassen nehmen.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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