Interdisziplinäre Fachtagung in Rostock

Spuren der Gewalt erkennen

Heftarchiv Gesellschaft
„Gewalt gegen Frauen – Ärzte zwischen Schweigepflicht und Strafanzeige“ war das Thema einer Fachtagung am 19. Januar in Rostock. Die Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern beteiligte sich aktiv an der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung.

Gemeinsam mit der Ärztekammer Mecklenburg- Vorpommern, der Landesvertretung der Techniker Krankenkasse sowie Dr. Margret Seemann, Parlamentarische Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellung, lud die Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern (ZÄK M-V) zur der interdisziplinären Fachtagung zum medizinischen Handeln in Fällen von Gewalt gegen Frauen ein. Rund 110 Mediziner, zu einem hohen Prozentsatz Zahnärzte, sowie Rechtswissenschaftler und Vertreter weiterer betroffener Berufsgruppen nahmen teil. Die Experten diskutierten unter anderem über die Ursachen von Gewalt gegen Frauen, den Umgang mit den Opfern, die Dokumentation von Spuren der Gewalt sowie die zu beachtenden rechtlichen Vorschriften. Bereits 2006 hatte sich die ZÄK M-V zur Mitarbeit in der Arbeitsgruppe „Gewalt gegen Frauen“ bei der Staatskanzlei entschlossen, um der Thematik insbesondere in der zahnärztlichen Öffentlichkeit die entsprechende Gewichtung zu verleihen.

„Ärzte und Zahnärzte ziehen Gewalt noch zu selten als Ursache von körperlichen und psychischen Symptomen ihrer Patientinnen in Betracht. Vor diesem Hintergrund ist die Durchführung dieser Fachtagung sehr zu begrüßen“, sagte Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg- Vorpommern, in seinem Grußwort. „Ärzte und Zahnärzte sind häufig die einzigen und wichtigsten Ansprechpartner für die Patientinnen. Mit diesem sehr lange tabuisierten Thema kommen allerdings eine Menge von Fragen auf die Mediziner zu.“

Häufig Verletzungen im Kopf-Hals-Bereich

Prof. Dr. Dr. Wolfram Kaduk aus Greifswald, der den Workshop zu „Verletzungen im Kopf-Hals-Bereich als Gewaltfolgen“ leitete, bezog sich auf eine repräsentative Studie aus dem Jahre 2004 mit 10 000 Frauen zur Fragestellung „Gewalt gegen Frauen in Deutschland“. Die im Auftrag der Bundesregierung durchgeführte Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, das rund 40 Prozent aller befragten Frauen schon eine Form von Gewalt erlebt haben.

Oft ist die Kopf-Hals-Region betroffen. Doch nicht in jedem Fall entsteht eine behandlungsbedürftige Verletzung und damit erfolgt nicht immer eine Arzt- oder Zahnarztvorstellung. Im Gegensatz zu den genannten Studienergebnissen liegt der Anteil von Frauen mit anamnestischen Angaben über Gewalteinwirkungen im traumatologischen Patientengut der Oralchirurgen unter einem Prozent. Diese unterschiedlichen Zahlen sprechen nach wie vor für eine hohe Dunkelziffer – und das, obwohl Ärzte und Zahnärzte laut Studie in der Häufigkeit die ersten Ansprechpartner und die wichtigsten Helfer für Opfer von Gewalt sind.

Sensibel ansprechen, sorgfälltig dokumentieren

Da das klinische Erscheinungsbild selten eindeutig tätliche Gewalt beweist, ist der Behandler meist auf die ehrlichen Angaben der Patienten angewiesen. So ergeben sich für die reinen kiefergesichtschirurgischen Behandlungsmaßnahmen aus diesem Teil der Anamnese kaum therapeutische Besonderheiten. Die lege artis Behandlung der Verletzungen ist selten gefährdet und unterscheidet sich nicht von der Behandlung ursächlich anderer Traumata mit gleicher Auswirkung.

Vielmehr geht es für den Arzt und Zahnarzt um eine sensible gezielte Ansprache der Patienten, um eine ausreichende Dokumentation der Spuren der Gewalt für ein eventuelles Gerichtsverfahren, um die Einhaltung rechtlicher Vorschriften und um die Vermittlung an Unterstützungseinrichtungen.

Thematisiert wurde dabei, dass Gebührenordnungen – auch im Zusammenhang mit dem derzeitigen Novellierungsverfahren zur GOZ – gerade das so wichtige Gespräch zwischen Zahnarzt und Patient unzureichend bewerten. Hier ist die Politik aufgerufen, zu handeln; dies registrierte die anwesende Parlamentarische Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Margret Seemann.

Bezüglich der komplizierten rechtlichen Aspekte zeigte Rechtsanwalt Philipp von Wrangell aus Schwerin die Handlungsoptionen auf (siehe „Zwischen Schweigepflicht und Strafanzeige“ S. 30f). Er beantwortete folgende Fragen: Darf ein Arzt seine Schweigepflicht durchbrechen und Strafanzeige stellen, wenn er von häuslicher Gewalt erfährt? Wie steht es um die Beweissicherung und um die Dokumentationspflichten? Was muss der Behandler über sofortigen Maßnahmen bei Gefahrenabwehr wissen?

Zahnärzte als wichtiger Partner

Die gemeinsam organisierte Veranstaltung machte – nicht zuletzt durch die überwiegende Teilnahme von Zahnärzten – deutlich, dass der zahnärztliche Berufsstand in diesem Handlungsfeld als wichtiger Partner wahrgenommen wird. Dabei müssen künftig in der Ausund Fortbildung der Zahnärzte und der zahnmedizinischen Fachangestellten diese Themen aufgegriffen werden.

Ebenso wichtig ist, entsprechende Informationsangebote und Hilfestellungen für die betroffenen Patienten zur Verfügung zu stellen. Spezielle Leitfäden geben Ärzten und Zahnärzten Handlungsanweisungen. Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Veranstaltung war, dass diese Leitfäden künftig verstärkt die zahnärztlichen Belange berücksichtigen werden. Bei der Überarbeitung wird die Zahnärztekammer entsprechend eingebunden

Dabei ist es nur konsequent, wenn Dr. Oesterreich dem Sozialministerium und der Techniker Krankenkasse – neben der Mitarbeit beim Projekt „Gewalt gegen Frauen“ – die fachliche Unterstützung der ZÄK M-V zur Entwicklung des Leitfadens „Gewalt gegen Kinder“ angeboten hat.  jr/ZÄK M-V

■ Der Leitfaden „Gesundheitliche Versorgung gewaltbetroffener Frauen in Mecklenburg-Vorpommern“ kann unterhttp://www.aek-mv.de/editor/presseinfo/ upload/Ordner_GewaltGegen- Frauen_Staatskanzlei.pdfheruntergeladen werden.

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