Hoffnung als Wind des Lebens
Bis auf den letzten Stuhl besetzt war der ehrwürdige Festsaal des Erbdrostenhofs in Münster, der zu den schönsten Barockräumen Westfalens zählt, anlässlich der diesjährigen Apollonia-Preisverleihung am 22. September. „Apollonia zu Münster – die Stiftung der Zahnärzte hier in Westfalen-Lippe, gibt uns die Möglichkeit, die Facetten unseres Berufsstandes herauszuarbeiten und der Öffentlichkeit zu vermitteln, die sonst im Verborgenen blühen“ – mit diesen Worten begrüßte Kammerpräsident Dr. Walter Dieckhoff seine Gäste aus (Standes-) Politik, Verbänden, Institutionen und Wissenschaft zur Preisverleihung. Zahnärzte sähen sich als Ärzte, die in erster Linie der Entstehung von Krankheiten vorbeugten und in zweiter Linie diese bekämpften. Die Apollonia-Stiftung wolle ihren Beitrag zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation der Bevölkerung im Rahmen ihrer Möglichkeiten leisten.
Grenzerfahrungen
Ausführlich ging Dieckhoff auf das Lebenswerk des Preisträgers ein. Prof. Dr. Bertrand Piccard stammt aus einer bekannten Schweizer Familie von Forschern und Wissenschaftlern. Dem Doktor der Psychiatrie, der bereits auf dem 51. Zahnärztetetag Westfalen-Lippe als Gastredner auftrat, gelang es im März 1999 zusammen mit Brian Jones, die Welt als erster in einem Ballon ohne Zwischenlandung zu umrunden. Nach drei Versuchen landeten sie mit dem „Breitling Orbiter 3“ in der ägyptischen Wüste. Sie erreichten eine Rekordhöhe von 11 737 Metern, stellten mit 19 Tagen, 21 Stunden und 47 Minuten einen Geschwindigkeitsrekord auf und legten dabei eine Distanz von 40 814 Kilometern zurück. Mit dem Trip ging es ihnen nicht um Abenteuerlust an sich, sondern darum, neue Erfahrungen zwischen den Extremen auszuloten und Möglichkeiten zu erforschen, um Grenzen zu verschieben. Die Popularität seines Weltrekords nutzte Piccard, um mithilfe seiner Stiftung „Winds of Hope“ einer fast unbekannten, dafür aber umso schlimmeren Krankheit den Kampf anzusagen: Noma, der gangränösen Stomatitis, einer schweren bakteriellen Erkrankung, die sich auf der Mundschleimhaut entwickelt und die fast ausschließlich junge Frauen und Mädchen befällt. Piccard ist dieser Krankheit auf seinen Reisen durch Afrika begegnet. „Wenn man weiß, dass diese Stiftung das Hauptziel hat, Präventionsund Früherkennungsprogramme zu finanzieren, um wirksam gegen Noma zu kämpfen, dann erkennen Sie, warum Apollonia den Preisträger dieses Jahres nach Münster gebeten hat, um ihm den diesjährigen Preis zu verleihen“, sagte Dieckhoff. Der Preis werde dazu beitragen, die Arbeit Piccards und seiner Stiftung weiter in die Öffentlichkeit zu tragen.
Dem Präsidenten der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, war es eine ganz besondere Freude, sein Grußwort in Münster zu sprechen: „Wir sind ein kleiner, aber agiler Berufsstand. Mit dieser ganz speziellen Ausstrahlung in die Öffentlichkeit haben wir die Möglichkeit, über das rein Fachliche hinaus zu zeigen, was in uns steckt. Es tut uns gut, zu untermauern, dass wir bereit sind, uns mit Worten und Taten in die Gesellschaft einzubringen.“ Weitkamp war seinerzeit als ehemaliger Kammerpräsident Westfalen-Lippes Mitbegründer und Initiator der Apollonia-Stiftung. Das Beispiel Piccards bezeichnete er als musterhaft dafür, wie Profession, Hobby und soziales Engagement zusammenwirken können. „Dies prägt ein ganzes Leben und die Persönlichkeit. Mit Weitsicht und Mut hat Prof. Piccard bei richtiger Abschätzung des Risikos die richtigen Entscheidungen getroffen.“
Gegen Hoffnungslosigkeit
In Anlehnung an die Ballonfahrt Piccards gab Prof. Dr. Dr. Wilfried Wagner, Mainz, seiner Laudatio den Titel: „Die Hoffnung trägt wie der Wind.“ Insbesondere für sein soziales Engagement gegen die Hoffnungslosigkeit der Kinder mit Noma erhalte Piccard den Apollonia-Preis. „Noma ist im wahrsten Sinne das Gesicht der Armut und erzeugt das Gefühl der Hoffnungslosigkeit im Blick und Ausblick der Kinder“, sagte Wagner. Dem setze der Preisträger mit seiner Stiftung den Wind der Hoffnung entgegen: „Das heißt eine gerichtete Zielsetzung zur Realisierung ist die wahre Grundlage dieses Prinzips oder Winds der Hoffnung, woraus dann eben nicht die fehlgeleiteten, schließlich betrügerisch gebrauchten Wunschträume resultieren, sondern es ist die Hoffnung mit Plan und mit Anschluss ans Fällig-Mögliche als das Stärkste wie Beste, was es gibt, wie Nietzsche formuliert.“
Ballast über Bord werfen
„Es gibt zwei Weisen zu fliegen“, betonte Betrand Piccard in seinem Vortrag, „gegen den Wind, wie im Flugzeug, und mit dem Wind, wie im Ballon. So ist es auch mit dem Leben: es wird immer moderner, gegen die Winde zu kämpfen.“ Dabei, so betonte er, würden Angst vor Veränderung und Unsicherheit in Kauf genommen. Sinnvoller sei es aber – wie beim Ballonfahren – zu lernen, mit dem Unbekannten zu fliegen. „Wir müssen alle ein wenig lernen, Ballonfahrer zu werden“, empfahl er. Dabei habe man die Freiheit, die Flughöhe zu ändern, andere Richtungen einzuschlagen, Ballast über Bord zu werfen und neue Lösungen und Strategien zu finden. Purer Abenteuerlust erteilte Piccard in Anspielung auf seine sportlichen Ambitionen eine Absage. Weltrekorde an sich aufzustellen, sei nicht sinnvoll. „Das größte Abenteuer im Leben ist es nicht, Rekorde zu brechen, sondern vielmehr sind es die Momente von Krisen, wenn man nicht weiß, was man machen kann. Dann gilt es, Kreativität und Bewusstsein zu stimulieren.“
In eindrucksvollen Bildern zeigte der Preisträger die Arbeit seiner Stiftung „Winds of Hope“. Sie wurde 1999 ins Leben gerufen. An der seltenen Krankheit Noma und ihren Folgen sterben jährlich 80 000 bis 90 000 Kinder. Dennoch ist es möglich, sie mit relativ einfachen Mitteln zu bekämpfen. Dazu gehören Aufklärung, Prävention und die rechtzeitige Gabe von Antibiotika. Die Stiftung betreibt Aufklärungsarbeit bei Politikern, wobei den beiden Stiftern Piccard und Jones ihre Popularität sehr hilft, um in den betroffenen Ländern Zugang zu finden. Ein Hauptaugenmerk besteht darin, Koordinationsprogramme zu erstellen, damit Hilfe in den Regionen und für die Regionen erfolgt. Auf diese Weise werden sogenannte einheimische „Gesundheitsagenten“ geschult und eingesetzt, die das Vertrauen vor Ort besitzen. Piccard: „Wir müssen lernen, wie die Leute denken. Wir sind keine Neokolonialisten.“
Mehr zur Stiftung „Winds of Hope“ unter $(LB0://www.windsofhope.org:http://www.windsofhope.org)$