Krankheitsbild des Bayernkönigs aus heutiger Sicht

Schizoide Persönlichkeit und beginnende Demenz von Ludwig II.

Heftarchiv Gesellschaft
Der bayerische König Ludwig II., Auftraggeber von Schloss Neuschwanstein und Bewunderer Richard Wagners, war nicht paranoid. Er hatte aber eine schizoide Persönlichkeit und litt vermutlich an einer mit dem Morbus Alzheimer verwandten Erkrankung, der frontotemporalen Degeneration. Zu dieser Einschätzung gelangt ein renommierter Psychiater in der Fachzeitschrift „DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2007).

Professor Hans Förstl ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Technischen Universität München und damit einer der Nachfolger von Professor Bernhard von Gudden, der Ludwig II. im Frühjahr 1886 für geisteskrank und damit regierungsunfähig erklärte. „Paranoia“ lautete die einhellige Diagnose der damaligen „Irrenärzte“. Heute zählt die „Paranoia“ zur Schizophrenie. Doch schizophren war Ludwig II. wohl nicht, schreibt Professor Förstl, der die Unterlagen des Geheimen Staatsarchivs, die damals zur Amtsenthebung führten, eingehend analysiert hat.

Schizotype Persönlichkeitsstörung

Wenn der wirre Märchenkönig einen heutigen Psychiater aufsuchen würde, dann lautete dessen Diagnose vermutlich schizotype Persönlichkeitsstörungen. Professor Förstl: Ludwig II. erfüllte sechs von neun Kriterien, welche die Weltgesundheitsorganisation in der Krankheitsklassifikation ICD-10 für diese Störung festgelegt hat. Krankhaft war erstens der unangepasste und eingeengte Affekt Ludwigs II. Seine Mitmenschen beschrieben ihn als kalt und unnahbar. Zweitens seine Exzentrizität – der Märchenkönig hatte eine krankhafte Neigung zu Posen und ungewöhnlichen Ritualen. Dazu kam drittens der zunehmende soziale Rückzug. Im letzten Lebensjahr hatte Ludwig II. nur noch Kontakt zu seinen Lakaien, denen er – viertes Kriterium – krankhaft misstraute und die er drangsalierte. Die Diener wurden einem entwürdigenden chinesischen Hofzeremoniell unterworfen und bei der geringsten Abweichung hart bestraft. Für Professor Förstl war dies Folge des – fünftes Kriterium – zwanghaften Grübelns ohne inneren Widerstand des Monarchen, das oft mit aggressiven Inhalten einherging. Als sechstes Kriterium erkennt Professor Förstl in den Briefen Ludwigs ein vages, gekünsteltes und oft stereotypes Denken. Damit ist die Diagnose ziemlich sicher, denn der ICD-10-Katalog fordert nur vier der neun Merkmale. Auch für zwei weitere Kriterien, magisches Denken und ungewöhnliche Wahrnehmungsinhalte mit Körpergefühlsstörungen, hat Prof. Förstl Hinweise in den Quellen gefunden, die aber nicht ganz passen. Illusionen oder Halluzinationen, ein wichtiges Kennzeichen der voll ausgeprägten Schizophrenie, hatte Ludwig II. nach Quellenlage jedoch nicht, berichtet Professor Förstl, der deshalb nur eine schizoide Persönlichkeitsstörung diagnostizierte.

Frontotemporale Degeneration

Oder war Ludwig II. gar nicht (nur) psychiatrisch krank? Der Bericht von der Leichenschau zwei Tage nach dem Tod Ludwigs II. enthält nämlich Hinweise auf eine organische Hirnkrankheit. Die Pathologen beschrieben – neben den Spätfolgen einer Hirnhautentzündung, die Ludwig II. wohl als Kind hatte – sehr akribisch die zurückgebildeten Hirnrinden im Bereich des Stirnhirns. Professor Förstl erkennt hier die typischen Zeichen einer frontotemporalen Degeneration – eine entfernt mit dem Morbus Alzheimer verwandte Demenz: Typisch für diese Erkrankung ist ein Persönlichkeitswandel mit Verlust von Selbstkritik und Einsicht sowie von sozialer Wahrnehmung, geistiger Rigidität und ungebremster Impulsivität, aber auch emotionaler Abstumpfung und Rückzug. Auch diese Beschreibung träfe gut auf Ludwig II. zu. sp/pm

• Quelle: R. Hacker et al.: Ludwig II. von Bayern – schizotype Persönlichkeit und frontotemporale Degeneration? DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2007; 132 (40): S. 2096-2099

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