Universität Greifswald

Interdisziplinäres Symposium zur Problematik der Schlafatemstörungen

Heftarchiv Medizin
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Anfang Juli fand ein interdisziplinäres schlafmedizinisches Symposium in Greifswald statt, initiiert von Zahnmedizinern der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Ziel der Veranstaltung war es, die Thematik der zahnärztlichen Schlafmedizin aufzugreifen und aus verschiedenen Richtungen zu beleuchten.

Nach der offiziellen Begrüßung erläuterte Prof. Dr. Jochen Fanghänel, Abteilung für orale Anatomie, die funktionelle Morphologie des Gaumensegels. Der weiche Gaumen (Palatum molle), der den Nasenrachenraum abdichtet, den Resonanzboden des harten Gaumens verlängert und den Druckausgleich für das Mittelohr vornimmt, ist fest in das Muskelgefüge der Zunge, des Larynx und des Pharynx integriert. Die strukturelle Grundlage stellt die bindegewebige Aponeurosis palatina dar, an der die Gaumenmuskulatur entspringt und ansetzt. Die insgesamt neun Muskeln werden von den Nn. V/3, IX, X innerviert, bilden ein dreidimensionales Netzwerk und sind ursächlich an der komplizierten Verformung beteiligt. Das submuköse Bindegewebe ist prädestiniert für Ödeme, Fett- und Bindegewebseinlagerungen. Der weiche Gaumen ist eingebunden in den neuronalen Regelkreis, bestehend aus den afferenten und efferenten Schenkeln, in dem die Formatio reticularis eingebettet ist.

Embryonale Entwicklung des Nasenrachenraums

Darauf folgte ein Überblick zur embryonalen Entwicklung des Nasenrachenraumes beim Menschen unter besonderer Berücksichtigung des Schnarchens und der Schlafapnoe durch die Oberärztin im Institut für Anatomie und Zellbiologie Dr. Bärbel Miehe, Greifswald. Die pränatale Entwicklung des Nasenrachenraumes beginnt mit der kraniokaudalen und lateralen Krümmung des Embryos und der daraus resultierenden Entstehung des Stomatodeums und des Vorderdarms. Stomatodeum und Vorderdarm stehen mit dem Einreißen der Membrana stomatopharyngealis am Ende der dritten Entwicklungswoche miteinander in Verbindung.

Die weitere Ausbildung der Gesichtsregion in der Umgebung des Stomatodeums ist eng mit der Differenzierung der Gesichtswülste und deren Verschmelzung sowie mit der Entwicklung der Kiemenregion verbunden. Die Trennung der Nasenhöhle von der Mundhöhle erfolgt mit der Gaumenbildung zwischen der sechsten und zehnten Pränatalwoche. Ausgehend von der Beschreibung der anatomischen Verhältnisse der Nasenhöhle und des Pharynx des Neugeborenen wurden im zweiten Teil des Vortrages die Veränderungen der Größe und der Topografie dieser Räume bis zum Erreichen des Erwachsenenalters dargestellt. Die Phasen des starken und geringeren Wachstums der Nasenhöhle und des Pharynx entsprechen den für den knöchernen Schädel bekannten postnatalen Wachstumsperioden.

Bedeutung der Nasennebenhöhlen

PD Dr. Thomas Koppe aus dem Institut für Anatomie und Zellbiologie (in Co-Autorenschaft mit Prof. Dr. Wolfgang Pirsig), Ulm, stellte die Bedeutung der Nasennebenhöhlen unter besonderer Berücksichtigung des Schnarchens dar:

Die Nasenebenhöhlen (NNH) entstehen bekanntlich aus Schleimhautdivertikeln der Nasenhöhle. Über ihre biologischen Funktionen existieren zahlreiche zum Teil widersprüchliche Theorien. Abgesehen davon, dass die NNH Stickstoffmonoxid produzieren, tragen sie kaum zur Konditionierung der inspirierten Luft bei. Vielmehr bestehen enge Beziehungen zur Schädelarchitektur. Untersuchungen an nicht menschlichen Primaten zeigen, dass der Sinus maxillaris ein Spezies-spezifisches Wachstumsmuster aufweist und postnatal stärker wächst als die eigentliche Nasenhöhle. Die Form und Größe der NNH wird schließlich von zahlreichen Faktoren beeinflusst, wie kraniofazialem Wachstum, der Lagebeziehung zwischen Oberkiefer und Schädelbasis aber auch von exogenen Faktoren wie dem Klima. Obgleich die NNH bei vergrößerten Ostien, etwa infolge von operativen Eingriffen, einen gewissen Effekt auf das Ergebnis der Rhinometrie haben können, deuten Untersuchungen darauf hin, dass die Bedeutung der NNH für die Ausbildung von Schlafatemstörungen eher gering sein dürfte. Schließlich wurde noch herausgestellt, dass selbst eine obstruktive Störung der Nasenfunktion vermutlich nur als Kofaktor in der Pathophysiologie von Schlafatemstörungen wirkt.

Schlaf- und Atemstörung

Der klinisch orientierte Teil des Symposiums wurde von PD Dr. Dr. Peter Proff, Greifswald, mit einem Vortrag zur allgemeinen Bedeutung des Schlafes und der Schlafatemstörung eingeleitet. Dabei gab der Referent zunächst einen Überblick zur historischen Entwicklung der systematischen Schlafforschung, gefolgt von aktuellen Modellen der Schlafsteuerung und Schlaffunktion sowie der derzeit gültigen Schlafstadieneinteilung und der altersbedingten Veränderungen der Schlafqualität und -quantität. Die Pathologie der obstruktiven Schlafatemstörungen wurde vor dem epidemiologischen Hintergrund unter besonderer Würdigung von Folgeerkrankungen/Koinzidenzen, wie arterielle Hypertonie, KHK, Apoplex, Unfallhäufigkeit und mehr, aufgezeigt.

Physiologie der Atemstörungen

OA Dr. Thomas Bremert aus der Hals-Nasen-Ohrenklinik, Greifswald, und Leiter des Schlaflabores führte in die Physiologie des normalen Schlafes und in die Ursachen schlafbezogener Atmungsstörungen ein. Er stellte die Stufendiagnostik vor, Möglichkeiten der speziellen Diagnostik im Schlaflabor und die Durchführung der nasalen Überdruckbeatmung.

Der Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. Fred Podmelle stellte zur Therapie von Schlafatemstörungen die supraforaminale Unterkieferosteotomie in Kombination mit der Le Fort I-Osteotomie vor. Der Vorteil hierbei gegenüber der sagittalen Splitosteotomie des Unterkiefers liegt darin, dass der gesamte Weichteilmantel des Unterkiefers unter stark reduziertem Risiko für Nervenverletzungen nach anterior verlagert wird.

Prof. Dr. Tomasz Gedrange, Kieferorthopäde aus Greifswald, referierte über die Langzeitauswirkung der Dysgnathiechirurgie auf Schlafatemstörungen.

Im Rahmen der klinischen Sitzung des Schlafsymposiums präsentierte der Referent die Ergebnisse einer Studie zur Effizienz der operativen Vorverlagerungen des Unterkiefers in Hinblick auf die Beseitigung der Obstruktion in den oberen Luftwegen. Dabei konnte gezeigt werden, dass initial nach der skelettverlagernden Operation zwar eine Verbesserung auftritt, diese jedoch nach etwa einem halben Jahr bei der Hälfte der Patienten wieder rezidiviert. Schlussfolgernd müssen skelettverlagernde Operationen im Rahmen der Therapie obstruktiver Schlafatemstörungen besonders bezüglich der Langzeitprognose und der möglichen Risiken kritisch betrachtet werden. Dr. Susanne Schwarting, Kiel, stellte daraufhin Unterkieferprotrusionsschienen zur Therapie von Schnarchen und Schlafapnoe vor.

„Die medizinische Verantwortung des Zahnarztes besteht deshalb darin, dass er sich in die interdisziplinäre medizinische Diagnostik und gegebenenfalls Therapie dieser Krankheitsbilder einbringt, indem er zahnmedizinische Risikofaktoren erkennt und behandelt.Prof. Georg Meyer, Greifswald

Sie zeigte die modernen, individuell hergestellten Zwei-Schienen-Systeme, die sagittal adjustierbar sind und gute Behandlungserfolge bei Schnarchen und leicht- bis mittelgradiger Schlafapnoe erzielen. Voraussetzung ist die vorherige poly(somno)-graphische Diagnostik und anschließende Untersuchung und Indikationsstellung durch schlafmedizinisch fortgebildete Zahnmediziner. Die Referentin verdeutlichte auch die Problematik sogenannter boil-and-bite Schienen, weil der Einsatz konfektionierter Teile im sehr individuellen stomatognathen System kritisch zu bewerten ist. Der Behandlungsablauf, die Instruktion des Patienten und die enge Zusammenarbeit wurde dargestellt. Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft Zahnärztliche Schlafmedizin präsentierte das aktuelle im September 2006 publizierte Positionspapier ihrer Fachgesellschaft zum Einsatz von Protrusionsschienen bei Erwachsenen mit schlafbezogenen Atmungsstörungen, das deutschlandweit Behandlern, Gutachtern, Patienten und Kostenträgern als Hilfestellung dienen soll, wann und bei wem Unterkieferprotrusionsschienen eingesetzt werden sollten.

Schlafmedizin ist auch für Kinder wichtig

Dr. Ulrich Hübers, Offenburg, zeigte die Entwicklung in der zahnärztlichen Schlafmedizin unter dem Aspekt der zunehmenden Bedeutung des Obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndroms (OSAS) bei Kindern und Jugendlichen auf. War die jetzige Vorgehensweise bei erwachsenen Patienten eine symptomatische Therapie, ergibt sich beim wachsenden Patienten ein anderer Therapieansatz, der der kieferorthopädischen Behandlung ähnelt. Ziel ist es zum einen, erkrankte Adoleszenten zu heilen, zum anderen, ausgeprägte kraniofaziale Strukturabweichungen im Sinne einer OSAS-Prophylaxe des späteren Erwachsenen zu beseitigen. Wegen der gehäuften Vergesellschaftung einer adenotonsillären Problematik und Gewichtsproblemen, die häufig mit dem OSAS einhergehen, geschieht dies in enger Zusammenarbeit mit weiteren Arztgruppen. Es wurde der derzeitige Stand der Therapien dargelegt und ein kleiner Einblick in die Literatur gegeben.

Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Meyer, Greifswald, stellte in seinen Ausführungen die kaufunktionellen Aspekte im Verhältnis zur allgemeinen Körperfunktion dar. Ganz aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse der Greifswalder epidemiologischen „Study of Health in Pomerania“ (SHIP) weisen Kaufunktionsstörungen nach als potentielle Auslöser von Kiefergelenks-, Kopf- und Gesichtsschmerzen sowie Tinnitus (Ohrgeräusche). Professor Dr. Lotzmann, Göttingen, und Mitarbeiter kommen in einer diagnostisch-therapeutisch orientierten zahnmedizinischen Nachuntersuchung von Patienten, bei denen vorher durch Neurologen die Diagnose „Trigeminusneuralgie“ gestellt worden war, zu dem Ergebnis, dass in bis zu 50 Prozent der Fälle Kaufunktionsstörungen die eigentlichen Ursachen der neuralgieformen Symptomatik waren, was durch entsprechende (zahnärztliche) Therapieerfolge belegt wurde. In experimentellen orthopädischen Studien konnte gezeigt werden, dass sowohl die Kopfals auch die gesamte Körperhaltung durch Veränderung der Kieferrelationen beeinflusst werden kann. Der Referent beschrieb Untersuchungen des Japaners Kobayashi, der anhand experimenteller Untersuchungen demonstrierte, dass okklusale Interferenzen auf Molaren in der Größenordnung von 0,1 mm, also dem Zehnfachen der Taktilität desmodontaler Rezeptoren, und andere zu Schlafstörungen, erhöhten Muskelaktivitäten, verstärkter Adrenalinausschüttung, Schlafapnoe und mehr führen können. Aufgrund der resultierenden Symptome werden betroffene Patienten häufig von Internisten, Orthopäden, Neurologen oder anderen medizinischen Disziplinen behandelt, weil entsprechende zahnmedizinische Zusammenhänge kaum bekannt sind.

Dieses schlafmedizinische Symposium der Universität Greifswald war vornehmlich interdisziplinär angelegt und hat Interesse an der Thematik der zahnärztlichen Schlafmedizin geweckt, das sicherlich weitere Veranstaltungen nach sich ziehen wird und hoffentlich zukunftsweisend wissenschaftliche Studien auf diesem Gebiet an der Universität Greifswald initiieren wird.

Dr. Susanne SchwartingZahnärztin mit TätigkeitsschwerpunktZahnärztliche SchlafmedizinAndreas-Gayk-Str. 23-25, 24103 Kielpraxis@drschwarting.de

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