Gastkommentar

Feldversuch mit Hausärzten

Der Versuch des bayerischen Hausärzteverbands, durch ein Korbmodell aus der vertragsärztlichen Tätigkeit auszusteigen, muss auch in seiner Bedeutung für die Ärzteschaft differenziert betrachtet werden, meint
Andreas Mihm
Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Die empirische Sozialforschung kennt mehrere Wege auf der Suche nach Erkenntnisgewinn. Als gängige Methode, eine These zu bestätigen oder zu falsifizieren, gelten Experimente im Labor, Befragungen, teilnehmende Beobachtungen oder Feldversuche. Ein solcher läuft gerade in Bayern ab. Die dortigen Hausärzte wollen aus der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) aussteigen. Dafür sucht der Chef des bayerischen Hausärzteverbands, Wolfgang Hoppenthaller, eine Zwei-Drittel-Mehrheit unter den 9 000 Hausärzten.  

Seine These lautet: Ohne KV geht es den Ärzten besser und den Patienten auch. Die Antwort auf diese Provokation wird mit umso größerer Spannung erwartet, weil alle Mitspieler im System eine andere Antwort darauf geben. Das Großexperiment ist auch mutig, denn zwei Anläufe zum Systemausstieg sind schon stecken geblieben. Zahnärzte hatten vor 14 Jahren einen ersten Versuch gewagt, die engen Bänder des Sozialgesetzbuches V zu durchschneiden und sind damit gescheitert. Spektakulär war auch das Misslingen eines weiteren Anlaufs von Kieferorthopäden in Niedersachsen vor wenigen Jahren.  

Ob Bayerns Hausärzte den Gegenbeweis antreten können, ist frühestens Ende März abzusehen. Dann will Hoppenthaller bekanntgeben, wie viele ihre Bereitschaft zum KVAustritt erklärt und in einem imaginären „Korb“ bei einem Notar hinterlegt haben. Erst wenn die Quote von 70 Prozent erreicht ist, soll eine Mitgliedersammlung das weitere Vorgehen entscheiden.

Das Verfahren lässt genügend Raum für die weitere Eskalation. Ende Februar traten die Mandatsträger des Hausärzteverbands aus der KV-Vertreterversammlung aus. „Wir verweigern uns einem System, das als verlängerter Arm des Staates und dessen Sozialpolitikern erheblich dazu beiträgt, die Freiberuflichkeit der Vertragsärzteschaft zu zerstören“, sagt Hoppenthaller. Er fühlte sich so stark, ein Treffen mit CSU-Ministerpräsident Günther Beckstein kurzfristig abzusagen. Auch das passt in die Strategie: Mit dem Systemausstieg drohen und zugleich die vor Kommunal- und Landtagswahlen stehenden bayerische Landesregierung weichkochen. Dass die auf die Gesundheitspolitik, auf zu niedrige Ärztehonorare und zu viel Bürokratie allenfalls mittelbar über den Bund Einfluss nehmen kann, stört Hoppenthaller wenig. Er kanalisiert erfolgreich den aufgestauten Unmut der Allgemeinmediziner. Doch bleibt die Frage, ob die angebotene Lösung die Ärzte nicht in die Sackgasse führt.

Denn die Kassenärzte sind im Sozialgesetzbuch eingemauert. Das verdanken sie dem aus Bayern stammenden Sozialpolitiker Horst Seehofer. Der hat dafür gesorgt, dass Mediziner, die in einem „abgestimmten Verfahren“ aus der KV austreten, erst nach sechs Jahren wieder eine Kassenarztzulassung bekommen. Auch kann der ausgetretene Kassenarzt der Kasse für die Behandlung eines Patienten das 1,0-fache der GOÄ nur dann berechnen, wenn kein Vertragsarzt in der Nähe ist.

Schon hat die KV angekündigt, dass auch Fachärzte in die allgemeinärztliche Versorgung einspringen könnten. Die Kassen würden auch Ärzte aus dem Ausland holen und die Überbelegung der Hausarztsitze in attraktiven bayerischen Großstädten auf elegante Weise bereinigen.

Insofern kann man Hoppenthallers Attacke viel Positives abgewinnen. Sie würde im Erfolgsfall die zementierten Strukturen der ambulanten Versorgung aufbrechen, für Wettbewerb und vielleicht bessere Versorgungsstrukturen sorgen. Doch klar ist auch, dass dabei viele Hausärzte, die heute noch über den vermeintlichen Heilsbringer jubeln, auf der Strecke bleiben.

Wer Wettbewerb und eigene Versorgungsverträge für seine Ärzteklientel abschließen will, der kann das auch anders erreichen. Hausärzteverband und Medi exerzieren das mit der AOK Baden-Württemberg gerade vor. Das zeigt: Es geht auch ohne selbstmörderische Ausbruchsversuche. 

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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