Interdisziplinäre Fachtagung in Rostock

Zwischen Schweigepflicht und Strafanzeige

Heftarchiv Gesellschaft
Mediziner sind wichtige Kontaktpersonen für Opfer häuslicher Gewalt. Im Umgang mit Betroffenen sind für Zahnärzte – wie auch für Ärzte – berufsrechtliche und strafrechtliche Vorschriften zu beachten.

Obwohl in der Öffentlichkeit offen diskutiert, ist es heute immer noch ein Tabu, über Gewalt in den eigenen vier Wänden zu reden. Betroffenen fällt es oft schwer, ihre Sorgen und Nöte zu artikulieren. Im Problemfeld „Gewalt gegen Frauen“ nehmen Ärzte und Zahnärzte eine wichtige Position ein. Oft sind sie es, die als erste und vielleicht einzige Personen außerhalb der Familie die Sachverhalte erkennen.

Im Rahmen von Untersuchungen sehen sie die Hämatome, die ausgeschlagenen Zähne, die Striemen auf den Rücken. Diese Verletzungen resultieren eben oftmals nicht aus Stürzen, wie die Betroffenen aus Angst vor der Offenbarung vorspiegeln, sondern haben ihre Ursache in häuslicher Gewalt.

Sieht ein Zahnarzt bei einer Patientin Anhaltspunkte für mögliche Gewalteinwirkungen, sollte er behutsam nachfragen, wo und wie die Verletzungen entstanden sind. Im Rahmen der Fortbildung ist es ihm möglich, sich psychologisch in Gesprächsführung schulen zu lassen.

Wenn sich eine Patientin dem Zahnarzt gegenüber offenbart, ist es wichtig, dass er einen Katalog von Adressen und Telefonnummern von Beratungsstellen und Ansprechpartnern zur Hand hat, die der Frau weiterhelfen können. Im Ernstfall kann die Polizei den Täter aufgrund der Ordnungsgesetze der Länder für 14 Tage aus der Wohnung verweisen. Ferner kann ihm dauerhaft aufgrund des Gewaltschutzgesetzes ein Kontakt und ein Zusammenleben mit dem Opfer verboten werden. Mit Eilmaßnahmen bei den zuständigen Gerichten lässt sich dies innerhalb weniger Tagen erwirken. Kennt der Zahnarzt diese rechtlichen Möglichkeiten zum Schutz von Gewaltopfern, kann er seine Patienten darüber informieren, sobald die Situation es erfordert.

Der Zahnarzt sollte die betroffene Frau ausführlich über seine Schweigepflicht aufklären – und über ihre Möglichkeit, ihn von dieser zu entbinden. Die Pflicht ist zweifach normativ verankert, und zwar einerseits berufsrechtlich und andererseits strafrechtlich. Die berufsrechtlichen Normen ergeben sich aus den jeweiligen Heilberufsgesetzen der Länder in Verbindung mit der Berufsordnung der Zahnärztekammer.

Gemäß § 203 Absatz 1 Ziffer 1 des Strafgesetzbuches macht sich ein Zahnarzt strafbar, wenn er ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes fremdes Geheimnis, das ihm anvertraut wurde, unbefugt offenbart. Ihm droht dann eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Die Schweigepflicht ist sehr umfassend: Der Zahnarzt darf noch nicht einmal angeben, ob er die Patientin überhaupt kennt oder ob er sie jemals behandelt hat.

Grundsätzlich ist dem Zahnarzt nur erlaubt, seine Schweigepflicht zu brechen, wenn sein Patient ihn ausdrücklich von dieser entbunden hat. Für diesen Fall wird jedem Zahnarzt geraten, ein rechtlich klar und deutlich formuliertes Formular in der Schublade zu haben. Wenn die Patientin dieses unterschrieben hat, kann er ohne Weiteres gegenüber Behörden oder Gerichten Auskunft über ihre Verletzungen und ihren Gesundheitszustand geben.

Zahnarzt im Gewissenskonflikt

Schwieriger ist es, wenn keine Entbindung von der Schweigepflicht erfolgt: Die Patientin macht falsche Angaben über den Ursprung ihrer Verletzungen, Eltern verleugnen die Blessuren ihres Kindes oder die konkrete Situation macht es dem Zahnarzt unmöglich, die Thematik vor der Patientin anzusprechen.

Solche Umstände bringen den Behandler in einen Gewissenskonflikt: Er muss entscheiden, ob er gegen seine Schweigepflicht verstößt und den Sachverhalt der Polizei oder dem Jugendamt meldet. Ein solches Brechen der Schweigepflicht kann berufsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn es zum Schutz eines höherwertigen Rechtsgutes notwendig oder erforderlich ist (vergleiche etwa § 7 Abs. 2 der Musterberufsordnung der Zahnärzte).

Im Strafrecht findet sich der Tatbestand der rechtfertigenden Nothilfe in § 34 Strafgesetzbuch. Danach handelt nicht rechtswidrig, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben eine Tat begeht, um die Gefahr von einem anderen abzuwenden.

Abzuwägen sind dabei das Persönlichkeitsrecht der Patientin auf Geheimhaltung ihrer körperlichen Beschwerden gegenüber Dritten auf der einen Seite und das Strafverfolgungsinteresse bezüglich der Verletzungen der Patientin auf der anderen Seite. Im Falle einer Nothilfe müsste das geschützte Interesse einer Strafverfolgung das beeinträchtigte Interesse des Persönlichkeitsrechts wesentlich überwiegen.

Dem Zahnarzt wird empfohlen, sich von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen – falls er unsicher ist, ob sein Handeln gerechtfertigt wäre. Wenn Gefahr im Verzug ist, spricht einiges dafür, die Schweigepflicht sofort zu brechen. Im Zweifel überwiegen das Strafverfolgungsinteresse und die Möglichkeit, die Patientin vor weiterem Schaden zu schützen.

Wichtig ist, dass der Zahnarzt die Verletzungen der Patientin sehr ausführlich dokumentiert. Hilfe bietet der Dokumentationsbogen des Leitfadens der Arbeitsgruppe „Gewalt und Gesundheit Mecklenburg- Vorpommern“ (siehe auch „Spuren der Gewalt erkennen“, S. 28f). Zusätzlich sollte der Behandler Fotografien anfertigen und ein Kollege oder medizinisches Hilfspersonal zugegen sein.

Die gute Erfassung der Verletzungen ist im Rahmen eines Zivil- oder Strafprozesses im Zweifelsfall von entscheidender Bedeutung für eine Verurteilung des Täters. Im Zivilprozess auf Schmerzensgeld und Schadenersatz trifft die Beweislast das Opfer. Seine schlüssige Beweisführung bildet die wesentliche Grundlage für ein positives Urteil. Für den Täter gilt vor dem Strafgericht die Unschuldsvermutung. Er ist bei den geringsten Zweifeln des Gerichts an der Tat freizusprechen. Deshalb hat er gute Chancen, dass seine Tat aufgrund einer mangelhaften Dokumentation der Verletzungen und einer dürftigen Aussage des als Zeugen vorgeladenen Mediziners ungesühnt bleibt. Gewalt in der Familie ist ein Phänomen, das schon immer existiert hat und alle gesellschaftlichen Schichten betrifft. Durch ein genaueres Hinsehen und den Mut von Ärzten und Zahnärzten kann vielleicht erreicht werden, dass den Opfern besser geholfen wird und die Mediziner ihrem Eid, „der Menschlichkeit zu dienen“, auch in dieser Weise nachkommen.

Rechtsanwalt Philipp von WrangellFachanwalt für FamilienrechtAlexandrinen Str. 3119055 Schwerin

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