Medizin in der Barockzeit

Das war der Doktor Eisenbarth

Heftarchiv Gesellschaft
Das bekannte Spottlied aus dem beginnenden 19. Jahrhundert (siehe Kasten) rückte Johann Andreas Eisenbarth (1663 – 1727) lange Zeit in ein falsches Licht. Er war nicht etwa ein Scharlatan oder Quacksalber, sondern einer der besten Wundärzte der Barockzeit.

Johann Andreas Eisenbarth praktizierte vor allem als Chirurg und Okulist. Als Zahnarzt war Eisenbarth nicht tätig, aber er hatte in seinem Tross Kollegen, die diese Arbeit übernahmen. Die Bedingungen, unten denen Eisenbarth arbeiten musste, waren ganz andere als heute. Weder ein steriles Behandlungszimmer noch Hightech-Medizin standen ihm zur Verfügung. Während seiner Wanderung durch Städte und Dörfer empfing Eisenbarth die Patienten anfangs auf Bühnen der Marktplätze. Die Behandlung erfolgte in einem Zelt hinter der Bühne. Später wurden schwierige Operationen in den Häusern der Patienten oder in Gasthäusern vorgenommen.

Johann Andreas Eisenbarth wurde am 27. März 1663 als Sohn des Matthias Eisenbarth und dessen Frau Maria Magdalena in Oberviechtach in der Oberpfalz geboren. Sein Vater war Okulist, Stein- und Bruchschneider. Nach dem Tod des Vaters 1673 kam der Junge zu seinem Schwager, dem Okulisten, Bruch- und Steinschneider Alexander Biller, nach Bamberg, wo er auch seine Ausbildung als Wundarzt begann.

Wundarzt als Handwerker

Der Beruf des Wundarztes wurde damals wie ein Handwerk organisiert. Der akademische Arzt, wie wir ihn heute kennen, war bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts nur für die innere Medizin zuständig. Seit dem späten Mittelalter bestand diese Trennung. Der gesamte Bereich der Chirurgie mit Augen- und Zahnbehandlungen unterstand den so genannten Wundärzten. Ihre Zunft musste gegen einen schlechten Ruf ankämpfen, denn ihr Ansehen wurde durch eine große Anzahl von Kurpfuschern geschädigt.

Im Jahre 1684 legte Eisenbarth die Gesellenprüfung in Laufen bei Salzburg ab, wo er in Gegenwart seines Lehrmeisters Alexander Biller eine Staroperation erfolgreich vornahm. Für ein Jahr arbeitete er noch für seinen Schwager in Bamberg. Eine Meisterprüfung hat er nicht abgelegt. Und den Titel eines Doktors hat Eisenbarth auch nie erworben. Im Jahre 1689 wurde er erstmals in einem offiziellen Dokument als Dr. Eisenbarth bezeichnet. Johann Andreas Eisenbarth fühlte sich geschmeichelt und klärte den Irrtum nicht auf.

1685 ging Eisenbarth zu Meister Johann Heinigke in die Residenzstadt Altenburg des Herzogtums Sachsen-Gotha-Altenburg. Im darauf folgenden Jahr erhielt er von Herzog Friedrich das Privileg, als Bruch- und Steinschneider im Lande tätig zu sein. Das Privileg für Altenburg schrieb genau fest, dass Eisenbarth nur als Chirurg arbeiten sollte und nicht in das Arbeitsfeld der Medici, das heißt der akademischen Ärzte, eingreifen durfte. Aber Eisenbarth hat sich offensichtlich nicht immer an diese Anweisungen gehalten, wie Beschwerden seiner akademischen Kollegen bezeugen.

Der Rat der Stadt Altenburg erteilte ihm die Erlaubnis, vor Ort zu praktizieren. Diese Genehmigung war recht selten, denn sie hing davon ab, ob innerhalb der Zunft noch ein Platz frei war oder nicht. Mit dieser Regelung der Zünfte sollte die finanzielle Basis der ortsansässigen Wundärzte gesichert bleiben.

Konvertiert zum Luthertum

Sein Wunsch nach einem Privileg für das Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg scheint Eisenbarth 1686 dazu bewogen zu haben, vom römisch-katholischen zum evangelisch-lutherischen Glauben überzutreten. Nicht ganz 40 Jahre nach der Beendigung des 30-jährigen Krieges spielte die Religionszugehörigkeit eine entscheidende Rolle und konnte über Karrieren entscheiden. Eisenbarth erwähnt für seinen Übertritt zur Evangelischen Lehre religiöse Gründe, so den, dass den Katholiken beim Abendmahl der gesegnete Kelch verwehrt werde.

Nach dem Übertritt zum Luthertum stand auch der Ehe Eisenbarths mit der Tochter seines Meisters Heinigke, Catharina Elisabeth, nichts mehr im Wege. Die Hochzeit fand am 16. September 1686 in der Brüderkirche von Altenburg statt. Der Ehe entstammten fünf Söhne und zwei Töchter. Drei Söhne starben schon im Kindesalter. Eisenbarth überlebte auch seine erste Frau und eine Tochter. Nachdem 1721 Catharina Elisabeth gestorben war, hatte er 1722 Anna Rosina Albrecht geheiratet. Die Witwe des Zahnarztes und Chirurgen Christoph Hummel nahm es aber mit den ehelichen Pflichten und der ehelichen Treue nicht so genau. Sie verließ Eisenbarth mehrfach für Liebschaften mit jüngeren Männern. Anna Rosina kehrte zwar stets zu ihm zurück, aber kümmert sich nicht um den im Alter kranken Mann.

Seit 1703 hatte Eisenbarth in Magdeburg seinen festen Wohnsitz. Er erhielt das Bürgerrecht von Madgeburg und kaufte das Haus „Zum goldenen Apfel“, eines der stattlichsten Anwesen der Stadt. Wenn Eisenbarth vor Ort weilte, behandelte er die Patienten in der Chirurgenstube seines Hauses.

Ausgedehnte Wanderungen

Von hier aus unternahm er seine ausgedehnten Wanderungen. Eisenbarth kündigte sein Kommen in Zeitungen und mit Flugblättern an. Um für sich und seine Heilkunst größere Aufmerksamkeit zu erlangen, begleitete ihn ein großer Tross von Komödianten, Gauklern, Musikern und Tänzern. Innerhalb dieser Gruppe war Eisenbarth nicht zu übersehen. Er trug eine Allongeperücke mit Dreispitz und einen scharlachroten Gehrock. Auch seine Diener und Gehilfen trugen livrierte Uniformen. In manche Stadt zog Eisenbarth mit beinahe fürstlichem Prunk ein.

Um auf der Wanderschaft praktizieren zu dürfen, musste der Wundarzt eine spezielle Erlaubnis erbitten. Ein sogenanntes landesherrliches Privileg war aber nicht so einfach zu erhalten. Denn das bekam der Wundarzt nur nach gründlicher Prüfung der theoretischen und praktischen Fähigkeiten durch eine Kommission akademischer Ärzte. Wenn er diese bestand, so durfte er als Wundarzt innerhalb des Hoheitsgebietes in Städten, Dörfern und auf Wochen- und Jahrmärkten praktizieren. Es gab die Form des zeitlich befristeten und unbefristeten Privilegs. Aber in der Zeit von Eisenbarth bestand das Heilige Römische Reich Deutscher Nation aus unzähligen kleinen und kleinsten Herrschaftsgebieten. Um seinen Beruf in nur einem kleinen Umkreis ausüben zu können, bedurfte es einer Vielzahl von Privilegien.

Und in der Erlangung von Privilegien war Eisenbarth ein wahrer Meister. Zu nennen wäre da seine Erlaubnis für Braunschweig-Lüneburg von 1710. Da der Kurfürst Georg 1714 König von Großbritannien geworden war, nannte sich Eisenbarth nun „Königlich Großbritannischer Landarzt“. Für das Königreich Preußen erwarb er 1707 und 1714 befristete Privilegien. Im Februar 1716 erging vom König Friedrich Wilhelm I., dem Vater Friedrich des Großen, folgender Ruf an Eisenbarth:

„Seine Königliche Majestät in Preußen etc. Unser allergnädigster Herr befehlen Dero Magdeburgischen Regierung hiermit in gnaden den dortigen Oculisten Eysenbarth sobald Er wieder daselbst wird angelangt seyn in Dero höchstem Nahmen anzubefehlen sich alsofort nach Stargard zu begeben, Woselbst Er sich beym Obristen Lieutnant Von Gräfnitz vom Borckschen Regiment, als welcher einen Schaden ans Auge bekommen, angeben und seinen äußersten Fleiß anwenden soll, solchem wiederzuhelffen.“

Weil Johann Andreas Eisenbarth eine Kriegsverletzung an den Augen des preußischen Militärs David Georg von Grävenitz erfolgreich beseitigen konnte, ernannte der preußische König Friedrich Wilhelm I. ihn 1717 zum Königlich Preußischen Hofrat und Hofokulisten. Zweihundert Jahre später schuf der Nachfahre jenes Militärs, Fritz von Grävenitz, 1937/38 den Eisenbarth-Brunnen in Madgeburg.

Berühmter Operateur

Eisenbarth wurde, wie der Fall von Grävenitz zeigt, vor allem durch seine Augenoperationen berühmt. Er erfand eine spezielle Starnadel mit deren Hilfe der Starstich durchgeführt wurde. Neben der Behandlung von Augenleiden operierte Eisenbarth auch Darm- und Wasserbruch und entfernte Nieren- und Blasensteine. An die Entfernung von Steinen in Niere und Blase wagten sich nur wenige Operateure, da es häufig zu Komplikationen nach den chirurgischen Eingriffen kam. Auch an die Operationen von Karzinomen wagte sich Eisenbarth. So ist die Brustamputation bei einer Frau bezeugt. Mithilfe einer Hohlnadel blies Eisenbarth bei der Bauchwassersucht die Flüssigkeit ab. Nasenpolypen entfernte er mit einem speziellen Polypenhaken, den er selbst erfunden hatte. Zu der chirurgischen Tätigkeit Eisenbarths gehörten auch die Operationen von Hasenscharten. Eisenbarth legte nie selbst Hand an die Zähne seiner Patienten. Aber dafür hatte er Zahnärzte in seiner Truppe, die für die Zahnbehandlung und das Einsetzen künstlicher Zähne zuständig waren. Die Zahnprothesen wurden zur damaligen Zeit meist aus Elfenbein von Walrosszähnen gefertigt. Der Chirurg Dr. Lorenz Heister (1683-1758) hatte oft bei Operationen Eisenbarths zugesehen. Heister hatte in Gießen Medizin studiert und war in Amsterdam und Leiden als Chirurg ausgebildet worden. Er hielt Eisenbarth für einen geschickten und gründlichen Operateur.

Bei den Möglichkeiten der damaligen Zeit verliefen natürlich nicht alle Operationen erfolgreich. Aber Eisenbarth wagte sich an Operationen, die andere Wundärzte scheuten. Zudem blieb Eisenbarth so lange an einem Ort, bis bei den Patienten keine Komplikationen mehr zu erwarten waren. Er stillte Nachblutungen oder wechselte Verbände. Andere Wundärzte zogen nach getaner Arbeit weiter und überließen die Patienten ihrem Schicksal.

Da die Sterilität bei Operationen völlig ungenügend war, kam es nach den Eingriffen fast immer zu Infektionen, deren Ursachen damals noch unbekannt waren. Dennoch versuchten fähige Operateure mithilfe von Kampfer, Alaun, Kupfersalz, Tannin oder Essig zu desinfizieren.

Wenn Operationen nicht gelangen, konnte es auch zu Streitigkeiten kommen. So ist der Fall eines Vaters bekannt, der 1723 in Königsberg gegen Eisenbarth Anzeige erstattete, weil die Steinoperation bei seinem Sohn missglückt war.

Auf Werbetour

Eisenbarth verstand es meisterhaft, für seine medizinische Kunst zu werben. Auf einem als Dienstliches Memorial bezeichneten Werbeblatt, hieß es unter anderem:

„Er setzet Zähne in den Mund, wie gewachsen dass man darauf kauen und essen kann ohne einige incommodität, welche nicht zu sehen seyn gegen denen natürlichen. Vertreibet den übeln Geruch, Scharbock und Mundfäule, hat Remedia, dass kein Zahn nicht faulet oder wackeligt wird, hat auch gute Zahn-Pulver.“

Mithilfe dieser Flugblätter und durch Anzeigen in Zeitungen oder einfach durch Mundpropaganda verschaffte sich Eisenbarth eine ausreichende Zahl an Patienten.

Wie man sieht, pries Eisenbarth auf diesen Flugblättern neben seinen medizinischen Fähigkeiten auch seine Arzneimittel an. Denn Eisenbarths Gehilfen produzierten im „Goldenen Apfel“ in Magdeburg eine große Anzahl damals benutzter Medikamente. Es ist nicht übertrieben, wenn man Eisenbarth als ersten Arzneimittelfabrikanten Deutschlands bezeichnet. Bei der Herstellung griff er vor allem auf die bekannten Mittel aus der Antike zurück. Zu den pflanzlichen, mineralischen, tierischen und menschlichen Substanzen kamen auch chemische Stoffe und bisher in Europa unbekannte Drogen aus den Kolonien in Amerika, Afrika und Asien. Mithilfe von Zerkleinerung, Pulverisierung und Zusammenmischen sowie durch Kochen oder Destillation wurden Salben, Pflaster, Balsame, Öle, Tinkturen, Pillen und Pulver hergestellt. Schwerpunkt bei der Arzneiherstellung waren Mittel gegen Augenkrankheiten und Augenverletzungen.

Beruflicher Abstieg

Eisenbarth hatte im Laufe seines Lebens unzählige Operationen durchgeführt. Auf seinen Reisen hatte er Tausende von Kilometern zurückgelegt. Die Reisebedingungen zu Beginn des 18. Jahrhundert machten lange Fahrten sehr beschwerlich. Der bereits von der Gicht geplagte Eisenbarth erlitt 1725 seinen ersten Schlaganfall. Dadurch verlor er seine Geschicklichkeit in den Händen und Misserfolge bei Operationen nahmen zu. Privilegien wurden ihm entzogen oder nicht mehr verlängert. Zu Beginn des Jahres 1726 weilte Eisenbarth in Bremen, bekam aber keine Erlaubnis zu praktizieren und wurde aus der Hansestadt verwiesen. Eisenbarth, der die Privilegien von Königen und Herzögen besessen hatte, musste nun seinen unabwendbaren beruflichen und körperlichen Abstieg erleben.

Auf einer seiner Reisen traf Eisenbarth 1727 in Göttingen ein. Da es ihm immer schlechter ging, verfasste er sein Testament. In Begleitung seines jüngsten Sohnes Adam Gottfried erreichte Eisenbarth noch Hannoversch Münden, wo er im Gasthof „Zum Wilden Mann“ abstieg. Nach einem erneuten Schlaganfall am 6. November starb Johann Andreas Eisenbarth dort am 11. 11. 1727 im Alter von 64 Jahren. Sein Grabstein befindet sich an der St. Ägidienkirche. An der Stelle, wo einst der Gasthof stand, erinnert heute an dem Nachfolgebau eine Statue mit seinem Konterfei an ihn.

So genannte Eisenbarth-Spiele werden regelmäßig zu seinem Gedenken in Oberviechtach und Hannoversch Münden veranstaltet, bei denen noch einmal die Welt der Wundärzte der Barockzeit aufersteht.

Kay LutzeLievenstraße 1340724 Hilden

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