Umfrage zur Nicht-Nutzung von Krebsprävention

Im Mittelpunkt: die Angst

Heftarchiv Zahnmedizin
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Im Mittelpunkt eines aktuellen Forschungsprojektes der Arbeitsgruppe Cancer Politics der Universität Greifswald (siehe vorherigen Bericht) steht die Frage, aus welchen Gründen viele Menschen die Möglichkeiten der Krebsfrüherkennung nicht nutzen. Die Angaben sind vielfältig, wie die Auswertung zeigt. Doch zumeist haben die Menschen einfach Angst.

„Warum gehen Sie nicht zur Krebsvorsorge?“ Dazu startetet die Arbeitsgruppe Cancer Politics der Universität Greifswald im Rahmen ihres Forschungsprojektes eine Umfrage in den regionalen Medien von Mecklenburg-Vorpommern im Winter 2006/2007. Daraufhin gingen Zuschriften mit rund 400 verwertbaren Aussagen ein, die nach den Methoden der qualitativen Sozialforschung ein offenes Meinungsbild zu der Frage ergeben, warum viele Menschen die Angebote der Krebsvorsorge nicht nutzen. Die folgenden Zitate stammen aus den Zuschriften, die angegebenen Gründe dafür sind vielfältig:

Lähmende Krebsangst

„Krebs ist eine Sackgasse. Am Ende steht Tod.“, schreibt eine Frau, die eine Tumorerkrankung bei ihrem Vater erleben musste. Krebs wird als etwas Schreckliches und Stigmatisierendes wahrgenommen. Am liebsten spricht man gar nicht darüber. Eine Krankengeschichte wie diese steht vielen Menschen vor Augen: „Im Dezember 2005 klagte meine Frau über Rückenschmerzen. Sie musste manchmal beim Spazierengehen stehen bleiben. Sie wurde gründlich untersucht… Es wurde nichts festgestellt… Im Januar 2006 wurden zwei Geschwüre festgestellt, die auf Krebs deuteten… Leber und Nieren befallen, keine Chemo mehr möglich. Am 10. März erfolgte auf meine Bitte die Entlassung nach Hause. Dort ist meine Frau am 16. 3. 2006 um 3 Uhr in meinen Armen verstorben.“

Diffuse Arztangst

„Die Medizin ist ja noch nicht so weit.“, „Ich stehe der Schulmedizin sehr kritisch gegenüber.“, „Ich bin sehr empfindlich.“. Die Angst, Ärzte aufzusuchen, ist weit verbreitet. Oft steht sie in Verbindung mit der Angst vor der zufälligen Entdeckung einer lebensbedrohenden Krebserkrankung. Mit der Vermeidung von Arztbesuchen versuchen manche Patienten, die Bedrohlichkeit einer Krebserkrankung aus ihrem Leben auszublenden. Sie ignorieren die Statistik, dass sich in Deutschland faktisch jeder dritte Mensch im Laufe des Lebens mit einer Tumorerkrankung auseinandersetzen muss.

Konkrete Angst vor Schmerzen und Belastungen durch die Früherkennung

„Diese Untersuchungen tun auch sehr weh.“, „Erforderliche Untersuchungen sind nicht nur oft unangenehm, sondern man sträubt sich innerlich dagegen, wenn man vor dem Ergebnis Angst hat.“. Einige Maßnahmen der Prävention sind mit Unannehmlichkeiten verbunden und erfordern Überwindungskraft, besonders wenn ohnehin innere Vorbehalte bestehen.

Kein Vertrauen in die Prävention

„Ich war regelmäßig zu vorbeugenden Untersuchungen beim Hausarzt, Frauenarzt und zur Darmspiegelung. Ein Vierteljahr nach der letzen Untersuchung bei der Frauenärztin bekam ich Blutungen aus der Scheide, ging erneut zu ihr und erhielt die Diagnose auf Krebsverdacht. Es war für mich eine herbe Enttäuschung.“ Derartige Enttäuschungen lassen einige Patienten immer wieder nach dem Sinn der Prävention fragen. Dieses mangelnde Vertrauen in den Wert der Untersuchungen wird manchmal auch genährt durch schlechte Erfahrungen mit der Organisation der Krebsvorsorge: „In meinem Gesicht macht sich ein hässlicher brauner Fleck breit, der mich beunruhigt. Folglich versuche ich, einen Termin beim Hautarzt zu bekommen. Wartezeit drei Monate!“

Vogel-Strauß-Einstellung

„Ich hätte nicht gedacht, dass die Statistik auch mich betrifft …“, schildert jemand seine ungerechtfertigte Hoffnung, die ihn bislang von Krebsprävention abgehalten hat. „Es kann jeden treffen!“ Diese gültige Feststellung eines Verbandsvertreters wird im Stillen von vielen Menschen individuell ergänzt: „…aber es muss ja nicht jeden treffen.“

Sorglosigkeit bis Fatalismus

„Puritaner, Veganer und Gesundheitsapostel werden von ihr genauso betroffen, wie Vorgeschädigte aller Art.“ Urologen spüren die Sorglosigkeit vieler Männer, zum Beispiel gegenüber Prostatakrebs. Frauenärztinnen berichten über eine auffällige Uninformiertheit vor allem bei jüngeren Patientinnen bezüglich des Mammakarzinoms, des Ovartumors, des Cervixkarzinoms. Viele Menschen betrachten Krebserkrankungen als schicksalhaft: „Es scheint, dass der Mensch im Alter vermehrt zu Genmutationen neigt und Krebs ein Bestandteil seiner biologischen Entwicklung ist.“ Dabei wird zu Recht erkannt, dass bei einigen Tumoren Ursachen und Auslöser wenig bekannt sind, und zugleich verkannt, dass es auch für diese Tumoren klare Behandlungsschemata gibt und gute Heilungsaussichten.

Finanzielle Belastung durch die Krebsvorsorge

„… sind die hohen Kosten zum Beispiel für eine PSA-Diagnostik oder für Mammographie eine Schweinerei!“

Vertreter von Sozialverbänden sehen für eine Reihe von Menschen finanzielle Schwierigkeiten bei der Prävention: „Diese Kosten können immer mehr Menschen (Arbeitslosengeldberechtigte, von den Krankenkassen ausgeschlossene Arme, Grundsicherungsempfänger, Obdachlose und Rentner mit niedriger Rente) nicht aufbringen. Gibt es eigentlich schon einen Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung wegen der Unmöglichkeit, die Krebsvorsorge aus Kostengründen tatsächlich in Anspruch nehmen zu können?“

Die Betroffenen selbst machen allerdings immer wieder deutlich, dass sie durchaus auch bereit sind, sich an den Kosten der Prävention zu beteiligen: „… dass ich selbstverständlich auch in diesem Jahr zur Krebsvorsorgeuntersuchung bei meinem Frauenarzt Dr. S. war, und in diesem Jahr habe ich sogar 60,08 Euro bezahlt (Ultraschalluntersuchung und Blutentnahme).“

Wenig ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein

„Mein Körper war mir eigentlich immer egal.“, „Wir waren früher nicht so körperlich eingestellt.“, „Um unsere Gesundheit hat sich immer der Staat gekümmert.“. Andere Menschen sehen das ganz anders. „Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs, der die Eigenverantwortung stärker hervorhebt.“ Selbstkontrolle gehört zu ihrer Lebensführung: „Trotz regelmäßiger Vorsorgeuntersuchung ertastete ich den Knoten bei einer Selbstkontrolle.“ Vorsorgeuntersuchungen werden auch unabhängig von etwaigen Beschwerden wahrgenommen: „Vorsorge ist für mich die Zusammenarbeit mit einem Arzt.“ Gesundheitsbewusst zu leben ist Teil eines Lebensstiles.

Angst vor einer Lebenswende mit der Krebsdiagnose

„Mein Mann war immer gesund. Im Jahre 2004 diagnostizierte man nach einer Darmspiegelung einen Tumor. Es war eine Vorsorgeuntersuchung ohne jegliche Symptome.“ Krebserkrankungen sind geeignet, einen Menschen von einem Tag auf den anderen aus der Bahn zu werfen, dann, wenn vor der Diagnose keinerlei Warnzeichen, wie Schmerzen oder Blutungen bestanden. „Die Nachricht kam für mich aus heiterem Himmel und ich dachte, das kann doch nicht sein. Ich bin doch gesund, bin sportlich, habe zweimal in der Woche Volleyball gespielt und bin kein Kind von Traurigkeit.“ Menschen haben Angst davor, ihr Leben in seiner geordneten Gegenwart und gesicherten Zukunft durcheinanderzubringen. „Die mit der Diagnose Krebs unvermeidlich aufkommende Krebsangst macht vielen Patienten das Leben mehr als schwer“, schreibt ein Patient über sich und fährt fort: „Depressionen bis hin zu Suiziden sind Ergebnis und Folge solcher Ängste.“

Angst vor Entscheidungsnot

„Wie lange benötigt ein unentschlossener Mensch, um bis zum Operationstermin zu gelangen?“ Nach der Früherkennung eines Tumors stehen viele Menschen vor gefürchteten Entscheidungszwängen, denn entschlossenes Handeln gewinnt jetzt lebenswichtige Bedeutung. Mancher fürchtet, dass dies über seine Kräfte geht. „Nach all dem Erlebten bin ich nicht mehr der Mensch mit der Seele und dem Herzen, der ich mal war.“

Angst vor Chancenlosigkeit einer Behandlung

„Ich habe mich gefragt, ob gegen meinen Krebs überhaupt ein Kraut gewachsen ist.“ Die meisten Menschen sind sich vermutlich der Tatsache bewusst, dass Krebserkrankungen immer zum Tode führen, wenn sie nicht behandelt werden. Es gibt Menschen, die nicht zur Untersuchung gehen, weil sie auch kein besseres Ergebnis erwarten, wenn sie sich auf diese Behandlung einlassen: „Ich kenne niemanden in meinem Umfeld, der von Krebs geheilt wurde.“ Einige Patienten zweifeln in diesem Zusammenhang am Entwicklungsstand der Medizin: „Ist ein Operateur überhaupt in der Lage, mikroskopisch kleine Karzinomherde zu erkennen und zu beseitigen?“, „Von der Chemotherapie hört man nichts Gutes.“, „Ich weiß, dass die Strahlenbehandlung eigentlich wirkungslos ist.“ – Dennoch darf man davon ausgehen, dass in der Öffentlichkeit das Wissen um die Behandlungsmöglichkeiten von Krebserkrankungen und die guten Heilungschancen bei Früherkennung verbreitet ist. „Krebs ist ja in unserer heutigen Gesellschaft schon heilbar, man muss ihn nur früh genug erkennen.“

Universitätsklinikum GreifswaldInstitut für PolitikwissenschaftWirtschaftswissenschaftenInstitut für Medizinische PsychologieInstitut für Community MedicineZentrum für Zahn-, MundundKieferheilkundeNorddeutscher Rundfunk

Prof. Dr. Dr. Hans-Robert MetelmannUniversitätsklinikum GreifswaldF.-Sauerbruch-Str. BH117475 Greifswaldmetelmann@uni-greifswald.de

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