Interaktive Fortbildung

Direkte adhäsive Restaurationen im Seitenzahnbereich

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Aus der minimalinvasiven und ästhetischen direkten Kompositversorgung entwickelte sich das Material Komposit in den letzen Jahren immer mehr zu einem Standard-Versorgungswerkstoff, der auch in größeren Kavitäten eingesetzt wird. Hier müssen an das Füllungsmaterial hohe werkstoffkundliche Erwartungen gestellt werden: Neben der dichten adhäsiven Anbindung muss das Restaurationsmaterial abrasionsstabil sein, eine ausreichend hohe Frakturresistenz und eine möglichst geringe Schrumpfkraft aufweisen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Versagensgrund „Füllungsfraktur“ der „Sekundärkaries“ hinsichtlich ihrer Prävalenz inzwischen gleichgezogen hat. Das mag nicht in einer Verschlechterung der Restaurationsmaterialien liegen, sondern eher ein Indiz dafür sein, dass die Komposite inzwischen in immer ausgedehnteren Kavitäten zum Einsatz kommen. Zudem erscheint es als Indiz dafür, dass die Probleme der Adhäsivtechnik über den immensen Zuwachs in Behandlungsroutine derartiger Fälle in den letzten Jahren deutlich abgenommen haben.

Generell scheinen sich die Kompositmaterialien auch bei größeren Restaurationen im Seitenzahnbereich klinisch zu bewähren. Nicht umsonst erweiterte die Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltungkunde (DGZ) im Jahr 2005 die Indikation der Komposite im Seitenzahnbereich auch auf den Ersatz einzelner Höcker [9]. Betrachtet man die Meta- Analyse von Manhart et al. [13] liegt Komposit mit einer jährlichen Verlustquote von 2,2 Prozent zwischen Keramik (1,9 Prozent) und Amalgam (3,0 Prozent) (Abbildung 1). Interessant sind derartige Meta-Analysen deswegen, weil sie eine Vielzahl von publizierten Studien einschließen und somit einen hohen Evidenzgrad aufweisen. Es muss aber auch bedacht werden, dass viele der betrachteten Studien sich eher mit kleineren, eventuell rein schmelzbegrenzten Kavitäten beschäftigen, andere Studien zu Amalgam oder Gold hingegen auch mit ausgedehnteren Restaurationen. Auch der Beobachtungszeitraum ist nicht immer der gleiche. Die Meta-Analyse von Brunthaler et al. kommt bei Studiendauern von 1 bis 17 Jahren auf Verlustquoten von 4 bis 45 Prozent [1]. Generell bleiben in Abhängigkeit vom Publikationszeitpunkt und vom Untersuchungsintervall die Aussagen kontrovers: Während Gängler et al. von einer Retentionsrate von 74 Prozent nach zehn Jahren berichtet [7] und eine niedrige Sekundärkariesrate sowie eine klinische Anwendungssicherheit attestiert, berichten Collins et al. in einer 1998 veröffentlichten Studie von einer nach acht Jahren 2- bis 3-mal höheren jährlichen Verlustquote bei Komposit im Vergleich zu Amalgam [2]. Auch hier dürfte eine Vergleichbarkeit schwer herzuleiten sein, obwohl beide Untersuchungen eigentlich zum selben Zeitpunkt begonnen haben dürften.

Peumans et al. [17, 18] berichteten über lediglich in sieben Prozent inakzeptable Randschlüsse bei fünf Jahre alten Kompositrestaurationen, allerdings [19] über einen negativen Einfluss auf die parodontale Gesundheit. Opdam et al. [15] publizierten für Komposit-Restaurationen mit 82,2 Prozent dieselbe 10-Jahres-Überlebensrate wie für Amalgam mit 79,2 Prozent. Pallesen und Quist [16] berichten von einer Überlebensquote von 78 bis 79 Prozent nach elf Jahren. Hinsichtlich der biologischen Risiken der Komposite können diese – eine suffiziente Aushärtung vorausgesetzt – inzwischen als sicher eingestuft werden. Hier sei primär auf die ausführliche Literatur aus Regensburg hingewiesen [20-22].

Was limitiert die Qualität und somit die Erfolgsquote der direkten Kompositrestauration im Seitenzahnbereich? Es lässt sich vermutlich auf die Faktoren Indikationsstellung, Kontaminationskontrolle, anwendungstechnikkonforme Verarbeitung, Materialqualität, Behandlergeschick und Patientencompliance zurückführen.

Je größer die Restaurationen werden,

• desto eher können falsche Indikationsstellungen zu Misserfolgen führen,• desto länger dauert der Behandlungsprozess,• desto sorgfältiger muss die Kontaminationskontrolle kontrolliert und umgesetzt werden,• desto schwieriger ist gerade die approximal- zervikale Abdichtung,• desto bedeutsamer ist es, eine Adhäsivund Füllungsmaterialapplikation exakt entsprechend den Herstellerangaben umzusetzen, da ansonsten eher mit postoperativen Beschwerden, Randablösungen und insuffizient ausgehärtetem Kompositmaterial zu rechnen ist,• desto mehr stehen neben der momentan fokussierten Schrumpfkraftentwicklung die physikalischen Eigenschaften wie Biegebruchfestigkeit, Ermüdung und Abrasion im Vordergrund,• desto sorgfältiger muss der Behandler an die Restauration – am besten tagesformunabhängig – herantreten und• um so bedeutsamer ist die sorgfältige Pflege der Restauration durch den Patienten – die Anwendung von Zahnseide und Interdentalraumbürstchen sollte bei jeder nicht schmelzbegrenzten Approximalläsion ein Muss sein.

Aus diesem Grunde soll das Ziel dieses Fortbildungsartikels nicht die Darstellung eines einzelnen Behandlungsfalles sein, sondern die Probleme der direkten Kompositrestauration in unterschiedlichen Indikationsstellungen und unterschiedlichen Kavitätengrößen aufzeigen und konkrete Lösungsmöglichkeiten anbieten: Während die Hauptprobleme der großen tiefen Klasse II eventuell die approximal zervikale Abdichtung und die anatomische Restaurationsgestaltung sind, dürften es in der minimalinvasiven erweiterten Fissurenversiegelung eher die Erreichbarkeit und die komplette Versiegelung der Dentinfläche sein.

Fall 1: Die erweiterte Fissurenversiegelung als klassische minimalinvasive Primär-Versorgung

Der 24-jährige Patient wies an dem Zahn 16 eine stark verfärbte Fissur auf, die nach Erweiterung mit dem Fissurotomy- HM-Bohrers (SS White) zwei deutlich in die Tiefe weisende kariöse Läsionen aufwies (Abbildung 2). Bei der Kariesexkavation stellen hier die Erreichbarkeit und die Einsicht in die stark unterminierten Areale die Hauptschwierigkeiten dar. Spezielle Diamantschleifkörper mit schmalem Schaft und unterminierend arbeitendem Arbeitsteil (wie Komet, Gebr. Brasseler, Lemgo) sind hier eine Bereicherung. Inzwischen gibt es vom selben Hersteller auch Rosenbohrer mit schmalem Schaft als sinnvolle Ergänzung. Die Abbildung 3 zeigt die unterminierend exkavierte Kavität. Das größte Problem bei dieser Läsionsart ist sicher die Applikation des Adhäsivs und des Füllungsmaterials. Die meisten Adhäsive werden heute mit Microbrushes an- geboten – die bekommen bei der engen Zugangskavität aber definitiv keinen Kontakt zur Dentinfläche. Die Hoffnung auf den „Selbstbenetzungseffekt“ macht meist der Lufteinschluss zunichte. Folge ist nun ein demineralisiertes Dentin, das nicht oder unvollständig mit Adhäsiv penetriert ist – dies schreit nach postoperativen Beschwerden. Selbstkonditionierende Adhäsive sind hier keine wesentliche Erleichterung: Ein „Einreiben“ auf die Dentinoberfläche funktioniert aus denselben Gründen nicht. Deshalb sollten für derartige Kavitäten in der Praxis immer ein paar Pinselchen vorrätig sein – die erreichen jede noch so schmale Fissurentiefe. Nach der Polymerisation stellt die Einbringung des Füllungskomposites die nächste Schwierigkeit dar. Nur ein Flow- Komposit kann eine derartige Kavität komplett benetzen und füllen. Das Verteilen des Flowables mit einer Sondenspitze lässt Luftblasen erkennen und an die Oberfläche ziehen. Gegebenenfalls kann es auch mit dem Luftpüster verteilt werden. Nach der mehrschichtigen Applikation des Flowables (Härtungszeit jeder Portion 20 s), die neben der Optimierung der Schrumpfungskräfte auch ein Zusammenfließen, ein „Pooling“ verhindert und eine bessere Formgebung unterstützt, können verbliebene größere Kavitätenanteile (Abbildung 4) noch mit einem konventionellen Komposit versorgt werden oder inkremental mit dem Flowable (hier: Tetric EvoFlow, Ivoclar, Schaan, Liechtenstein). Die Abbildung 5 zeigt die fertige Klasse-I-Restauration.

Fall 2: Die Klasse I und II an Prämolaren: eine größere Kavität, die noch gut mit Komposit versorgt werden kann.

Bei der 55-jährigen Patientin ergaben sich nach der Entfernung insuffizienter Amalgamfüllungen den Zähnen 34 und 35 großflächige okklusale Defekte mit nur geringer Restdentinunterstützung der verbleibenden Höcker sowie eine kleine Kariespenetration in den mesialen Approximalraum des Zahnes 34. Die direkte Kompositversorgung beider Zähne wurde nach sorgfältiger Abwägung der Behandlungsalternativen Keramikinlay und Keramikteilkrone in diesem Fall als die günstigste Versorgungsvariante angesehen. Eine Goldversorgung kam für die Patientin aus ästhetischen Gründen nicht in Frage, eine Neuversorgung mit Amalgam schied aufgrund der reduzierten Dentinunterstützung ebenfalls aus. Alle Bereiche konnten bis auf Sonden-hartes Dentin sauber exkaviert werden. Nach einer Randbearbeitung in Form einer Abschrägung beziehungsweise eines leichten Brechens der Kanten wurde mesial an Zahn 34 ein Teilmatrizensystem (Compositight, Garisson Dental Solutions, USA) zur Formgebung der Approximalfläche angelegt (Abbildung 6). Ein besseres, da nicht „bleitotes“ Matrizensystem, das nicht „verknittert“, ist inzwischen als „Contact Matrix Thin Flex“ (www.minimalinvasiv.de) erhältlich. Nach der Phosphorsäureätzung erfolgte die Applikation eines Typ-1-Adhäsivsystems (Optibond FL, sds Kerr, USA) [4]. Zur Sicherstellung einer suffizienten Benetzung der gerade im mesialen Kasten schwer erreichbaren angeschrägten Schmelzränder und zur Vermeidung von Unterschüssen durch Nichtadaptation von Füllungsmaterial in diesen doch neuralgischen Übergangsbereichen zur Zahnhartsubstanz gerade approximal, wurde als erste Kompositschicht erneut ein Flow-Komposit (hier Filtek Supreme XT Flow, 3M ESPE, Seefeld) eingebracht und separat polymerisiert (Abbildung 7). Die potenzielle Verbesserung des Randschlusses adhäsiver Restaurationen durch die zusätzliche Verwendung von Flowables und der diskutierte „Stress-Breaker“-Effekt durch die höhere Eigenelastizität dieser Materialien waren Gegenstand zahlreicher In-vitro- als auch In-vivo-Studien. Lediglich die Hälfte der veröffentlichten Untersuchungen konnte eine signifikante Verbesserung der Randqualität nachweisen; am ehesten fand man diesen positiven Einfluss auf die Randdichtigkeit noch bei stopfbaren Kompositen. Somit dürfte nicht der in wissenschaftlichen Studien nachweisbare Einfluss auf die Randdichtigkeit ausschlaggebend für die zusätzliche Verwendung von Flowables sein, sondern vielmehr deren Praktikabilität im klinischen Alltag [6].

Anschließend erfolgte der Aufbau des approximalen Kastens bis zur Randleiste. (Abbildung 8). Im vorliegenden Fall wurde ausschließlich mit dem Füllungskomposit konventioneller Viskosität (in diesem Fall Filtek Supreme XT, 3M ESPE) entsprechend der Schichtungsempfehlung aus Abbildung 6 vorgegangen. Eine weitere, inzwischen auch oft in Fallberichten publizierte Alternative ist die „Verschalungstechnik“ bei der die gesamte Matrizenwand mit einem Flowable beschickt wird, dann zur Versteifung die gesamte (sehr dünne) Approximalwand mit einem Füllungsmaterial konventioneller Konsistenz verstärkt und anschließend der verbliebene „Schacht“ sukzessive mit dem Restaurationsmaterial aufgebaut wird. Auch wenn diese Technik zurzeit weitläufig propagiert wird, konnte sie klinisch noch keinen Verbesserungseffekt auf die Randdichtigkeit nachweisen. Ob das Handling erleichtert oder erschwert ist, hängt sehr stark von der individuellen Beurteilung ab. Besonders bedeutsam ist es gerade okklusal, konsequent ein gleichzeitiges Anbinden größerer Kompositinkremente an die bukkale und linguale Kavitätenwand zu vermeiden. Dies würde unweigerlich zu höheren C-Faktoren, zu einer erhöhten Schrumpfkraftentwicklung und in Folge daraus zu einem früheren Abriss des Restaurationsmaterials vom Kavitätenrand führen, was sich klinisch als jene „white lines“, die weißen Ränder, die nach Ausarbeitung und Politur durch Impaktierung von Politurabrieb in die entstandenen Mikrospalten sichtbar werden, dokumentiert. Eine praktikable Schichttechnik zeigt die Abbildung 9. Nach Abnehmen des Matrizensystems konnte die Kaufläche nun leichter erreicht werden: Es wurde somit aus der Klasse-II-Kavität eine leichter zu versorgende Klasse-IKavität. Falls ohne Kofferdam gearbeitet wird, sollte nach Entfernung des Matrizensystems der Holzkeil sofort wieder reponiert werden, da dieser ein Hochsteigen einer gingivalen Blutung verhindert. Die Abbildung 10 zeigt die Versorgung nach einem Jahr nach einer Zahnsteinentfernung. In diesem und in den folgenden Fällen wird bewusst auf eine farbliche Hervorhebung der Fissuren (Malfarben) verzichtet. Diese Maßnahme wird in den seltensten Fällen von den Patienten geschätzt, erfordert zusätzliche Arbeit und verbessert nicht die Qualität der Restauration. Da die Restaurationen im normalen Sprechabstand nicht zu erkennen sind, stellt sich generell die Frage nach dem Sinn einer derartigen Maßnahme.

Fall 3: Die Klasse II mit Ersatz eines Höckers im Molarenbereich

Nicht jede Läsion, bei der ein Höcker ersetzt werden muss, ist automatisch ein großer Zahnhartsubstanzdefekt. Oftmals resultiert eine solche Situation aus einer ungünstigen Anatomie oder aus der Primärversorgung. Die Abbildung 11 zeigt eine solche Situation: Der herausgebrochene palatinale Ausläufer der okklusalen Amalgamfüllung wurde provisorisch mit Phosphatzement verschlossen. Der Zahn zeigte okklusal-mesial klinisch und radiologisch keine Karies. Der Defekt (Abbildung 12) konzentrierte sich somit ausschließlich auf den distalen Teil des Zahnes. Der Patient wurde über die Behandlungsalternative einer direkten Kompositrestauration mit Höckerersatz aufgeklärt. Die primär ins Auge gefasste Versorgung mittels einer Goldoder Keramikteilkrone (beziehungsweise Inlay mit Höckerschutz) würde präparationstechnisch mehr Zahnhartsubstanz fordern. Im Gegensatz zum mesialen Approximalkontakt zeigte sich distal eine bereits in das Dentin penetrierte Karies. Aus diesem Grunde war es erforderlich die gesamte Distalfläche mit in die Kavitätenpräparation einzubeziehen. Die Kavität musste zentral nur unwesentlich in den Bereich der okklusalen Karies extendiert werden. Nachdem auch wie bereits erwähnt die DGZ-Stellungnahme zur Indikation von Kompositen den Ersatz einzelner Höcker ausdrücklich einschließt, hat eine derartige Versorgung keinerlei experimentellen Charakter, sondern kann inzwischen als bewährte Versorgungsform bezeichnet werden (Abbildung 13). In dem vorliegenden Fall kam das Submikrometerhybridkomposit Venus (Heraeus Kulzer, Hanau) zur Anwendung.

Fall 4: Der Austausch einer indirekten Restauration

Generell spricht bei der Austauschindikation eines Keramikinlays nichts gegen eine Neuversorgung desselben Falles mit Keramik, vorausgesetzt die Präparationsform wird kritisch überprüft. Da allerdings zahlreiche Keramikinlayversorgungen vor etlichen Jahren durchgeführt worden sind, in denen man den direkten Kompositversorgungen noch nicht so viel Vertrauen entgegenbrachte, kann dem entgegen nach heutigen Gesichtspunkten manche Kavität durchaus mit einem direkten, plastischen, adhäsiven Füllungsmaterial versorgt werden.

Der 36-jährige Patient wurde vor exakt viereinhalb Jahren an seinem unteren rechten ersten Molaren mit einem mod-Keramikinlay unter Ersatz des mesio-bukkalen Höckers versorgt. Er stellte sich selbständig wieder vor, nachdem er Frakturlinien an dem Inlay beobachtet hatte (Abbildung 14). Der Zahn reagierte positiv auf den Sensibilitätstest; auch hinsichtlich Perkussion waren keine abnormen Befunde festzustellen. Im Prinzip hatte der Patient keine Einwände gegen eine Neuversorgung mit Keramik, wollte allerdings keine provisorische Versorgung, da er unmittelbar vor einer längeren Auslandsreise stand. Nach Aufklärung über die Möglichkeiten aber auch über die potenziellen Risiken der weiteren Versorgungsalternative, der direkten adhäsiven Versorgung mit Komposit, entschied sich der Patient für diese Variante. Als vorteilhaft erwies sich in diesem Fall die definitive Versorgung in einer Sitzung. Einzig eine CEREC Chair-Side-Versorgung wäre in diesem Fall entsprechend dem Patientenwunsch anwendbar gewesen. Als Matritzensystem kam das zirkuläre KerrHawe Adapt SuperCap Matrix System (KerrHawe, Bioggio, Schweiz) zur Anwendung. Da die potenzielle Entfernung existierender zahnfarbener Restaurationen ein nicht zu unterschätzendes klinisches Problem darstellt, wurde aus diesem Grunde in den tiefen Kavitätenarealen sowie zervikal auf der approximalen Stufe ein weiß-opakes Demarkierungs- Flow-Komposit (Venus Flow Baseliner, Heraeus Kulzer, Hanau) aufgebracht (Abbildung 15). Dieses Material würde im Falle einer potenziellen Reintervention an dem Zahn eine Darstellung des Kavitätenbodens erleichtern [3, 10, 11, 12, 24].

Die Kavität konnte dann mit einem Nano-Hybridkomposit (Tetric Evo- Ceram, Ivoclar/Vivadent, Schaan, Liechtenstein) in Inkrementtechnik aufgebaut werden [5]. Auch hier wurden erst die approximalen Wände aufgebaut (Schichtung gemäß Abbildung 6), dann die Matrize entfernt und die okklusalen anatomischen Strukturen aufgebaut. Die Abbildung 16 zeigt die fertige Restauration bei einer Nachkontrolle nach einem Jahr. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass es zu derartigen Indikationen auch negative Berichte aus der Literatur gibt: Van Nieuwenhuysen et al. [25] kamen nach Betrachtung der medianen Überlebensrate, die bei Amalgam 12,8 Jahre und bei Kronen 14,6 Jahre betrug, zu dem Schluss, dass Komposit mit 7,8 Jahren medianer Überlebensrate nicht als Alternative zur Überkronung bei sehr großen Kavitäten gesehen werden kann, Amalgam hingegen durchaus.

Fall 5: Die Königsdisziplin: Die Versorgung eines wurzelkanalbehandelten Molaren.

Die 22-jährige Patientin stellte sich mit dem Wunsch nach einer zahnhartsubstanzschonenden, definitiven Versorgung ihres wurzelkanalgefüllten Zahnes 36 vor. Man kam überein, einen Versuch der adhäsiven Stabilisierung des Zahnes mit einer direkten Kompositversorgung zu wagen. Die Alternative Keramikinlay beziehungsweise Keramikteilkrone wurde aus Kostengründen, die Alternative Goldteilkrone aus ästhetischen Gründen von der Patientin nicht favorisiert. Sicherlich stellt die Versorgung derart großer Kavitäten in direkter Technik mit Komposit gegenüber einer Keramikversorgung eher ein Novum dar. Der Evidenzgrad einer derartigen Versorgung ist noch gering: Es liegen primär Fallberichte vor, von denen einige bei Extremindikationen bemerkenswerte Ergebnisse vorweisen können, zum Beispiel der von Staehle letztes Jahr publizierte Fall mit einem exzellenten Sieben-Jahres-Ergebnis [23]. Die einzige existierende Studie [14] zeigt mit einer Überlebensrate von lediglich 36 Prozent nach fünf Jahren bei nicht überkronten wurzelkanalbehandelten Zähnen allerdings eher abschreckende Ergebnisse. Falls hingegen noch ausreichend Zahnhartsubstanz vorhanden war, was in dem vorliegenden Fall durchaus behauptet werden kann, lag die Fünf-Jahres-Überlebensquote bei 78 Prozent.

Die Abbildung 17 zeigt die vollständig exkavierte Kavität mit der Darstellung der Guttaperchapoints an den Kanaleingängen nach Kofferdamisolierung und Anlegung des zirkulären, anatomisch geformten Hawe Adapt Supercap Matrix- System (Kerr Hawe). Da hinsichtlich der Notwendigkeit einer adhäsiven Stabilisierung des Zahnes bei der Langzeitqualität des adhäsiven Verbundes kein Kompromiss eingegangen werden sollte, erfolgte die adhäsive Vorbehandlung mit einem bewährten konventionellen Typ-1-Adhäsiv [4]. Zur Differenzierung des Kavitätenbodens von der vorzunehmenden Kompositrestauration erfolgte die Applikation einer dünnen Schicht Venus Flow Baseliner [3]. Sollte im Rahmen einer eventuell notwendigen Revision der Wurzelfüllung oder der Kompositfüllung die Notwendigkeit bestehen, das zahnfarbene Kompositmaterial von der Zahnhartsubstanz wieder zu entfernen, erleichtert diese weißopake Demarkierungsschicht die Wiederentfernbarkeit des Restaurationsmaterials. Gerade in derart tiefen Kavitäten besteht eine nicht zu vernachlässigende Gefahr einer Perforation des Zahnes im Bereich des Pulpenkavum-Bodens oder der unnötigen Entfernung gesunder Zahnhartsubstanz. Auf die Baseliner-Schicht wurde das weiß-opake Restaurationsmaterial Venus SBO aufgebracht. Dieses sehr opake Kernmaterial ist eigentlich für Restaurationen an gebleichten Zähnen vorgesehen, ermöglicht aber auch die Gestaltung eines Kernaufbaus an wurzelgefüllten Zähnen, die zwar nicht verfärbt sind, aber die Gefahr einer Grauverfärbung in sich tragen.

Im Weiteren erfolgte zuerst der Aufbau der approximalen Kästen in Inkrementtechnik bis zur Randleiste. Auf das weißopake Venus SBO-Material wurde zur farblichen Abdeckung des Untergrundes eine Schicht der Opakfarbe Venus OA2 aufgebracht. Der weitere Aufbau des Zahnes erfolgte ausschließlich mit Venus A2. Die Abbildung 18 zeigt die Restauration bei einer Nachkontrolle nach vier Jahren.

Fazit

Direkte Kompositrestaurationen stellen inzwischen eine ernst zu nehmende Alternative zu Keramikinlayversorgungen dar. Die neue Stellungnahme der DGZMK zu direkten Kompositrestaurationen im Seitenzahnbereich prägt für die zum Teil vorgestellten, großen Versorgungen den Begriff der „neuen Indikationen“. Dies bedeutet, dass für diese Versorgungen außer Einzelfallberichten noch keine Langzeitstudien publiziert sind, die eine Bewertung auf einem hohen Evidenzniveau zuließen. Die Abbildung 19 fasst aus diesem Grunde die in diesem Beitrag vorgestellten Behandlungsbeispiele in absteigender Reihenfolge ihres Evidenzgrades und zunehmendem Versagensrisiko zusammen. Es wird aus diesem Grunde eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung mit entsprechender Aufklärung des Patienten gefordert, die potenziellen Möglichkeiten derartiger Restaurationen aber nicht negiert. Auch wurde bewusst bei der Indikation für Komposite im Seitenzahnbereich die Klasse-II-Läsion mit Ersatz einzelner Höcker hinzugenommen. Die ADA (American Dental Association) fordert in ihren Richtlinien zu klinischen Studien über Kompositrestaurationen im Seitenzahnbereich sogar einen gewissen Prozentanteil an Klasse-II-Restaurationen mit Höckerersatz. Dies zeigt, dass heute dass Indikationsspektrum direkter Kompositrestaurationen im Seitenzahnbereich deutlich weiter angesehen werden kann als noch vor einigen Jahren. Dies liegt zum einen daran, dass sich sowohl die verwendeten Restaurationswerkstoffe aber auch die unabdingbaren Adhäsivsysteme über die Zeit deutlich verbessert haben, parallel dazu aber immer mehr Erfahrung mit dem Umgang der Materialien gesammelt werden konnte, was letztendlich zu qualitativ hochwertigeren und potenziell langlebigeren Restaurationen führen dürfte. Aufgrund des immensen Aufwandes zur Erstellung einer derartigen direkten, multiadhäsiven Kompositrestauration ist es unabdingbar den betriebenen Aufwand auch aufwandsgerecht zu liquidieren. Die vorgestellten Restaurationen wurden alle analog der GOZ-Positionen 215, 216 und 222 liquidiert. Der Steigerungsfaktor lag hier aufwandsabhängig zwischen 1,9 und 2,3. Dieser muss aber individuell praxispezifisch ermittelt werden. Es entstanden somit pro Zahn etwa 40 bis 45 Prozent der Gesamtkosten einer vergleichbaren Keramikversorgung.

Nachdem die deutschen Hochschullehrer die leistungsgerechte Honorierung derart aufwendiger Restaurationen unterstützen und die Analogberechnung bejahen [8], bleibt es nun in der Verantwortung der berufspolitischen Standesvertreter, auch in Zukunft gerade in Hinblick auf die befürchtete „BEMAtisierung“ der GOZ vehement zu vertreten und einzufordern, dass derartige Versorgungsformen, die in der Regel deutlich zahnhartsubstanzschonender sind als indirekte Verfahren, auch in Zukunft zum Wohle der Zahngesundheit unserer Patienten eingesetzt werden können.

Prof. Dr. Claus-Peter ErnstPoliklinik für ZahnerhaltungskundeKlinikum der Johannes Gutenberg-Universität MainzAugustusplatz 255131 Mainzcpd.ernst@t-online.de

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