Reform betrifft Status und Beruf
Glaubte man den Ausführungen von BMGMinisterialdirigent Dr. Ulrich Orlowski, dann brauchen sich Deutschlands Zahnärzte in Sachen Gesundheitsreform kaum Gedanken zu machen: Dem Berufsstand sei es gelungen, beim Wettbewerbsstärkungsgesetz „weitgehend außen vor zu bleiben“. Mehr noch: In Sachen Vertragsarztrechtsänderungsgesetz hätten sie die Herausforderungen für den „tradierten Status der zahnärztlichen Praxis gemeistert“ und über eine „eher strukturkonservative“ Auslegung im Bundesmantelvertrag gesichert. Aus Sicht des BMG gibt es, so vermittelte es zumindest der Leiter der BMG-Unterabteilung Krankenversicherung auf dem Speyerer Symposium, mit der jüngsten Gesundheitsreform demnach keine neuen Herausforderungen für Deutschlands Zahnärzte.
Dieser Einschätzung schloss sich weder aus dem Plenum noch aus der Reihe der Referenten kaum jemand an. Im Gegenteil: Der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz erwartet angesichts des jetzt eingeschlagenen Wegs sogar eine „Umverteilung des gesamten Gesundheitssystems“. Mit Blick auf die anstehende GOZ-Novellierung befürchtet er sogar, dass auch das bisher vom BMG „gefeierte“ Festzuschusssystem seine erforderliche Parallelstruktur im privaten Leistungsbereich zu verlieren droht.
Fedderwitz verwies auf die in der Reform leider nicht berücksichtigten fundamentalen Unterschiede der Zahnmedizin zu allen anderen Leistungsbereichen. Hier seien Erkrankungen oft ohne aufwendige Differenzialdiagnostik erkennbar, „im weiten Umfang verhaltensabhängig“ und daher durch präventives Verhalten positiv beeinflussoder auch gänzlich vermeidbar. In der Zahnmedizin bestimme der Befund die Behandlungsbedürftigkeit. Insofern könne es im vertragszahnärztlichen Bereich keine angebotsinduzierte Nachfrage geben. Darüber hinaus existierten in der Regel befundabhängige Behandlungsalternativen, „mit denen ein weitgehend identisches Behandlungsziel erreicht werden kann, wobei aber zum Teil deutliche Unterschiede im Komfort beziehungsweise in der Ästhetik für den Patienten bestehen“. Eine Begrenzung und Konzentration der GKV-Leistungen auf präventive und besonders wirtschaftliche Versorgungen sei deshalb nur konsequent, stärkere Eigenbeteiligung der Versicherten „sachlich gerechtfertigt“. Die aus diesen Besonderheiten erwachsenden Chancen seien im VÄndG und auch im GKV-WSG vom Gesetzgeber nicht genutzt worden.
Weil im zahnärztlichen Bereich eine Kooperation unterschiedlicher Fachgruppen nicht notwendig ist, sei die berufliche Liberalisierung durch das VÄndG – ganz zu schweigen vom weiter bestehenden Problem der Budgetierung – eher geeignet, eine Übervorteilung niedergelassener Vertragszahnärzte zu bewirken. Deshalb habe man sich im Bundesmantelvertrag auf eine Begrenzung der Möglichkeiten entschlossen, Zweigpraxen zu gründen oder Zahnärzte anzustellen.
Nur gemeinsam zum Erfolg
Dessen genaue Ausgestaltung, so erklärte KZBV-Justiziariatsleiter Dr. Thomas Muschallik in seinen Ausführungen, berücksichtige die Leitungs- und Überwachungspflichten genauso wie die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten oder die spezifischen Probleme der Abrechnungsproblematik. Seine Ausführungen ergänzte Baden-Württembergs KZV-Justiziar Tobias Meyer durch Vorstellung eines spezifizierten Modells zur Budget- und Honorarsteuerung im Zeichen der neuen Gesetzeslage.
Nicht attraktiv gestaltbar, so kritisierte der KZBV-Vorsitzende Fedderwitz die Reformansätze, seien die vom Gesetzgeber im GKVWSG vorgesehenen Wettbewerbsmechanismen durch Wahltarife oder Selektivverträge, weil für deren Finanzierung „nur die allgemeinen Mittel zur Verfügung stehen“. Ohnehin deuteten die Bestimmungen zum Standard- und Basistarif in der PKV, aber auch die Konzentrationsbemühungen im GKV-Bereich eher Richtung Einheitsversicherung statt auf mehr Wettbewerb.
Von einer „Pseudoliberalisierung durch den Gesetzgeber“ sprach BZÄK-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp. Die KZVen hätten durch ihr „rigides Vorgehen“ im Bundesmantelvertrag dem Berufsstand zwar Chancen genommen. Angesichts der „vielen ungeklärten Fragen“ zeigte Weitkamp aber auch Verständnis für die Art der Umsetzung, zumal der systematische Bruch in der gegenwärtigen Gesetzgebung allzu deutlich sei: Einerseits sollten aus Wettbewerbsgründen organisatorische Rahmenbedingungen der Berufsausübung liberalisiert werden. Auf der anderen Seite führten die restriktiven Grundelemente der GKV – nämlich Sachleistungsprinzip und Budgets – dazu, dass der Zahnarzt im Wettbewerb nicht bestehen könne. Diese Liberalisierung sei weder durchsetzbar noch praktizierbar: „Was nützt alle Freiheit bei Zu- und Niederlassung, solange es Budgets und ein Sachleistungssystem gibt?“
Weitkamp zeigte sich überzeugt, dass „wir als Körperschaften, als Kammern und KZVen, den zahnärztlichen Berufsstand nur gemeinsam erfolgreich vertreten können“, um den freien Zahnarztberuf zu erhalten und mehr Wettbewerb und weniger staatlichen Dirigismus im Gesundheitssystem zu erreichen.
Mittel- bis langfristig nachhaltige Veränderungen befürchtet auch der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Köhler. Zielsetzung der KVen und der KBV als Entgegnung auf die neuen Herausforderungen sei die Weiterentwicklung des Kollektivvertrags – „ergänzt um selektive Verträge“. Jetzt gelte es, Vorteile des Kollektivvertrags, wie niedrige Zugangsbarrieren, Erhalt der freien Arztwahl, flächendeckende Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit qualitätsgesicherten Leistungen und einfacher Handhabung des Sachleistungsprinzips, für die Patienten zu retten. Gleichzeitig müsse durch die Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung eine spürbare Verbesserung der derzeit absolut unzureichenden Lage erzielt werden.
Insgesamt sieht Köhler aber mehr Chancen als Risiken für Deutschlands Vertragsärzte. Dennoch warnte der KBV-Vorsitzende: Der zunehmende Wettbewerb berge die Gefahr der Entsolidarisierung in der GKV. Dessen müsse sich der Gesetzgeber bewusst sein und im Bedarfsfall schnell und gezielt gegensteuern.
Harsch fiel die Kritik an der neuen Gesetzgebung seitens der PKV aus. Christian Weber, stellvertretender Direktor des PKV-Verbandes, bemängelte, dass der Gesetzgeber – statt die Zukunftsprobleme anzugehen – das Gesundheitswesen mit „gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen überfrachtet“ habe. Der Basistarif – ursprünglich ein Vorschlage der PKV – sei als Instrument zur Einführung der Bürgerversicherung missbraucht worden. Jetzt müsse er nicht nur „von der Qualität, sondern auch von seiner Quantität her ein Fremdkörper in der PKVProduktpalette bleiben“, dürfe „kein Erfolgsmodell werden“. Der Verband rechnet damit, dass die GKV als Wettbewerber der PKV unter zunehmenden Kostendruck geraten wird. Rationierung werde sich fortsetzen, möglicherweise sogar beschleunigen. Versicherte würden künftig auf Produktmöglichkeiten und Wahlrechte, wie sie nur die PKV bieten könne, verstärkten Wert legen. Die Zukunft der PKV liege in ihrer klassischen Tarifwelt.
Das trockene Brot der Zusatzangebote
Eine die Thesen des PKV-Vertreters differenziert betrachtende Meinung vertrat der durch das Programm des Symposiums führende und die Veranstaltung moderierende Universitäts-Professor Dr. Dr. h.c. Rainer Pitschas von der mitveranstaltenden Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Im Rahmen des spezifischen Modernisierungsprozesses des Sozialstaates fordere der Gesetzgeber die Restrukturierung des Vertragszahnarztes zu einem hochprofessionalisierten Dienstleister neuer Prägung, der künftig in der direkten Vertragsbeziehung als Unternehmer auch gekündigt werden könne. Hier erfolge ein Übergang „vom Status des freien Berufs in die berufliche Definition des freien Kontrakts“. Notwendig sei, so Pitschas mit Blick auf die bevorstehende Vertragssteuerung durch den Gesundheitsfonds und weitere zentralstaatliche Elemente der Reform, ein Ausgleich der „widerstrebenden Kräfte“, eine Herstellung der „balance of power“. Es gelte, die neuen Möglichkeiten zu nutzen und innovativ zu wirken, statt an den Gegebenheiten zu verzweifeln. Hier bilde das Angebot privater Zusatzversicherungen, so Pitschas im Gegensatz zur Einschätzung der PKV, das „trockene Brot“, aus dem sich künftig alle Leistungserbringer finanzieren müssten. Ein gangbarer Weg sei deshalb der über Sonderverträge oder spezielle Angebote der Versicherer. Dabei sei es wichtig, durch Schulterschluss und den Zusammenschluss der KZVen für die Zahnärzteschaft die Parität der Macht zu erhalten, Steuerungsmöglichkeiten zu nutzen und auch die vom Gesetzgeber gewährte Gründung von Dienstleistungsgesellschaften wahrzunehmen. Pitschas Resümee brachte die Alternativen auf einen klaren Nenner: „Herausforderungen schweißen zusammen – oder dividieren auseinander.“ mn