Nordeuropäischer Gesundheitskongress in Kiel

Von Chancen und Risiken einer Gemeinschaft

Die Teilnehmer des ersten nordeuropäischen Gesundheitskongresses in Kiel waren sich einig: Für die Gesundheitsberufe bietet Europa nicht nur Risiken, sondern auch jede Menge Chancen. Zahnärzte an der Grenze zu Dänemark etwa profitieren schon seit Jahren davon, wie der Kongress der Zahnärztekammer und der Europa-Union Schleswig-Holstein zeigte.

Professor Dr. Wolfgang Sprekels kennt alle Vorurteile über die Europäische Union. Der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und des Council of European Dentists konnte in Kiel aber auch Beispiele nennen, weshalb sich Zahnärzte intensiv mit Europa beschäftigen sollten. Etwa, weil ein beträchtlicher Teil der Gesetze durch Brüssel be- oder mitbestimmt wird.

Unverzichtbar ist nach Ansicht des Hamburger Kammerpräsidenten deshalb die Lobbyarbeit der Zahnärzte in Brüssel. Als Beispiel nannte er die von den Zahnärzten erreichten Veränderungen an der Dienstleistungsrichtlinie. Dabei gelang es den Heilberufen, das Bestimmungslandprinzip durchzusetzen. Obwohl alle EU-Mitgliedstaaten laut Richtlinie die in anderen Mitgliedsländern erworbenen Berufsausübungsvoraussetzungen anerkennen, wurden für „sensible Bereiche“ wie etwa zahnärztliche Berufe Mindeststandards festgesetzt. Damit kann der aufnehmende Staat entscheiden, ob ihm die Qualifikation eines Zahnarztes für eine Niederlassung in seinem Land ausreicht.

Ein anderes Beispiel für erfolgreiche Lobbyarbeit der Zahnärzte ist die Diskussion um Amalgam. Der in Deutschland schon vor Jahren öffentlich ausgetragene Streit drohte jüngst über einige andere europäische Länder die ganze EU zu erfassen. Die deutschen Zahnärzte konnten nun ihre Erfahrungen aus der früheren Debatte einbringen. Damit gelang es ihnen, das für Zahnärzte leidige Thema vergleichsweise geräuscharm zu beenden.

Was aber haben Zahnärzte außerdem von Europa? Schleswig-Holsteins Kammerpräsident Hans-Peter Küchenmeister nannte die Chancen. So können deutsche Zahnärzte auf andere Länder verweisen, in denen zahnärztliche Forderungen schon umgesetzt sind – und die damit als Vorbild für Deutschland dienen können. Dr. K. Ulrich Rubehn, Vorstand für Gebührenrecht, machte dies am Beispiel Bürokratieabbau deutlich: Für eine Leistung muss er in Deutschland 13 Formulare in seiner Praxis ausfüllen, während sein spanischer Kollege für die identische Leistung mit einem Blatt Papier auskommt.

Küchenmeister verwies auf Fortschritte bei der Kostenerstattung in der europäischen Gesetzgebung. Er ging auf den im Sommer vorgelegten Richtlinienbeschluss der Europäischen Kommission zu den Rechten der Patienten bei Auslandsbehandlungen ein – der sich übrigens weitgehend mit den jahrelangen Vorschlägen der deutschen Zahnärzteschaft deckt.

Danach können sich EU-Ausländer ohne vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse behandeln lassen. Die Kosten bekommen die Patienten bis zu der Höhe erstattet, die deren Kassen für eine Behandlung in ihrem Heimatland übernommen hätten – die Differenz tragen die Patienten selbst. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie in Deutschland einen Privatzahnarzt oder einen Kassenzahnarzt aufsuchen.

Was für Ausländer möglich ist, wünschen sich die Zahnärzte auch für ihre deutschen Patienten. Gesetzlich Krankenversicherte aus Deutschland bekommen ihre Kosten nicht von der Krankenkasse erstattet, wenn sie sich von einem deutschen Privatzahnarzt behandeln lassen. „Die angestrebte europäische Freizügigkeit wird inländischen Bürgern in Deutschland bislang verwehrt“, kritisierte Küchenmeister. Er sieht damit deutsche Patienten und Privatzahnärzte benachteiligt – eine „doppelte Diskriminierung“. Küchenmeister forderte deshalb eine Gesetzesinitiative zur vereinfachten Behandlung auf Kostenerstattungsbasis: „Ziel muss sein, dass deutsche Patienten in Deutschland die gleichen Wahlfreiheiten erhalten wie Holländer, Spanier und Dänen.“

Andrang in der Grenzregion

Zumindest beim CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Rolf Koschorrek rannte er damit offene Türen ein. Der Zahnarzt aus Bad Bramstedt betonte ebenfalls die Chancen, die Europa seinen Kollegen bietet. Bestätigt fühlte er sich als Zuhörer auf der Tagung durch den Bericht seines Flensburger Kollegen Kay Einfeldt, der über den starken Andrang dänischer Patienten in deutschen Zahnarztpraxen in der Grenzregion berichtete. Einfeldt kann an jedem Arbeitstag drei bis vier neue Patienten aus dem Nachbarland in seiner Praxis begrüßen. Damit verbunden sind deutliche Umsatzsteigerungen und neue Arbeitsplätze in der Praxis.

Ein höheres Risiko für die Patienten

Grund für den hohen Andrang: Die Dänen schätzen die qualitativ hochwertige Versorgung zu Preisen, die deutlich unter denen in ihrem Heimatland liegen. Über mögliche Differenzen zu dänischen Kollegen sagte Einfeldt: „Wir bilden uns nicht ein, dass unsere Leistungen besser sind als die unserer dänischen Kollegen. Aber unser Ruf ist bei den Dänen sehr gut.“ Allerdings bieten Praxen wie die von Einfeldt auch guten Service. Fast jede Mitarbeiterin kann sich auf dänisch verständigen. Einfeldt stellte auch klar, dass deutsche Patienten in seiner Praxis nicht unter dem Andrang aus dem Ausland leiden dürfen – Folge war eine Personalaufstockung.

Es wurden aber nicht nur die für deutsche Zahnärzte positiven Seiten des europäischen Gesundheitsmarktes aufgezeigt. Küchenmeister erinnerte daran, dass ein geringes Lohn- und Ausbildungsniveau in manchen Ländern auch für eine Qualitätsminderung sorgen kann. Bei Nachbesserungen kann es für Patienten dann schwer sein, berechtigte Forderungen gegenüber einem Zahnarzt im Ausland durchzusetzen. „Letztlich geht der Patient damit ein höheres Risiko ein“, warnte Küchenmeister. Er empfahl den Patienten, dieses höhere Risiko im Vergleich zur wohnortnahen Versorgung genau abzuwägen.

Dirk Schnack

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