Urteil zur Online-Durchsuchung

Start in eine neue Ära

Mit der Entscheidung zu Online-Durchsuchungen hat das Bundesverfassungsgericht Ende Februar Rechtsgeschichte geschrieben – und ganz nebenbei einen Konflikt gelöst, an dem sich die große Koalition seit Monaten aufreibt.

Das staatliche Ausspionieren privater Rechner haben die Karlsruher Richter nicht grundsätzlich verboten, ihr Urteil vom 27. Februar 2008 knüpft die Maßnahme aber an sehr strenge Auflagen. Generell gilt: Ohne richterliche Erlaubnis im Vorfeld darf in keinem PC herumgeschnüffelt werden. Grünes Licht gibt es nur für Online-Durchsuchungen, die Terrorakte und andere konkrete Bedrohungen für Menschenleben und den Bestand des Staates abwenden sollen. Diffuse Hinweise auf mögliche Gefahren reichen als Begründung nicht aus.

Das Urteil schaffe erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Garantie „auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. Dazu gehört auch, dass intime Daten auf der Festplatte, die nur die private Lebensgestaltung betreffen, möglichst nicht erhoben und auf keinen Fall in einem Strafprozess verwertet werden dürfen. Damit wird der Computer zu einem Teil der Persönlichkeit – das Computer-Grundrecht ist geboren.

Schwieriger Spagat

Das Karlsruher Grundsatzurteil berücksichtigt die Argumente von Befürwortern und Gegnern der Online-Durchsuchung. Sicherheitsbehörden und Innenministerium – allen voran dessen Chef Wolfgang Schäuble (CDU) – halten die Ermittlungsmethode für unverzichtbar, um Terroristen auf die Schliche zu kommen, die immer häufiger das Internet zur Kommunikation und zum Austausch von Informationen nutzen. Die gegnerische Seite argumentiert hingegen, die Durchsuchungen knüpften das ohnehin enge staatliche Überwachungsnetz noch enger – auf Kosten der individuellen Freiheit. Durch die große Koalition zog diese Diskussion einen Graben. Ohne die Maßnahme könne sich der Staat nicht ausreichend gegen terroristische Übergriffe schützen, hieß es aus den Reihen der Union. Die Sozialdemokraten befürchteten, ihre Klientel zu verprellen, wenn die den Forderungen des Koalitionspartners nachgäben.

Das Karlsruher Urteil muss nun bei dem von der Bundesregierung geplanten Gesetz für das Bundeskriminalamt berücksichtigt werden, das der Behörde Online-Durchsuchungen erlauben soll. Es beeinflusst außerdem sämtliche Gesetzesvorhaben, die sich mit moderner Telekommunikation befassen. Das Innenministerium hat bereits mit einer Gesetzesformulierung begonnen, die im Anschluss mit dem Justizressort abgestimmt wird. Das fertige Gesetz soll schon in wenigen Wochen vorliegen. Ob die Online- Durchsuchung auch für den Verfassungsschutz und andere Sicherheitsbehörden praktikabel gemacht werden kann, wollen die Ministerien erst später prüfen.

Innenminister Schäuble rechnet mit einer zügigen Einführung der Methode. Seine Fachleute im Ministerium befürchten allerdings, dass die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts kaum überwindbare Hürden für die Fahnder- Praxis darstellen.

Theorie in der Praxis

Derzeit reichen die gesetzlichen Befugnisse der Ermittler nicht aus, um auf Festplatten zuzugreifen. Die Fahnder dürfen den Datenverkehr Verdächtiger über das Internet lediglich überwachen – sofern diese einer schweren Straftat verdächtig sind. Der Anbieter des Internetzugangs kann verpflichtet werden, den Behörden alle gesendeten oder empfangenen Daten des Verdächtigen zur Verfügung zu stellen. Vermutlich könnten die Fahnder die Rohdaten auch auswerten, allerdings unter sehr viel Aufwand. Verschlüsseln Kriminelle die Informationen hingegen, sinken die Erfolgschancen der Ermittler gegen Null. Kryptographische Verfahren, mit denen Verdächtige ihre Daten quasi unknackbar machen können, finden sich gratis im Internet.

Dennoch, Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamts, zeigte sich erfreut über den Richterspruch. „Den Strafverfolgungsbehörden wird das Instrument zugestanden, das sie seit langem gefordert haben“, sagte er in einem Interview mit Spiegel Online. Und weiter: „Nun sind wir gefordert, sensibel zu agieren und genau abzuwägen, ob die Maßnahme geeignet und verhältnismäßig ist.“ Einen konkreten Verdachtsfall gäbe es zurzeit nicht, erklärte Ziercke. „Ich fürchte aber, der nächste kommt bestimmt und bald.“

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net

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