Gastkommentar

Kampagnen reichen nicht aus

Die Regierung plant ein Präventionsgesetz. Die Erfahrungen in der Zahnmedizin zeigen, dass Aufklärung nur in Verbindung mit mehr Eigenverantwortung Erfolge bringt.

Dr. Dorothea Siems
Wirtschaftskorrespondentin
der Welt, Berlin

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat den Startschuss für ein Präventionsgesetz gegeben. Mit einem Budget von 350 Millionen Euro soll künftig die Gesundheitsvorsorge gestärkt werden. Die von der SPDMinisterin vorgelegten Eckpunkte sehen vor, dass eine nationale Stiftung eingerichtet wird, die zentral Präventionsziele bestimmt, Qualitätsstandards festlegt sowie Kampagnen und Modellprojekte durchführt. Der Plan ist gut gemeint – bewirken aber wird er wenig.

Die Notwendigkeit einer besseren Vorbeugung ist unbestreitbar. Etliche Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Der Hauptgrund sind fehlende Bewegung und ungesunde Ernährung. Wissenschaftler schätzen, dass rund 80 Prozent der Diabetes-Fälle und jeder zweite Herzinfarkt durch eine gesündere Lebensweise vermeidbar wären. Auch bei Demenz und Muskelskelett-Erkrankungen wird ein großes Potenzial für Prävention gesehen. Die stetige Zunahme der Volkskrankheiten stellt das Gesundheitswesen vor gravierende Probleme. Ohne ein Umsteuern wird das System über kurz oder lang unfinanzierbar.

Einer solchen Herausforderung wird man mit etwas Aufklärungsarbeit in Kindergärten, Schulen und Seniorenheimen, mit Werbung für mehr Sport und noch mehr Dokumentation wohl kaum gerecht. Vieles gibt es ohnehin schon auf Länderebene. Zwar ist es nicht verkehrt, solche Anstrengungen zu verstärken. Doch um die Menschen zu Verhaltensänderungen zu bewegen, bedarf es wirkungsvollerer Instrumente.

Die Erfahrungen in der Zahnmedizin können dabei sehr aufschlussreich sein. Denn dieser Sektor ist der einzige im hiesigen Krankenkassensystem, der schon seit Jahren intensiv und flächendeckend Prävention betreibt. Dabei gilt das Motto: „Klotzen, nicht Kleckern!“. Rund 400 Millionen Euro wenden die Kassen für Vorsorgemaßnahmen im Zahnbereich auf. Die Babys erhalten Fluoridtabletten, die Kindergarten- und Schulkinder regelmäßige Schulungen und Untersuchungen. Der Erfolg dieser gezielten Kariesvorbeugung ist beachtlich. Im internationalen Vergleich steht Deutschland mittlerweile gut da.

Doch das Angebot an Vorsorgemaßnahmen im Kindesalter ist nur die eine Seite der Medaille. Einen mindestens ebenso wichtigen Beitrag zur Prävention leistet die Beteiligung der Versicherten an den Kosten für die langfristigen Folgeschäden einer unzureichenden Zahnpflege. Wer Zahnersatz benötigt, muss einen beachtlichen Teil der Finanzierung selbst tragen. Ist man jedoch in den Vorjahren regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen gegangen, zahlt man weniger.

Die breite Akzeptanz dieser Regelung zeigt, dass die Menschen durchaus der Meinung sind, dass ein gewisses Maß an Eigenverantwortung nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch gerecht ist. Der Einzelne kann durch Prävention erheblich dazu beitragen, dass sich die Ausgaben für Kronen, Brücken und anderen Zahnersatz in Grenzen halten. Wer diese Möglichkeiten nicht nutzt, kann die Kosten dieses Verhaltens nicht voll auf die Allgemeinheit abwälzen.

Das Zusammenspiel von Aufklärung im Kindesalter und späterer Selbstbeteiligung an den Krankheitskosten ist ein Modell, das durchaus auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens Schule machen sollte. Warum muss die Solidargemeinschaft die Zeche übernehmen, wenn jemand seine Konstitution durch ein Übermaß an Alkohol, Zigaretten oder fett- und zuckerhaltige Speisen systematisch ruiniert? Zwar zahlen die Patienten bereits einen Teil der Ausgaben für Medikamente. Auch müssen sie seit einigen Jahren die Praxisgebühr berappen. Doch all diese Maßnahmen sind vom Gesetzgeber nur als zusätzliche Geldquellen für die Krankenkassen konzipiert worden. Eine gezielte Steuerungswirkung gibt es nicht. Um Verhaltensänderungen zu erreichen, müsste die Finanzierung des Gesundheitswesens sehr viel stärker auf die Eigenverantwortung der Versicherten setzen. Deshalb sollten Selbstbehalt-Tarife von der Ausnahme zur Regel werden. Wer dennoch mit seiner Gesundheit Raubbau treibt, kann dies dann zumindest nicht mehr voll auf Kosten der Allgemeinheit tun.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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