Internetkriminalität

Betrogene Betrüger

E-Mails mit dubiosen Inhalten landen täglich zu Dutzenden im virtuellen Postfach. Die Absender versprechen Erbschaften, winken mit Geldgewinnen oder bitten um eine Spende. Oft haben die Betrüger Glück und User fallen auf den Köder herein. Manchmal geraten sie aber auch an einen Scambaiter – und sind am Ende selbst die Gelackmeierten.

Gilbert Murray hat viele Berufe. Zirka 30, um ehrlich zu sein. Er ist Bäcker, Bestattungsunternehmer, Müller und Geflügelmagnat. Man kann ihn jedoch ebenso als Gummientenhersteller, Pornoregisseur oder Direktor eines Heims für Regenwürmer kennenlernen. Dafür muss man nur versuchen, ihn per E-Mail aufs Kreuz zu legen. Der Brite Murray – übrigens auch nur ein Synonym – ist Scambaiter, was auf Englisch soviel wie Betrügerköderer bedeutet. Scambaiter lassen sich absichtlich auf die absurden Deals von Internetbetrügern, auch Scammer genannt, ein. Hauptsächlich, um ihnen die Zeit zu stehlen, gutgläubige User auszunehmen. Und ein bisschen auch, um ihren Spaß mit den Gaunern zu haben. In welche abstrusen Abenteuer Scambaiter Murray dabei gerät, dokumentiert er haarklein auf seiner lesenswerten Websitewww.scambuster419.co.uk.

Metzger Murray

Im Tagebuch des Betrüger- Betrügers findet sich die Episode Gilbert Murray als Metzger. In dieser Rolle wird ihm von dem vermeintlichen nigerianischen Anwalt Thomas Adepoju die Erbschaft eines Vermögens versprochen, das ihm – man kennt die Masche – nach dem Unfalltod eines entfernten Verwandten zustehen soll. Murray lässt sich darauf ein, und es entspinnt sich ein umfangreicher E-Mail-Wechsel, in dem der falsche Anwalt versucht, private Daten wie Adresse, Bankverbindung oder Telefonnummer seines Opfers herauszubekommen – und ihn um 9 800 Dollar Bearbeitungsgebühr zu erleichtern. Eine typische Vorgehensweise, die dieser Form der Internetkriminalität ihren Namen gibt: Vorschuss- Betrug. Dabei überweisen die Opfer Geld auf ein internationales Konto, ohne jemals die versprochene Gegenleistung zu erhalten. Eine andere Bezeichnung für diese Straftat ist „419-er“ – abgeleitet vom nigerianischen Paragrafen 419, der Vorschuss- Betrug unter Strafe stellt. Hintergrund: In der Vergangenheit waren es vor allem nigerianische Banden, die mit dieser Methode auf Beutezug gingen.

Keine Gefahr für Scambaiter Murray, der die Tricks der Scammer kennt. Er spielt mit, getarnt als Metzger, und gibt vor, das Geld überwiesen zu haben. Während sein Gegenspieler darauf wartet, verstrickt er ihn in eine ausgedehnte Diskussion über die Frage, ob er sich von einem Lieferanten trennen soll, der genmanipuliertes Fleisch produziert. Eine Hinhaltetaktik mit hohem Unterhaltungsfaktor. Ein Auszug: „Offenbar kennt der Bauer jemanden in der Genetikabteilung der Universität Cleethorpes. Dort war man hocherfreut, seine Tiere für verdeckte Forschungen zu benutzen. Nach ein paar Tests wurde die DNA der Schweine mit denen gewöhnlicher Flöhe (ctenocephalides canis) gekreuzt. Das Ergebnis war eine dickere Schwarte bei den Schweinen.“ Angesichts dieser hanebüchenen Geschichte wäre eigentlich zu erwarten, dass „Anwalt Adepoju“ sofort aus dem Geschäft aussteigt. Aber weit gefehlt, es vergehen drei Wochen, bis er den Braten riecht und aufgibt.

Gilbert Murray steckt viel Mühe in sein Projekt. Er hat sogar ein komplettes Dorf namens Gypping in the Marsh erfunden. Inklusive Website. Aber: Andere Scambaiter, andere Methoden. Viele seiner Kollegen sind bei der Wahl ihrer Waffen nicht gerade zimperlich.

Hall of Shame

Anders als Murray begnügen sich manche Betrügerjäger nicht mit dem Austauschen von E-Mails. Sie fordern die Scammer zusätzlich auf, sich vor beleidigenden Plakaten mit Schriftzügen wie „Ich bin der größte Depp“ oder in teilweise peinlichen Posen zu fotografieren. Die Bilder stellen sie dann in einer Hall of Shame auf ihren Websites aus. Auf den Fotografien sind fast ausnahmslos Menschen schwarzer Hautfarbe zu sehen. Kritiker werfen den Scambaitern deshalb Rassismus vor. Auf der deutschen Seitewww.scambaiter.infowehrt man sich dagegen: „Nur weil die meisten Scammer aus Nigeria stammen (...), wo nun mal der Großteil der Bevölkerung aus Menschen mit farbiger Haut besteht, sind Scambaiter noch lange keine Rassisten. (...) Mittlerweile kommen viele Scams aus der ganzen Welt. Beliebte Länder sind Spanien, England, die Schweiz, Belgien und die Niederlande sowie die Arabischen Emirate.“ In den Galerien spiegelt sich diese Erkenntnis allerdings nicht wider.

Für hitzige Diskussionen, auch innerhalb der Community, sorgte der Fall eines Scambaiters, der zwei Betrüger aus Nigeria in den Sudan lockte, um dort eine große Summe Bargeld abzuholen. Nach einer abenteuerlichen Reise quer durch Afrika verschwanden die Männer spurlos im Krisengebiet. Spätestens hier stellt sich die Frage nach den moralischen und gesetzlichen Grenzen, die Scambaiter überschreiten. Aus Spaß kann schnell Ernst werden. Wohl nicht umsonst raten die alten Hasen Neulingen, ihre Anonymität auf keinen Fall aufzugeben. Auf der deutschen Homepage ist zu lesen: „Vorsicht! Man sollte sich vorher im Klaren sein, dass man es mit Kriminellen zu tun hat, die mit ihren Methoden nicht zurückhaltend sind.“

Die sicherste Methode im Umgang mit Scammern ist natürlich, gar nicht erst auf deren Maschen hereinzufallen. Ein paar Tipps zum Selbstschutz: Scammer senden die zweite Mail meist von einer anderen Adresse als die erste. Falls der Account, den sie zur Kontaktaufnahme angelegt haben, auffliegt, bleiben die laufenden Transaktionen so ungestört.

Geldgeschäfte werden üblicherweise über internationale Geldtransferfirmen wie Western Union oder MoneyGram abgewickelt, so dass sich die Betrüger die Beute in einer Filiale in ihrem Heimatland auszahlen lassen können.

Typisch ist auch, dass die Opfer bereits in der ersten Mail aufgefordert werden, ihre persönlichen Daten preiszugeben und dass Ausweispapiere der Scammer sich bei näherem Hinsehen schnell als Fälschungen herausstellen.

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net

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