Gastkommentar

Staatlicher Zugriff

Im Oktober schlägt eine Schicksalsstunde für das deutsche Gesundheitswesen: Zum ersten Mal gibt es für die GKV einen staatlich festgesetzten Einheitsbeitragssatz. Ab 2009 werden diese Beiträge in einen Fonds eingespeist, aus dem die Krankenkassen Zuweisungen je Versicherten und Morbidität nach dem 80 Krankheiten-Schlüssel erhalten.
Dr. Andreas Lehr
Gesundheitspolitischer Fachjournalist

Schon im Gesetzgebungsverfahren für das GKV-WSG, das die rechtlichen Grundlagen für die Umwälzungen Richtung Gesundheitsfonds gelegt hat, haben viele Player des Systems massiv vor staatlicher Beitragsfestsetzung und vor dem Fonds gewarnt. Das Schreckenswort „Staatsmedizin“ wurde wie ein Menetekel an die Wand gemalt. Wie das bei Menetekeln eben einmal so ist, werden sie leider allzu oft Realität – auch im Gesundheitswesen. Die verantwortlichen Politiker haben den Vorwurf der Staatsmedizin weit von sich geschoben und vehement auf den neuen Qualitätswettbewerb zwischen den Leistungserbringern verwiesen. Und den sollen die Kassen in Gang bringen. Soweit die Theorie. Aber gibt es nicht weitere Anzeichen, die auf mehr staatlichen Einfluss deuten? So wurden die zusätzlichen Finanzvolumina für die niedergelassenen Ärzte in der Honorarreform zwischen BMG, Kanzleramt und bayerischer Staatsregierung ausgehandelt, ebenso wird die Budgeterhöhung für die Krankenhäuser festgesetzt. Der direkte staatliche Einfluss geht also inzwischen bis in Details der Finanzierung. Wer glaubt, er bleibe außen vor, dürfte sich getäuscht haben. Auch GOZ und GOÄ werden viel mehr politischem Kalkül als jemals zuvor unterliegen, viel mehr, als viele es wahrhaben wollen. Das alles sind nur weitere Mosaiksteine in einem großen Relief.

Wer glaubt, weil es doch jetzt zum Vorteil für die niedergelassenen Ärzte und die Krankenhäuser gereicht hat, das müsse immer so sein und frohlockt, der muss sich darüber im Klaren sein, dass es ihm ebenso irgendwann zum Nachteil erwachsen kann. Je nach politischer Konstellation wird in der nächsten Legislaturperiode dann noch der starke Arm des Staates in Form der Bürgerversicherung auf Leistungserbringer und Kassen zugreifen. Was jetzt kommt, ist wahrscheinlich nur ein Vorgeschmack. Auch im Prämienmodell wird die Politik nicht auf die jetzt geschaffenen Einflusssphären verzichten wollen. Und Nischen, auch die der Zahnärzteschaft, wird es nicht mehr geben. Schon jetzt zeigen sich weitere Gefahren des neuen Modells.

Beitragsfestsetzung hat nicht nur die sachliche Komponente der Kostendeckung beim Fondsstart für die Krankenkassen. Sicher wird auch die Begrenzung der Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent eine Rolle spielen. Wäre ein Beitrag mit allen politisch induzierten Steigerungen von um die 15,9 Prozent realistisch, so wird er wohl kaum 15,9 Prozent betragen. Sonst hätte die Politik den Schwarzen Peter für die enormen Steigerungen, weil sie mit der Fondseinführung zusammenfallen. Aber alles, was deutlich niedriger ist, dürfte für etliche Krankenkassen zu ernsten Problemen aufwachsen.

Wie sich der Morbi-RSA in der Praxis auswirkt, muss abgewartet werden. Da könnte es finanzielle Engpässe geben. Zudem wird in zwölf Tranchen abgerechnet, die Krankenkassen haben aber in bestimmten Monaten Ausgabenpeaks. Und die Schwankungsreserve, Ausweg bei allgemeinen Unwägbarkeiten, muss erst aufgebaut werden und ist doch schon politisch für die Unwägbarkeiten der Konvergenzklausel so gut wie halb verfrühstückt. Deshalb befürchten einige Funktionäre der Leistungserbringer, dass sie am Ende die Leidtragenden sind, dass die Krankenkassen schlicht die Rechnungen nicht oder nur verspätet zahlen können.

Die Umstellung eines so komplexen Systems birgt Unwägbarkeiten, die offensichtlich andere als die Politik ausbaden müssen. Eine evolutionäre Entwicklung – wenn man denn gegen jede Erfahrung mehr staatlichen Einfluss will – hätte vieles abgefedert. Neujustierungen sind bei veränderten Umständen, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen notwendig, und kein Goldesel gehört einem Einzelnen oder einer Gruppe auf ewig. Aber es muss den Beteiligten die Möglichkeit gegeben werden, sich auf die Konsequenzen, auch die wirtschaftlichen Konsequenzen einzustellen. Unglücklicherweise sind gerade Sozial- und Bildungspolitik beliebte Felder für ideologiebasierte Experimente.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber

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