Historische Wertpapiere

Nonvaleurs mit Kurspotenzial

Als wertlos gelten die Nonvaleurs nur deshalb, weil sie nicht mehr an der Börse gehandelt werden. Kennern und Sammlern bereiten die ausgedienten Wertpapiere hingegen großes Vergnügen. Denn sie sind schön anzusehen, bieten spannende Informationen und ihr Wert steigt kontinuierlich. Vorausgesetzt, der Käufer hat die richtige Wahl getroffen.

Johann Wolfgang von Goethe, Thomas Alva Edison, John D. Rockefeller, Charly Chaplin und Andrew Carnegie – Namen die in jedem Lexikon zu finden sind und die jedes Kind kennt. Sie haben etwas gemeinsam: Alle diese Berühmtheiten setzten ihre Unterschriften auf Aktien und Anleihen. Die Papiere haben zwar offiziell keinen Wert mehr und werden schon seit langem nicht mehr an der Börse gehandelt. Doch wertlos sind sie auf keinen Fall. Im Gegenteil: Gerade die Autografen gehören zu den begehrtesten Sammelgebieten der Scripophilie – wie die Leser der Londoner Times das junge Sammelgebiet der historischen Wertpapiere 1978 in einem Wettbewerb getauft haben. Für Nonvaleurs mit Namenszügen berühmter Menschen zahlen Sammler heute mehrere tausend Euro. Den derzeitigen Höchstpreis von 134 000 Dollar erzielte vor ein paar Jahren eine Gründeraktie der Standard Oil Company von 1871 mit der Originalunterschrift von John D. Rockefeller in New York. Schon im November 1997 durchbrach dieses Wertpapier die 100 000- Mark-Grenze auf einer Auktion bei Tschöpe in Düsseldorf. Die erzielten Preise sind leicht erklärt: Die Aktie existiert nur in vier Exemplaren, eines liegt bei Rockefeller Foundation in New York, drei weitere ruhen in Sammlungen.

Seltenheit, Erhaltung, Schönheit und berühmte Namen bestimmen die Nachfrage bei den historischen Wertpapieren genauso wie auf dem Gebiet der Briefmarken oder Münzen. Einen entscheidenden Unterschied aber gibt es doch: Während bei der Philatelie und bei der Numismatik der Nachschub ständig weiter rollt, sind die Quellen bei den merkantilen Effekten beinahe versiegt. Denn kaum ein Unternehmen druckt noch Anteilsscheine auf Papier, wenn es sich Geld am Markt beschaffen will. Das bedeutet, das Sammelgebiet historische Wertpapiere ist begrenzt, es gibt keinen Nachschub, schon gar nicht an besonders schönen Stücken. Für die rund 150 000 Aktien, Optionen, Anleihen, Pfandbriefe, Kuxe und Ähnliches interessieren sich in Deutschland zirka 10 000 Sammler. Sie kaufen bei Händlern und vor allem auf Auktionen. International gesucht sind dabei hauptsächlich amerikanische Stücke.

Historische Aktien als Hobby

In den USA wuchs das Interesse an den alten Schmuckstücken schon im 19. Jahrhundert. Bereits während des Bürgerkriegs begann ein Sammler mit Namen Haseltine, die Anleihen der Konföderierten zu horten. Ein paar Jahre danach erkor der Ex-Broker Roland M. Smythe die alten Shares und Bonds zu seinem Hobby. Er hatte den wahren Wert der Wertpapiere erkannt: „Die Leute werden Abertausende von alten Wertpapieren kaufen und sie in der Hoffnung behalten, dass sie in ihren Händen zu Gold werden. Was immer sie damit machen, abgeben werden sie sie nie.“ Zwar erlebte er den Durchbruch seiner Idee nicht mehr. Doch heute versteigert unter seinem Namen ein Auktionshaus papierene Kostbarkeiten unter der New Yorker Adresse Broadway 26. Dort residierte früher Rockefellers Standard Oil. Und dort fiel auch der oben erwähnte und bisher nicht erreichte Rekordzuschlag für ein Nonvaleur. In Deutschland findet das Sammelgebiet immer mehr Freunde, seit 1971 der Finanzjournalist Heinz Brestel die erste Kurs- liste mit den Preisen der alten Aktien veröffentlicht hat. Seitdem haben sich Auktionshäuser wie Tschöpe, Gutowski, die Freunde historischer Wertpapiere oder Historischer Wertpapierhandel fest etabliert. Sie alle bieten eine große Auswahl an in- und ausländischen Nonvaleurs an. Besonders gefragt sind derzeit DM-Aktien und russische Papiere. Die Russen selbst kaufen und so mancher Interessent, der sein Geld an der Börse gemacht hat, springt auf diesen Zug auf. Doch Experten wie Reinhild Tschöpe warnen: „Diese Papiere sind im Vergleich zu anderen sehr teuer. Und außerdem kann die kyrillische Schrift kaum jemand lesen.“ Allerdings zählen besonders schön gestaltete Aktien, wie die des Kaufhauses GUM, zu den Raritäten, die weltweit gesucht sind. Das gilt nicht unbedingt für heimische Aktien „Das Interesse für deutsche Papiere endet an den Grenzen zu unseren Nachbarn“, erzählt Reinhild Tschöpe vom gleichnamigen Auktionshaus in Kaarst bei Düsseldorf. Die meisten Aktien aus der DM-Zeit sind eher langweilig was die Gestaltung angeht und sie wurden in großen Auflagen gedruckt. Gut erhaltene Exemplare der Deutschen Bank, MAN oder VW gibt es schon für zweistellige Beträge. Aber dennoch kann die jüngere deutsche Wirtschaftsgeschichte spannend sein. So blätterte ein Sammler für die Gründeraktie der Deutschen Bank mit der Nummer 001 von 1871 im November 2004 auf einer Auktion in England 105 000 Euro auf den Tisch.

Begehrte Signaturen

Zu den gesuchten Raritäten aus Deutschland zählen sicherlich die Kuxe (Anteilsscheine an Bergwerken), die Johann Wolfgang von Goethe zu seiner Ilmenauer Zeit als Leiter des dortigen Bergwerks unterschrieb. Bei Tschöpe kostete ein Exemplar mit der Originalunterschrift des Geheimrats im Juni 2007 8 500 Euro. Begehrt sind natürlich auch die Pfandbriefe deutscher Landschaften, die Friedrich der Große erfand, um damit auch nicht so Betuchten Grundbesitz zu ermöglichen. Die Briefe wurden auf Tierhaut geschrieben und stammen aus der Zeit zwischen 1760 und 1820.

Der Preis richtet sich nach dem Alter und den Landschaften. Er liegt zwischen 900 und 3 000 Euro.

Überhaupt gehören Wertpapiere aus dem 17. und 18. Jahrhundert zu den attraktiven Sammelgebieten. Denn gut erhaltene und seltene Objekte sind rar. So präsentiert sich die Aktie der spanischen Handelsgesellschaft Barcelona von 1756 als Ganzkupferstich auf mittelstarkem Kalbspergament. Sie kostet zwischen 1 200 und 1 800 Euro. Ein anderes Beispiel ist der Anteilsschein der bedeutendsten Aktiengesellschaft aus der Zeit der Habsburger Monarchie, die General Keyserlijcke en Koninklijke Compagnie vom 30. September 1723. Der österreichische Kaiser Karl VI. erteilte den Unterzeichnern der Aktie die Erlaubnis, die Kaiserlich Indische Compagnie zu gründen – ein Konkurrenzunternehmen zur Vereinigten Ostindischen Compagnie. Die Gesellschaft, und damit auch die Aktien, war sehr erfolgreich. 1729 vergab sie erstmals das Recht, Anteile innerhalb einer gewissen Frist zu einem vorher festgelegten Preis beziehen zu können. Damit war der Optionsschein geboren. Aber auf Druck der Konkurrenzstaaten stellte die Compagnie ihre Reisen ein. Kaiser Karl VI. sicherte so seiner Tochter Maria Theresia den Thron. Der Preis für das geschichtsträchtige Stück liegt je nach Erhaltung zwischen 700 und 1 000 Euro. Den Ruhm, die erste Aktie überhaupt ausgegeben zu haben, beansprucht die 1602 gegründete Vereinigte Ostindische Handels-Kompanie für sich.

Sammler, die Spaß an dekorativen Wertpapieren von heute haben, werden auch fündig. Einige Firmen geben auch jetzt noch Aktien aus. Sie sind häufig schön gestaltet und finden vor allem bei Fans bestimmter Marken Interesse. Motorrad-Enthusiasten hängen sich vielleicht gerne eine Aktie von Harley-Davidson (149 Euro) an die Wand oder Fast-Food-Gourmets die von McDonald’s Corp. (75 Euro). Wer sich echten Schmuck nicht leisten kann, freut sich vielleicht über eine Tiffany-Aktie (2 000 Euro). Diese Aktien werden alle noch an den Börsen gehandelt. Die angegebenen Preise gelten nur für die Stücke und haben nichts mit dem Börsenkurs zu tun.

Neulinge auf diesem Sammelgebiet tun gut daran, sich für ein Spezialgebiet zu entscheiden. Dazu rät jedenfalls Matthias Schmitt vom Vorstand HWPH. Das können Eisenbahn- oder Bankaktien sein. Oder jemand sucht sich sein individuelles Gebiet wie zum Beispiel die Firmen in seiner Region. Kunstliebhaber entscheiden sich vielleicht für besonders schön gestaltete Stücke, beispielsweise die von Alfons Mucha oder Marcel Duchamp. Ein großes Vorhaben setzte der deutsche Sammler Jakob Schmitz um. Ihm gelang es, aus 130 Ländern der Erde ein historisches Wertpapier zu beschaffen. Sie sollten landestypisch sein und die wichtigsten Unternehmen repräsentieren. Auf diese Weise trug er eine 7 000 Stücke umfassende Sammlung Weltwirtschaftsgeschichte zusammen. Inzwischen kann sie jeder in seinem Museum im schweizerischen Olten bewundern.

Gut vorbereitet einsteigen

Wer als Neuling auf dem Gebiet der historischen Wertpapiere eine Sammlung aufbauen will, sollte einige Ratschläge beachten:

Klasse statt Masse

Einer der größten Fehler, den Anfänger begehen, ist es, möglichst viele preiswerte Stücke zu kaufen. Sinnvoller handeln sie, wenn sie so lange sparen, bis das Geld für eine Rarität reicht. Denn solche Papiere machen später die Qualität und den Wert einer Sammlung aus.

Informationen sammeln

Der Markt der historischen Wertpapiere ist intransparent. Deshalb steht vor dem ersten Kauf die Recherche. In Auktions- und Bewertungskatalogen wird man fündig. Aber auch Gespräche mit Händlern und anderen Sammlern sind ergiebig.

Preise vergleichen

Angebote auf Auktionen und auf Sammlertreffen vergleichen. Vor allem bei gängigen Stücken können die Preise stark differieren. Denn sie richten sich nach den Einkaufspreisen und den Kosten der Unternehmen oder Antiquariate. Fast alle Händler und Auktionshäuser haben eine Homepage, auf der sie ihre Angebote präsentieren. Bevor man im Internet eine Aktie nur nach der Abbildung kauft, ist es besser, sich auf Sammlertreffen oder bei Auktionen die Stücke selbst anzuschauen. Bei Auktionen darf man nicht vergessen, dass auf den Zuschlagspreis noch ein Aufgeld von acht bis 15 Prozent plus Mehrwertsteuer kommt.

Gute Erhaltung

Seit ein paar Jahren gibt es eine Klassifizierung des Erhaltungszustands (siehe Kasten). Sammler sollten darauf achten, dass die Wertpapiere sich in einem möglichst guten Zustand befinden. Denn nur dann lassen sie sich wieder gut verkaufen, vielleicht sogar zu einem höheren Preis. Wert steigernd wirkt sich eine Signatur aus, aber auch das Sammelgebiet kann den Preis treiben. Wichtig ist auch die Anzahl der Exemplare, die es gibt. Je weniger, desto besser.

Vorsicht Fälschung

Experten erkennen Fälschungen recht schnell an bestimmten Merkmalen: Meistens fehlt das Prägesiegel. Randbordüren sind häufig unscharf. Auf echten Papieren sind feine Linien (Guillochen) gut zu erkennen, bei Fälschungen verschwimmen sie leicht. „Aber“, beruhigt Matthias Schmitt seine Kunden, „aufgrund der eindeutigen Zuordnung über die Nummer ist jedes historische Wertpapier einzigartig. Daher gibt es nur sehr selten Fälschungen.“

Sorgfältig aufbewahren

Für die Aufbewahrung historischer Wertpapiere gibt es spezielle Hüllen und Alben. Die Hüllen müssen Weichmacher- und säurefrei sein. Sonst können die wertvollen Papiere Schaden nehmen.

Wer gut vorbereitet und ohne Hektik in sein neues Sammelgebiet einsteigt, darf sich mit Sicherheit über ordentliche Preissteigerungen freuen, auch wenn die Aktien selbst keine Kurssteigerungen mehr zu erwarten haben. Das gilt zumindest für die Raritäten. Nur sie lohnen als Investment. Jakob Schmitz tritt den Beweis an, indem er seit 1982 den Durchschnittspreis der 15 teuersten Auktionsstücke ermittelt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. 1982 lag der Durchschnitt bei 3 000 Mark (1 534 Euro), 2007 bei 31 200 Euro. Das entspricht einer Rendite von 1 934 Prozent, im Jahresdurchschnitt 12,8 Prozent.

Gelegenheiten zum Kaufen gibt es viele. In diesem Jahr werden zirka 30 Auktionen stattfinden. Raritätensammler aber warten schon auf den Termin für die letzte Auktion des Reichsbankschatzes im nächsten Jahr in Berlin. In den vergangenen vier Auktionen kam der größte Teil der historischen Wertpapiere unter den Hammer, die während des Zweiten Weltkrieges im Reichsbankgebäude in Berlin lagerten. Im April 1945 ließ der Besatzungschef die Tresore versiegeln. Erst seit der Wiedervereinigung wurde der Reichsbankschatz publik. Am 2. Februar 2008 gelangte ein Teil der Papiere, die weniger als 100-mal vorhanden waren, zum Ausruf und wurde gut vom Markt absorbiert. Und im nächsten Jahr (Der genaue Termin steht noch nicht fest.) bietet sich den Sammlern zum letzten Mal die Gelegenheit, Stücke in dieser Seltenheit zu ergattern. Mit dabei werden auch Pfandbriefe aus der Zeit Friedrich des Großen sein. Sinnvoll kann es dann sein, möglichst für Lots (Partie oder Nummer in einer Auktion) mit Einzelstücken zu bieten. „Danach wird es keinen Nachschub für den Markt mehr geben“, ist sich Reinhild Tschöpe sicher, „historische Wertpapiere bleibt ein abgeschlossenes Sammelgebiet. Wenn sich nur die Hälfte derer, die Münzen und Briefmarken sammeln, für historische Wertpapiere interessierten, wären wir ausverkauft.“

Marlene Endruweitm.endruweit@netcologne.de

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