Gastkommentar

Macht, Moneten und Moral

Seit der Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses verhandeln Vertreter unterschiedlicher Arztgruppen gemeinsam mit der geschlossenen Bank der Krankenkassen. Die geschaffene Veränderung erfordert arztgruppenübergreifendes gemeinsames Handeln. Der Gesetzgeber beobachtet die Entwicklung aus kritischer Distanz.

Andreas Mihm
FAZ-Korrespondent Berlin

Was haben Zahnärzte mit Kunststoffgläsern für Kinderbrillen zu tun? Oder mit der Festlegung, welche Krankheiten ambulant in der Klinik behandelt werden dürfen? Viel. Denn das sind Leistungen, über deren Erstattung durch die Krankenversicherung der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) entscheidet. Der GBA ist die Spitze der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Er vereint Vertreter der Kassen und der Leistungserbringer, der Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser. Hier geht es um Macht, Moneten und Moral.

Jede „Bank“ stellt fünf Vertreter. Die sollen ausknobeln, was bezahlt wird. Im Streitfall entscheiden drei unparteiische Vorsitzende – unter der Rechtsaufsicht des Gesundheitsministeriums. Wie so vieles ist auch der GBA mit der Gesundheitsreform „professionalisiert“ worden. So hat Ministerin Ulla Schmidt das genannt. Jetzt hat der Bundesausschuss eine hauptamtliche Führung. Den Plan, auch die Vertreter der Kassen, Ärzte oder Kliniken beim GBA anzustellen, hat das Ministerium fallen gelassen. Das sah zu sehr nach dem aus, was es wohl sein sollte: enge politische Führung. Der GBA soll unabhängig auf Basis des Sozialgesetzbuchs entscheiden. Das tat er schon früher. Da kamen die Leistungserbringer mit den Kassen zusammen und klärten das zu Klärende in eigenen Kammern.

Seit der großen GBA-Reform im Juli ist alles eins. Nun entscheiden die 13 Vertreter über alle Fragen in einer Kammer. Natürlich muss das vorbereitet werden. Dafür gibt es acht Unterausschüsse. Die bilden Arbeitsgruppen, in denen die Beschlüsse der Unterausschüsse vorbesprochen werden. Die müssen besetzt werden. Dafür bedarf es hinreichend qualifizierten Personals. Die Spitzenverbände haben ihre Stäbe schon aufgestockt. Der GBA selbst zählt knapp 200 Mitarbeiter, einschließlich derer, die beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) angestellt sind. Das prüft für den GBA den Nutzen und künftig die Angemessenheit der Kosten von Therapien. Dass Insulinanaloga nur noch für Kinder bezahlt werden dürfen, geht auf das IQWIG zurück. Bezahlt wird das alles vom Beitragszahler. Als Gewinn gilt, dass Patientenvertreter seit geraumer Zeit an den Beratungen teilnehmen, auch wenn sie nicht mit abstimmen dürfen. Doch mahnen sie an, es fehle ihnen an Personal, wissenschaftlicher Begleitung und Einordnung. Mit anderen Worten: Es fehlt an Geld.

Das Geld ist es nicht, weshalb einige Beteiligte ihre Erfahrungen nach sechs Monaten Probezeit des neuen GBA eher frustriert resümieren. Sie ärgert die wachsende Bürokratie. Unlängst wurden die Beratungsunterlagen per CD-ROM verschickt, weil die elektronische Post die Datenmenge nicht mehr bewältigt hätte. Das klingt so, als laufe der Bundesausschuss Gefahr, sich zu einem Bürokratiemonster auszuwachsen.

Es gibt noch eine weitere Gefahr. In der seit Juli herrschenden Konstellation sehen sich die Leistungserbringer einer Kassenbank gegenüber. Wollen also, um ein Beispiel zu konstruieren, die Zahnärzte eine Leitung durchsetzen, so müssen sie zunächst die zwei Vertreter der Kassenärzte und der Krankenhausgesellschaft auf ihre Seite ziehen, nur um Parität herzustellen. So erzwingt die neue Konstellation Koalitionen und führt zu politisch aber nicht immer sachlich motivierten Tauschgeschäften.

Ein Vorteil ist der Einigungszwang, der auf den Akteuren lastet. Der schmerzt da besonders, wo die Politik massiv Veränderung verlangt: bei der sektorenübergreifenden Versorgung zwischen Klinik und Ambulanz. Kein Wunder, dass das erste Gerichtsverfahren gegen den GBA angestrengt ist. Schon drohen Vertreter der Kliniken damit, das Gremium grundsätzlich zu hinterfragen. Doch was wäre die Alternative? Eine noch stärkere Anbindung der Selbstverwaltung, die in der letzten Reform viel von ihrem Selbst verloren hat, an das Gesundheitsministerium? Vielleicht würde es den politischen Planern im Hause Ulla Schmidts ganz gut ins Konzept passen, wenn sie der Selbstverwaltung auf die Art „Versagen“ nachweisen könnten.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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