57. Jahrestagung der AG für Kieferchirurgie und 28. Jahrestagung des AK für Oralpathologie und Oralmedizin innerhalb der DGZMK

Die Kieferhöhle und die Osteoporose

202928-flexible-1900
sp
Zum zweiten Mal fand die diesjährige Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Kieferchirurgie (AGKI) mit den Themen „Die Kieferhöhle – Trauma, Infektion und Implantation“ und „Die Osteoporose – Aspekte für die Kieferchirurgie“ in Wiesbaden mit 430 Teilnehmern statt. Parallel dazu tagte der Arbeitskreis für Oralpathologie und Oralmedizin (AKOPOM) mit dem Hauptthema „Die Kieferhöhle – Physiologie und Pathologie“.

Die Osteoporose – Aspekte für die Kieferchirurgie

Dr. Petra Stute, Münster, stellte in ihrem Übersichtsvortrag „Klinik, Diagnostik und Therapie der Osteoporose“ die Methode der Doppelröntgen-Absorptiometrie (DXA) als „Goldstandard“ zur Knochendichtemessung für die Erkennung der Osteoporose vor. Östrogen lässt sich in diesem Zusammenhang als äußerst positiv bewerten. Prof. Dr. Dieter Felsenberg, Berlin, sprach zur Problematik der Bisphosphonattherapie und übernahm zusätzlich von Prof. Dr. Helmut Minne, Bad Pyrmont, den Vortrag „Die Bedeutung der Osteoporose für den Kieferbereich“. Er vertrat die Ansicht, dass die pQCT (periphere Quantitative Computertomographie) zur Knochendichtemessung besser geeignet wäre, da anhand der DXA nicht die Dichte, sondern lediglich die Knochenmasse bestimmbar ist. Auch wirft das Steroidhormon Östrogen, das den Knochen sensibler gegen die Muskelkraft stellt, bei Frauen einige Probleme auf. Mit Beginn der Östrogenproduktion ab dem 13. Lebensjahr wird vermehrt Knochenmasse als Vorrat für die Laktation und Gravidität aufgebaut. Mit Beendigung der Hormonproduktion ab der Menopause erfolgt ein Knochenabbau, der manchmal bei verstärktem Ausmaß die Osteoporose bedingt. Jedoch frakturiert Knochen mit Ausnahme der Wirbelsäule nie spontan, eine traumatische Anamnese ist dafür die Voraussetzung. Bei Männern mit Osteoporose ist das Frakturrisiko bei gleichem Lebensalter um 50 Prozent niedriger als bei Frauen. Die Muskelleistung, inklusive der der Kaumuskulatur, nimmt mit voranschreitendem Lebensalter auch bei außerordentlich sportlichem Training ab und ist bei 120 Jahren gleich Null, so dass damit die maximale Lebenserwartung definiert ist. Zur Schonung von Knorpeln und Sehnen ist die Muskelkraft jedoch nur bis zu einem bestimmten Limit aufzubauen.

Pro Woche werden in Deutschland drei Fälle registriert, bei denen unter Bisphosphonattherapie die Nebenwirkung der ossären Kiefernekrose (ONJ = osteonecrosis of the jaw) auftritt. Dabei handelt es sich meist um mandibuläre Lokalisationen und es sind vor allem weibliche Patientinnen betroffen, die eine Chemotherapie aufgrund eines Mammakarzinoms erhalten. Nur knapp drei Prozent aller Fälle sind Patienten mit der Grunderkrankung Osteoporose. Mit zirka 62 Prozent ist das stickstoffhaltige Aminobisphosphonat Zoledronat intravenös das am meisten applizierte Präparat. Insgesamt ist die Therapiedauer ein entscheidender Faktor, wobei die Dosis beim Vorliegen von Malignomen mit etwa 4 mg/Monat um zehn bis 15 Prozent höher liegt als bei Patienten mit Osteoporose (5 mg/Jahr). Die ersten Manifestationen ossärer Kiefernekrosen treten größtenteils ein bis zwei Jahre nach der ersten Applikation auf, vorwiegend nach Zahnextraktionen oder anderen Interventionen, die den Metabolismus des Knochens beeinflussen. Als Therapieempfehlung sollte so konservativ wie möglich gehandelt werden, wobei die Implantation bei Osteoporosepatienten keine Kontraindikation darstellt. Die Absetzung der intravenösen Applikation des Bisphosphonates sechs bis acht Wochen vor chirurgischer Intervention ist sinnvoll. Der Benefit bei Tumorpatienten und deren Lebenserwartung ist durch die Bisphosphonattherapie deutlich verbessert, so dass trotz der unerwünschten Arzneimittelwirkung einer Osteonekrose auch in Zukunft an dieser Therapieform festgehalten wird. Prof. Felsenberg wies darauf hin, dass er das Zentralregister „Osteonekrose des Kiefers“ betreut. Kollegen, deren Patienten Bisphosphonate erhalten, können die Meldeformulare unter www. charite. de/ zmk/termine.htm herunterladen und so zur Akquisition einer ausreichend großen Datenmenge beitragen, die zur Erstellung von Prophylaxe- und Therapieempfehlungen notwendig ist.

Die Kieferhöhle – Trauma, Infektion und Implantation

Prof. Dr. Dr. Franz Härle, Kiel, verfasste in seinem Übersichtsvortrag Die Geschichte der Kieferhöhlenoperationen einen historischen Rückblick über die verschiedensten Instrumente und Praktiken mit nasalen, fazio- nasalen, fazialen oder endoskopischen Zugängen. Angefangen im Jahre 1651 und der ersten Nomenklatur des Sinus maxillaris als Highmore-Höhle, über die 1893 von Caldwell inaugurierte breite temporäre Eröffnung in der Fossa canina, die 1897 unverändert von Luc übernommen wurde und über 50 Jahre als Methode nach Caldwell- Luc in die Geschichte der Medizin einging. Rehrmann riet 1977 von diesem Verfahren ab und führte den Begriff der „Kieferhöhlenkrüppel“ für die nach dieser Art operierten Patienten ein. 1939 beschrieb Wassmund als Erster die odontogenen Ursachen, die ein Drittel aller Sinusitiden bedingen. 1980 führten schließlich zeitgleich Tatum und Boyne mit James die Sinusbodenelevation mit Augmentation in die Zahnheilkunde ein. Univ.-Doz. Dr. Johann Beck-Mannagetta, Salzburg, illustrierte die Diagnostik der Sinusitis maxillaris anhand zahlreicher klinischer Bilder, wohingegen Dr. Karl-Ludwig Ackermann, Filderstadt, die Betrachtung zum Sinus maxillaris aus implantologischer Sicht darstellte. Prof. Dr. Ralf J. Radlanski, Berlin, fokussierte in seinem Vortrag Anatomie und Physiologie der Kieferhöhle die Fragen, warum die Kieferhöhle existiere und wofür sie notwendig sei.

Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake, Göttingen, unterteilte in seinem Übersichtsvortrag „Die traumatische Kieferhöhle“ in akute (Hämatosinus, Dislokation, penetrierende Verletzungen vor allem durch Fremdkörper, Infektionen) und chronische (Mukozelen, Cholesteringranulome, „Silent Sinus“, Infektionen, Kieferkopfschmerzen) Geschehen. Über den aktuellen Stand der operativen Therapie der Sinusitis maxillaris informierte Prof. Dr. Dr. Siegmar Reinert, Tübingen, und nannte den osteoplastischen Kieferhöhlenzugang über die faziale Wand zur Entfernung von Fremdkörpern, odontogenen Zysten, Mykosen oder zur Rezidivoperation als indiziert. Eine Verbesserung durch Verzicht auf diesen Zugang kann durch die Fensterung und Drainage über den standardisierten Zugriff durch den mittleren oder, bei fast gleichem Ergebnis, den unteren Nasengang erfolgen.

Arbeitskreis Oralmedizin und Oralpathologie

Hauptthema der Parallelveranstaltung des Arbeitskreises Oralpathologie und Oralmedizin war die Physiologie und Pathologie der Kieferhöhle. In die Materie leitete Prof. Dr. Hartwig Kosmehl, Erfurt, mit einem Übersichtsreferat über das neue breite Spektrum der epithelialen Tumoren der Nase und der Nasennebenhöhlen ein. Die typischen Vertreter der benignen epithelialen Tumoren der sinonasalen Region sind Speicheldrüsenadenome, wie das pleomorphe oder myoepitheliale Adenom. Vom Oberflächenepithel leiten sich die sinonasalen Papillome ab, wobei das invertierte, das onkozytäre und das exophytische sinonasale Papillom sich in der Rezidivrate, in der Neigung zur malignen Transformation und in der Koenzidenz zu anderweitigen sinonasalen Karzinomen unterscheiden. Alle Papillome sind rezidivfähig. In der sinonasalen Region können

Adenokarzinome vom Speicheldrüsentyp vorkommen. Darüber hinaus ist die Unterscheidung in Adenokarzinome vom intestinalen und vom nicht intestinalen Typ notwendig. Die Adenokarzinome vom intestinalen Typ weisen eine Assoziation zu einer Holzstaubexposition auf und sind prognoseungünstig. Die Adenokarzinome vom nicht intestinalen Typ sind in der Regel hoch differenziert, prognosegünstig und können durch eine lokale radikale chirurgische Therapie geheilt werden. Unbedingt notwendig ist die Unterscheidung des sinonasalen undifferenzierten Karzinoms (SNUC, das zu den prognoseungünstigen Karzinomformen gehört) vom sinonasalen undifferenzierten Karzinom vom nasopharyngealen Typ (lymphoepitheliales Karzinom). Letztere haben ebenso wie die Plattenepithelkarzinome häufig eine Assoziation zu einer EBV-Infektion, die auch als distinktiver diagnostischer Parameter genutzt werden kann. Die sinonasalen undifferenzierten Karzinome vom nasopharyngealen Typ (lymphoepitheliale Karzinome) sind wie das nasopharyngeale Äquivalent hochgradig sensitiv gegenüber einer Radio- oder Chemotherapie, so dass die Unterscheidung der undifferenzierten Karzinome dieser Region von großer therapeutischer und prognostischer Bedeutung ist.

Disputatio

Die Disputatio mit dem Thema Tumorchirurgie des Oberkiefers wurde in zwei Diskussionsthemen unterteilt. Prof. Dr. Dr. Michael Ehrenfeld, München, befürwortete die These, nach der die Resektionshöhle im Oberkiefer durch Rekonstruktion primär verschlossen werden sollte, indem er veranschaulichte, dass bei primärem Verschluss weniger Lokalrezidive zu beobachten waren als bei Patienten mit Defektprothesen. Zum anderen sei die Anfertigung von Obturatoren bei großen Defekten nicht immer möglich und aus funktionalen und ästhetischen Gesichtspunkten nicht immer indiziert. Demgegenüber erwiderte Prof. Dr. Dr. Klaus Dietrich Wolff (Bochum), dass mittels Rekonstruktionen keine direkte Inspektion oder Probeexzisionen bei Kontrolluntersuchungen möglich seien und die Vorteile von Obturatoren überwiegen. Bei der zweiten Disputatio mit dem Thema „Die primäre prophylaktische Lymphknotentherapie bei Oberkiefertumoren ist Teil des Therapiekonzeptes“ kam das Pro von Seiten Prof. Dr. Dr. Christopher Mohr, Essen. Er zeigte auf, dass die Nachweisgrenze in der Bildgebung bei unter zwei Millimetern liegt und die Literatur 20 Prozent okkulte Metastasen dokumentiert, so dass im Zweifelsfall die Halsausräumung empfohlen wird. Dem gegenüber stand Prof. Dr. Dr. Johannes Schubert, Halle, der die elektive Neck dissection mit der Begründung ablehnte, dass vier Fünftel aller Oberkieferkarzinome ohne Metastasierung einhergehen und der Patient nicht an seinen Metastasen, sondern am Rezidivtumor stirbt.

Tagungspreise

Unter mehr als 30 Posterpräsentationen erhielt PD Dr. Dr. Corinna Zimmermann et al., Kiel, den Preis für die beste Posterpräsentation mit dem Beitrag „Adhärenz, Proliferation und Syntheseleistung porciner multipotenter Zellen auf Knochenersatzmaterialien“.

Der Tagungspreis für den besten „Erstlingsvortrag“ wurde Dr. Florian Fialka et al., Göttingen, für seinen innerhalb des AKOPOM präsentierten Vortrag „Analyse der differenziellen Expression prognoserelevanter Gene in oralen Plattenepithelkarzinomen“ verliehen. Mario Hakim Abu-Id et al., Hamburg, erhielt mit seinem Referat über die „Chirurgische Therapie der Bisphosphonat-assoziierten Osteonekrose in Abhängigkeit vom Stadium“ den Preis für den besten wissenschaftlichen Vortrag.

Annette RabelCharité – Universitätsmedizin BerlinCharitéCentrum 3 für Zahn-, Mund- undKieferheilkunde, Bereich Oralmedizin,Zahnärztliche Röntgenologie und -ChirurgieAßmannshauser Straße 4-614197 Berlinannette.rabel@charite.de

 

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.