Stellungnahme der DGZMK

Behandlung endodontischer Schmerzfälle

196193-flexible-1900
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Gemeinsame Stellungnahme der Arbeitsgruppe Endodontologie und Traumatologie/AGET der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung/DGZ und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde/DGZMK

Definition

Endodontische Schmerzfälle umfassen alle Situationen, in denen akute Schmerzen endodontischen Ursprungs zu einer (ungeplanten) Konsultation eines Zahnarztes führen und in denen eine sofortige zahnärztliche Intervention indiziert und notwendig ist. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich aber eher um Schmerzfälle als um Notfälle; eine Ausnahme stellt der akute apikale Abszess dar.

Grundlagen der Notfall- und Schmerzbehandlung

Schmerzpatienten haben einen Rechtsanspruch auf Behandlung. Wenn der lokale und allgemeine Befund dies erlauben, ist es zulässig, diese nach Injektion eines Langzeitanästhetikums auf einen späteren Zeitpunkt des Tages zu verschieben, um eine größtmögliche Sorgfalt und Effizienz der Therapie zu gewährleisten. Die Notfalloder Schmerzbehandlung sollte nach Möglichkeit kausal und nicht rein symptomatisch durchgeführt werden. Die Grundlagen und Richtlinien endodontischer Behandlungen sind auch bei der Notfalltherapie zu berücksichtigen. So ist das Anlegen von Kofferdam als Standard anzusehen. Die Notfallbehandlung muss so durchgeführt werden, dass sie eine lege artis durchzuführende Weiterbehandlung nicht erschwert oder verhindert [2, 12, 14]. Der Patient muss darauf hingewiesen werden, dass mit der initialen Schmerzbehandlung die Therapie nur eingeleitet wurde, aber noch nicht abgeschlossen ist.

Die im Folgenden angeführten Vorgehensweisen sind als Empfehlungen zu verstehen, die auf der Basis der verfügbaren Literatur die günstigsten Aussichten auf Schmerzfreiheit und Erhalt des Zahnes bieten.

Diagnostik

Sensibilitätstest und die Anfertigung einer Röntgenaufnahme (vorzugsweise Einzelzahnaufnahme, bei Bedarf mehrere Aufnahmen mit unterschiedlichen Projektionsrichtungen, unter Umständen auch zusätzliche Übersichts- und Detailaufnahmen) sind unverzichtbar. Eine nicht endodontische Schmerzursache ist in der Differenzialdiagnostik auszuschließen. Es sollten separate Diagnosen für den Zustand von Pulpa sowie apikalem und marginalem Parodont gestellt werden.

Anästhesie

Ist ein Zahn mit akuter Symptomatik mithilfe einer Infiltrations- oder Leitungsanästhesie nicht ausreichend zu anästhesieren, so sind zusätzlich intraligamentäre und/oder intrapulpale Injektionstechniken anzuwenden [13].

Die Anwendung (para-)formaldehydfreisetzender Präparate (Devitalisationsmittel) ist aufgrund möglicher kanzerogener, mutagener und allergener Wirkungen und nachgewiesener hoher Zytotoxizität (unter anderem Knochen- und Gewebenekrosen) nicht indiziert und entspricht nicht mehr den Regeln der zahnärztlichen Kunst (siehe Stellungnahme der DGZMK zur Anwendung formaldehydhaltiger Präparate [3]).

Im Einzelnen sind die nachfolgend beschriebenen befundbezogenen Maßnahmen indiziert:

Akute reversible Pulpitis

Leitsymptome:Kälteempfindlichkeit, Empfindlichkeit auf osmotische und taktile Reize; Schmerzdauer entspricht Dauer der Reizeinwirkung.

Therapie:Entfernung der verursachenden Noxe: zum Beispiel Exkavation des kariösen Dentins, Versiegelung exponierter Dentintubuli, Entfernung okklusaler Interferenzen, Stabilisierung infrakturierter Zähne, Erneuerung undichter Restaurationen, Caries profunda-Behandlung mit Ca(OH)2-Präparat und dichtem temporärem Kavitätenverschluss.

Akute irreversible Pulpitis

Leitsymptome:Wärme- und Kälteempfindlichkeit, bei hoch akuter Phase Linderung durch Kälte, reizüberdauernder Schmerz.

Minimaltherapie:Partielle oder vollständige

Pulpotomie, Abdecken der Pulpawunde mit einem entzündungshemmenden Präparat, bakteriendichter Verschluss mit einem temporären Füllungsmaterial mit einer Schichtdicke von drei bis vier Millimetern.

Wenn die Umstände es zulassen, sind eine vollständige Exstirpation der Pulpa aus allen Wurzelkanalsystemen nach exakter röntgenologischer und/oder elektrischer Bestimmung der Arbeitslänge, Präparation und Desinfektion des Endodontes, Applikation einer temporären desinfizierenden Einlage (vorzugsweise Kalziumhydroxidsuspensionen) oder definitive Füllung der Wurzelkanäle vorzuziehen.

Zu vermeiden sinddie Instrumentation der Wurzelkanäle ohne exakte Längenbestimmung (Gefahr von Stufenbildung, Begradigung, Verblockung und Überinstrumentierung) sowie die Verwendung chlorphenoloder formaldehydhaltiger Präparate.

Akute Parodontitis apicalis

Leitsymptome:Aufbiss- und Perkussionsempfindlichkeit.

Minimaltherapie:Da die Schmerzen vom entzündeten periradikulären Gewebe ausgehen und Bakterientoxine aus dem infizierten Wurzelkanalsystem die Entzündung unterhalten, ist eine vollständige chemomechanische Reinigung aller Wurzelkanalsysteme mit umfassender Reduktion der Keimzahl im Wurzelkanal und dichtem koronalen Verschluss unumgängliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie.

Zu vermeiden sind:Instrumentation der

Wurzelkanäle ohne exakte Längenbestimmung (Gefahr von Stufenbildung, Begradigung, Verblockung und Überinstrumentierung) sowie die Verwendung chlorphenoloder formaldehydhaltiger Präparate oder das Offenlassen der Zähne.

Nutzen, Risiken und Wirksamkeit von kortikosteroid- und antibiotikahaltigen Mischpräparaten werden kontrovers diskutiert, vorzugsweise sollte eine Kalziumhydroxideinlage appliziert werden.

Über Begleitmaßnahmen (Analgetika, Langzeitanästhesie, Einschleifmaßnahmen) muss im Einzelfall entschieden werden.

Akuter apikaler Abszess

Leitsymptome:Druckdolenz, Aufbissempfindlichkeit, Wärmeempfindlichkeit, Schwellung.

Minimaltherapie:Ausreichender Pusabfluss durch Trepanation des Zahnes, chemomechanische Aufbereitung, medikamentöse Einlage (Kalziumhydroxid, eventuell Kortikosteroid-Antibiotikum (siehe oben) bakteriendichter koronaler Verschluss, bei Bedarf zusätzliche Inzision des Mukoperiostes unter Lokalanästhesie.

Ein Offenlassen des Zahnes für maximal 24 Stunden ist nur indiziert, wenn nach etwa 15 bis 20 Minuten noch Pus/Sekret aus einem der Wurzelkanäle austritt.

Zu vermeiden sind:

• Antibiotikagaben, wenn keine Tendenz zur Ausbreitung zum Logenabszess erkennbar ist, kein Fieber oder starke Einschränkungen des Allgemeinzustandes vorliegen,

• eine unzureichende Inzisionstiefe und Inzisionslänge,

• das Offenlassen des Zahnes über mehrere Tage.

Eine Inzision ohne Trepanation stellt keine adäquate Therapie dar. Wenn aufgrund besonderer Umstände zunächst nur eine Inzision durchgeführt wird, ist die Trepanation zeitnah etwa innerhalb der nächsten 24 Stunden vorzunehmen.

Die „Schöder’sche Lüftung“ ist nicht als gesicherte Therapiemaßnahme anzusehen. Ausgedehnte Weichteilabszesse stellen eine Indikation zur Klinikeinweisung dar.

Schmerzen unmittelbar nach Endo-Behandlung

Nicht selten treten im Anschluss an die Präparation beziehungsweise Füllung des Wurzelkanalsystems für ein bis zwei Tage postoperative Beschwerden auf (wie entzündliche Fremdkörperreaktionen), die in der Regel mithilfe von Analgetika beherrschbar sind und keiner weiteren Therapie bedürfen.

Mögliche Ursachen postendodontischer Schmerzen: Okklusionsstörung, Unterinstrumentierung, Überinstrumentierung, Überpressen von Spülflüssigkeit, Unterfüllung, Überfüllung, Wurzellängsfraktur, nicht aufgefundene Wurzelkanäle.

Therapie:In Abhängigkeit vom erhobenen Befund ist eine ursachenbezogene Therapie einzuleiten. Hierzu können gehören: Überprüfung der Okklusion und Entfernung von Okklusionsstörungen, Verordnung nicht steroidaler Antiphlogistika (NSAR, wie Ibuprofen) für die Dauer von 48 Stunden.

Bei Persistenz der Schmerzen sind eine orthograde Revision der Wurzelkanalbehandlung oder endodontisch-chirurgische Maßnahmen in Betracht zu ziehen.

Zu vermeiden sind:Antibiotikagabe, sofortige

endochirurgische Eingriffe oder die Extraktion des Zahnes.

Chemo-mechanische Wurzelkanalaufbereitung

Präparation und Desinfektion haben nach den allgemein akzeptierten Regeln zu erfolgen, siehe hierzu die folgenden Stellungnahmen der DGZMK: Die Bestimmung der Arbeitslänge, Die Wurzelkanalaufbereitung, Die Wurzelkanalspülung, Good Clinical Practice [5, 7-9].

Begleitende Maßnahmen

Alle nachfolgend aufgeführten Begleitmaßnahmen stellen keinen Ersatz für die oben angeführte kausale Therapie dar; ihre Anwendung darf nur ergänzend in Erwägung gezogen werden!

Antibiose: Bei adäquater lokaler Therapie (siehe oben) ist im Regelfall die Gabe eines Antibiotikums nicht erforderlich, sofern nicht allgemeinmedizinische Gründe dies erfordern (siehe hierzu die Stellungnahmen der DGZMK: Einsatz von Antibiotika in der zahnärztlichen Praxis und Zahnärztliche Eingriffe und Endokarditis-Prophylaxe [4, 6, 10]).

Nicht steroidale Antiphlogistika (NSAP; Synonym: nicht steroidale Antirheumatika (NSAR)). Es liegen Studien mit ausreichendem Evidenzgrad vor, die eine Wirksamkeit der NSAR-Medikation zur Schmerzreduktion in Notfällen endodontischen Ursprungs belegen [1, 11]. Ihre Anwendung bei der Behandlung der akuten Parodontitis apicalis kann daher im Einzelfall empfohlen werden.

D. Sonntag, Marburg und der Vorstand der AGET(M Hülsmann, Göttingen;C. Barthel, Düsseldorf;S. Flachsenberg, Kassel;M. Georgi, Wiesbaden;C. Kockapan, Gießen;T. Neuber, Münster;A. Petschelt, Erlangen;E. Schäfer, Münster;R. Weiger, Basel)

Mit freundlicher Genehmigung aus dzz 8/07

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