Repetitorium

Die Sepsis

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Eine medizinische Herausforderung ist die Behandlung der Sepsis. Die Erkrankung macht nach den Herz-Kreislauf- und den Krebserkrankungen die dritthäufigste Todesursache hierzulande aus, steht aber weit weniger im öffentlichen Bewusstsein als Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebs.

Pro Jahr erkranken in Deutschland rund 52 000 bis 75 000 Menschen an einer schweren Sepsis oder einem septischen Schock. Das entspricht einer Inzidenz von 76 bis 110/100 000 Einwohner. Dies ist das Ergebnis einer bundesweiten Querschnittsstudie auf Initiative des Kompetenznetz Sepsis (SepNet). Die Kohortenstudie hat weiter ergeben, dass nach wie vor bei der Sepsis eine hohe Sterblichkeit besteht: Rund 55 Prozent der Sepsis-Patienten versterben, wobei eine direkte Korrelation zur Schwere der Erkrankung besteht und unabhängig davon auch zum Vorliegen eines akuten Nierenversagens.

Wie groß das Problem ist, zeigen zwei weitere Zahlen: Geschätzt wird, dass jährlich in den USA rund 200 000 Todesfälle auf das Konto der Sepsis gehen. Die Zahl der Menschen, die weltweit an der Sepsis oder einem septischen Schock erkranken, wird mit rund 18 Millionen angegeben.

Die Sepsis-Sterblichkeit wird allerdings weit unterschätzt: So sterben konkret jährlich in Deutschland rund 40 bis 57 000 Menschen durch eine Sepsis oder einen septischen Schock. Die vom Statistischen Bundesamt hierfür angegebenen Zahlen geben aber nur eine Erkrankungshäufigkeit von 39 000 Fällen an und bleiben mit angeblich 6 000 Todesfällen nach Angaben des SepNet weit hinter der Realität zurück.

Das Expertengremium hat zudem errechnet, dass die Sepsis zu den kostenintensiven Erkrankungen gehört: Allein für die direkten Kosten, die bei der intensivmedizinischen Behandlung septischer Erkrankungen anfallen, müssen die gesetzlichen Krankenkassen jährlich 1,7 Milliarden Euro aufwenden. Das sind etwa 30 Prozent der Gesamtkosten der Intensivmedizin. Allerdings müssen Patienten mit Sepsis im Durchschnitt 16 Tage auf einer Intensivstation behandelt werden und verbleiben im Mittel 32 Tage in der Klinik.

Krankheitsgrundlagen

Der Begriff der Sepsis, der Volksmund spricht auch von der Blutvergiftung, leitet sich von der griechischen Bezeichnung für „Fäulnis“ ab. Die Erkrankung, die in früherer Zeit auch als „Wundfäule“ bezeichnet wurde, ist die „aggressivste Form einer Infektion, hervorgerufen durch Mikroorganismen oder deren Toxine“ – so die Definition des Kompetenznetz Sepsis. Sie geht auf eine übersteigerte Reaktion der Abwehr auf eindringende Bakterien oder Pilze oder deren Toxine, zurück mit anschließendem Versagen des Immunsystems. Es kommt zu einer komplexen systemischen inflammatorischen Wirtsreaktion auf die Infektion, wobei die Situation zum Organversagen und weiter zum Multiorganversagen und so zum Tode des Patienten führen kann.

Voraussetzung ist eine massive Invasion der Erreger – sei es infolge einer eingeschränkten Immunabwehr oder durch die Invasion über wenig geschützte Räume, wie die Bauchhöhle, das Gehirn oder die Lunge. Am häufigsten geht die Sepsis von einer Pneumonie aus, aber auch Infektionen der Harnwege und der Geschlechtsorgane können ein Ausgangspunkt sein, ebenso Infektionen der Bauchorgane, Wund- und Weichteilinfektionen, Infektionen des Nervensystems, Herzklappenentzündungen oder zum Beispiel Katheterinfektionen.

Über den Blutkreislauf kommt es zur systemischen Ausbreitung der Infektion, wobei der lokale Herd die systemische Reaktion wie ein Motor unterhält. Auch proinflammatorische Zytokine, wie beispielsweise der Tumornekrosefaktor á (TNFá), sowie Interleukine triggern die Entzündungsreaktionen.

Entsprechend der Schwere der Erkrankung wird von einer Sepsis, von einer schweren Sepsis oder vom septischen Schock gesprochen. Es gibt jedoch zwischen den einzelnen Formen keine strengen Grenzen, sondern fließende Übergänge. Wegen der enormen Gefährdung des Patienten ist stets eine intensivmedizinische Behandlung angezeigt. Dabei müssen in aller Regel Organfunktionen unterstützt oder sogar ersetzt werden, sei es zum Beispiel durch eine mechanische Beatmung, eine Nierenersatztherapie oder eine spezielle Kreislaufbehandlung. Denn die hohe Sterblichkeit der Sepsis geht in erster Linie auf den Ausfall lebenswichtiger Organfunktionen zurück.

Anstieg der Häufigkeit

Generell wird künftig mit einem weiteren Anstieg der Sepsisfälle in Deutschland gerechnet. Ursache ist die hohe Zahl immunsupprimierter Patienten beispielsweise nach Organtransplantationen. Doch auch die Zahl der nicht immunsupprimierten Betroffenen steigt an. Denn die Patienten auf Intensivstationen werden zunehmend älter, was zum einen durch die demografische Entwicklung bedingt ist, zum anderen dadurch, dass heutzutage häufiger auch invasive Therapiemaßnahmen bei älteren und alten Menschen und allgemein bei Hochrisikopatienten vorgenommen werden.

Aufgrund der medizinischen Fortschritte überleben außerdem Patienten auf Intensivstationen weit länger als früher. Sie erleben schon bedingt durch die Erkrankung eine gewisse Immunsuppression, was der Entwicklung opportunistischer Infektionen und vor allem der Entwicklung von Pilzinfektionen Vorschub leistet. Die Patienten werden ferner zwangsläufig mit Antibiotika behandelt, was im Einzelfall notwendig sein mag, insgesamt aber den Selektionsdruck bei Krankheitskeimen forciert und das Auftreten von Resistenzen begünstigt.

Symptome der Sepsis

An eine Sepsis ist zu denken, wenn ein Patient als Folge einer Infektion mit Fieber über 38,8 °C und Schüttelfrost oder einer Hypothermie unter 35,5 °C reagiert, und das insbesondere, wenn diesen Symptomen ein chirurgischer oder allgemein ein invasiver Eingriff voranging. Charakteristische Symptome sind außerdem die Tachypnoe mit mehr als 25 Atemzügen pro Minute, eine Hypokapnie, eine Tachykardie mit mehr als 100 Schlägen pro Minute sowie eine Leukozytose (über 12000/mm3) oder eine Leukopenie (unter 4000/mm3). Auch Organfunktionsstörungen können auf eine Sepsis hinweisen. Sie können sich in Form von Bewusstseinsstörungen bemerkbar machen, über eine Hypoxämie, eine Hyperlaktatämie, eine verminderte Urinausscheidung und einen Blutdruckabfall.

Besteht der klinische Verdacht auf eine Sepsis, so müssen schnellstmöglich Blutkulturen zum Erregernachweis angelegt werden. Dies sollte im Idealfall geschehen, ehe eine antimikrobielle Therapie eingeleitet wird, da diese ansonsten infolge bereits eingesetzter Therapieeffekte ein falsches Bild ergeben könnte. Ist der Patient bereits mit Antibiotika vorbehandelt, so sollten die Blutkulturen entsprechend der Leitlinien der Deutschen Sepsis- Gesellschaft unmittelbar vor der nächsten Gabe des Wirkstoffs abgenommen werden. Nur bei jedem dritten Patienten lässt sich allerdings tatsächlich eine Bakteriämie nachweisen.

Erregerspektrum

Bei den Ursachen der Sepsis stehen Kokkeninfektionen nach Angaben des Kompetenznetz Sepsis im Vordergrund. Sie sind, so gibt die Gesellschaft an, für nahezu die Hälfte aller Infektionen auf Intensivstationen verantwortlich. Neben Pneumokokken bei den ambulant erworbenen Pneumonien werden laut SepNet zunehmend Staphylokokken und Enterokokken nachgewiesen. Im gramnegativen Bereich nennen die Experten als häufige Verursacher einer Sepsis Enterobacteriaceae wie E. coli und Klebsiellen. Es ist jedoch zunehmend auch mit Problemkeimen wie Pseudomonas aeruginosa zu rechnen sowie mit multiresistenten Keimen, die sich, so heißt es in einer Übersichtsarbeit der Gesellschaft „mehr und mehr auf Intensivstationen ausbreiten“.

Erste Therapiemaßnahme – die Fokussanierung

Die Behandlung ruht auf mehreren Säulen: Primär muss nach dem Infektionsherd gefahndet und versucht werden, diesen zu eliminieren. Die Liste der möglichen Infektionsherde ist lang. Es kommen Wundinfektionen infrage, tiefe Atemwegsinfektionen und intraabdominelle Infektionen.

Auch kann eine Erregerinvasion über Katheter, zum Beispiel über einen zentralen Venenkatheter, zur Sepsis führen. Ein routinemäßiger Wechsel intravasaler Katheter mindert die Sepsisgefahr laut Leitlinien aber nicht, weshalb die Katheter nur bei Anzeichen einer Infektion zu wechseln sind. Außerdem ist generell bei Patienten, die länger als 48 Stunden beatmet werden, mit einer so genannten ventilator-assoziierten Pneumonie zu rechnen.

Ist der Infektionsherd bekannt, so muss eine möglichst umfassende Fokussanierung erfolgen. Konkret bedeutet das, dass gegebenenfalls Implantate entfernt werden müssen oder dass Katheter zu wechseln sind. Eventuell ist eine Inzision eines Abzesses erforderlich oder eine Wunderöffnung und Nekrotomie, eine Fasziotomie oder sogar eine Amputation. Je nach Infektionsherd kann auch eine operative Behandlung einer Peritonitis notwendig werden, eine Peritoneallavage, eine Drainage oder eine Enterostomie.

Von entscheidender Bedeutung für das Überleben der Patienten ist die Antibiotikatherapie. Es kommt darauf an, dass die Patienten rasch ein effektiv wirksames Antibiotikum erhalten, wobei nach dem Prinzip „Hit early – hit hard“ vorgegangen wird, um mit hoher Wahrscheinlichkeit die infrage kommenden Erreger zuverlässig zu eliminieren. Denn eine inadäquate initiale Antibiotikabehandlung ist, so das Kompetenznetz Sepsis, der größte Risikofaktor für den Patienten. Wie wichtig die frühzeitige Behandlung ist, zeigte eine Untersuchung bei mehr als 2 000 Patienten mit septischem Schock: In der Studie stieg die Sterblichkeit mit jeder Stunde, die die Antibiotikatherapie später einsetzte, um sieben Prozent an.

Das bedeutet zugleich, dass die Wahl des Antibiotikums praktisch „blind“ erfolgen muss, da der Erregernachweis aus der Blutkultur frühestens innerhalb von 24 bis 48 Stunden vorliegt, sofern überhaupt ein Keimnachweis gelingt. Es ist deshalb initial ein Antibiotikum mit breitem Wirkspektrum und hoher Bakterizidie in ausreichend hoher Dosierung zu wählen, das gegen alle zu erwartenden Erreger zuverlässig wirksam ist. Dabei sind unbedingt allgemein bekannte und vor allem die lokalen Resistenzen zu berücksichtigen.

Resistenzentwicklung

Schon seit gut zehn Jahren registrieren die Infektiologen eine zunehmende Resistenzentwicklung der Bakterien gegenüber den Standardantibiotika.

Besonders problematisch ist dabei die Zunahme von Keimen wie Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), Vancomycin- resistenten Enterokokken sowie allgemein von multiresistenten Erregern, die immer häufiger ein Problem in der Intensivmedizin darstellen. Ursache der Entwicklung multipler Resistenzen sind in der Mehrzahl der Fälle frühere Antibiotikagaben, wobei Wirkstoffe mit schmalem Wirkspektrum eher Resistenzen triggern als sogenannte Breitbandantibiotika.

Mit Antibiotika behandelt wird üblicherweise für zehn bis 14 Tage, doch ist die Therapiedauer im Fluss: Einerseits muss die Behandlung ausreichend lange erfolgen, so dass die Erreger zuverlässig eliminiert werden, andererseits fördert eine zu lange Antibiotikagabe die Resistenzentwicklung.

Begleitende Therapiemaßnahmen

Neben der Sanierung des Infektionsherdes und der Antibiotikagabe ist in vielen Fällen im Rahmen der intensivmedizinischen Überwachung und Betreuung eine Beatmung der Patienten erforderlich. Es sind außerdem supportive Maßnahmen indiziert, wobei es primär um eine Stabilisierung der hämodynamischen Situation geht. Wichtig ist eine adäquate Volumensubstitution, und auch die Ernährung spielt bei der Sepsis eine wichtige Rolle. So zeigte eine Metaanalyse der vorliegenden Studiendaten, dass eine frühe enterale oder auch orale Ernährung bei Patienten mit chirurgischem Eingriff am Gastrointestinaltrakt die Infektionsrate nicht steigert, sondern vermindert und zudem die Klinikverweildauer reduziert.

In den Sepsis-Leitlinien wird ferner perioperativ zu immunmodulierenden Sondennahrungen bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren und solchen nach Polytrauma geraten. Denn auch diese Maßnahme führe zu weniger Infektionen und einer kürzeren Liegezeit in der Klinik, so heißt es. Ferner wird die intensivierte Insulintherapie propagiert, mit dem Ziel von Blutglukosewerten zwischen 4,4 und 6,1 mmol/l. Denn eine kontinuierliche intravenöse Verabreichung von Insulin führt nach Angaben der Experten bei postoperativen Intensivpatienten, die beatmet werden, zu einer Reduktion des Risikos für ein septisches Multiorganversagen und auch zur Reduktion der Sterblichkeit. In den Leitlinien wird deshalb generell bei postoperativen Intensivpatienten eine intensivierte Insulintherapie schon von Beginn der Intensivbehandlung an empfohlen. Allerdings müssen die Patienten engmaschig überwacht werden, um drohende Hypoglykämien rechtzeitig zu erkennen.

Als sinnvoll wird außerdem die Behandlung mit rekombinantem aktiviertem Protein C bei Patienten mit Versagen von mindestens zwei Organen erachtet, da Studien für eine derartige Therapie Überlebensvorteile dokumentiert haben. Bei Patienten mit voraussichtlich längerer Beatmungsdauer raten die Infektiologen außerdem zu einer selektiven Darmkontamination, da in Studien für eine solche Maßnahme ebenfalls eine Reduktion der Rate nosokomialer Infektionen belegt wurde.

Auch ohne, dass entsprechende Studien bei Intensivpatienten dazu vorliegen, wird ferner eine Thromboseprophylaxe als indiziert angesehen. Nicht empfohlen wird dagegen die routinemäßig antimykotische Therapie, da Vorteile einer solchen Intervention nicht ausreichend durch Daten belegt sind.

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