Ein Fallbericht

Autogene Milchzahntransplantation

195791-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin
Die autogene Milchzahntransplantation ist eine relativ unbekannte Methode des Einzelzahnersatzes, die erstaunlich gute klinische Ergebnisse liefert. Sie hat ihre Indikation als temporärer Platzhalter bei jugendlichen Patienten in der Wechselgebissphase mit traumatisch erworbenen oder durch Nichtanlage bedingten Zahnlücken im Oberkieferfrontzahnbereich, wie der Fallbericht einer jungen Patientin zeigt.

Eine zehnjährige Patientin wurde uns von der Kieferorthopädin zur Wertung von möglichen chirurgischen Maßnahmen bei multiplen Nichtanlagen der Zähne 14, 13, 12, 22, 23, 24, 25, 45 vorgestellt (Abbildung 1 A-D). Aufgrund des Vorhandenseins der Milchzähne 73 und 83 sowie eines im Unterkiefer angelegten Zahnes 35 bei nicht angelegten Zähnen 12 und 22 sowie 24 und 25 empfahlen wir bei Vorhandensein von jeweils einem Prämolaren in den Quadranten I und IV das folgende chirurgische Vorgehen: Transplantation des Zahnes 35 nach 025, Transplantation des Milchzahnes 73 nach 022 und Transplantation des Milchzahnes 83 nach 011 (Abbildung 2).

In Rücksprache mit der Kieferorthopädin sollte zunächst das Diastema in regio 11/21 beseitigt werden, um so Platz für die Milchzähne in der 2er-Region beidseits zu schaffen. Aufgrund der Nichtanlage von zwei Prämolaren im Oberkiefer links entschieden wir uns für die Transplantation des Zahnes 35 in Region 025, so dass in allen Quadranten postoperativ jeweils ein Prämolar vorhanden sein würde. Nach kieferorthopädischer Vorarbeit konnte dann fünf Monate später der geplante Eingriff in allgemeiner Anästhesie durchgeführt werden. Abbildung 2 fasst die chirurgische Planung mit den Schritten 1. bis 4. wie folgt zusammen: 1. Zunächst sollte das Diastema mediale von der behandelnden Kieferorthopädin möglichst geschlossen werden, um so ausreichend Platz für die beiden Transplantate in regio 012 und 022 zu schaffen.

2. Bei der später stattfindenden Operation wurden die bereits anresorbierten Milchmolaren 55, 54, 64, 65, 74 und 75 sowie 84 und 85 entfernt.

3. Die zu transplantierenden Milchzähne 73 und 83 sowie

4. der noch tief retinierte Zahn 35 wurden schonend entfernt und an die vorgesehenen Stellen in regio 012, 022 sowie 025 transplantiert. Die Abbildung 3 zeigt das postoperative Ergebnis der drei autogenen Transplantationen klinisch (A bis C) und röntgenologisch (D).

Die Zähne wurden anschließend semirigide durch eine Titan-Kunststoff-Schiene fixiert.

Die Nahtentfernung erfolgte am siebenten postoperativen Tag, die vollständige Entfernung der Schiene fand dann nach weiteren drei Wochen statt. Die Abbildung 4 (A und B) zeigt die klinische Situation sechs Wochen nach autogener Transplantation.

Die Zähne wurden bei den regelmäßigen Nachsorgen fluoridiert und die Patientin in die weitere kieferorthopädische Therapie entlassen. Als Empfehlung wurde ausgesprochen, die transplantierten Zähne frühestens drei Monate nach Transplantation mit lediglich der halben Kraft der sonst üblichen Kräfte zu bewegen.

Die inzwischen zwölf Jahre alte Patientin stellte sich erneut im Februar 2008, also 1,5 Jahre nach dem Eingriff, zur Kontrolle bei uns vor. Die Zähne stellten sich klinisch reizlos und ohne Lockerungsgrad (Abbildungen 5 A bis D) oder fortschreitende Resorptionszeichen (Abbildung 6) dar. Im Bereich des transplantierten Zahnes 25 ist es zu einem klinisch signifikanten Zuwachs des Alveolarknochens sowohl in der horizontalen als auch vertikalen Dimension gekommen (Abbildung 6). Dieser Knochenzuwachs ist nahezu vergleichbar mit dem auf der gesunden Seite im I. Quadranten, wo es durch den natürlichen Zahndurchbruch des Zahns 15 zu einer ähnlich guten Alveolarfortsatzknochenbildung gekommen ist.

Diskussion

Die autogene Milchzahntransplantation stellt eine Methode dar, die in der Literatur kaum Erwähnung findet. Wissenschaftlich fundierte Zahlen zur Erfolgsrate der autogenen Milchzahntransplantation liegen aufgrund der geringen Fallzahlen in der Literatur nicht vor, wie dies etwa bei der autogenen Transplantation von bleibenden Zähnen der Fall ist [Natiella et al, 1970; Nolte et al., 2006]. Es finden sich aktuell lediglich Fallberichte, wie der hier vorgestellte, in denen über die zum Teil guten Erfolge dieser Methode berichtet wird [Pohl, 2001; Butz, 2008; Sönmez, 2008]. Als besonders geeignet für den Eingriff gelten die unteren Milch eckzähne [Schafigh, 2005]. Nach unseren klinischen Erfahrungen kann bei Nichtanlage oder Verlust von bleibenden oberen Schneidezähnen die für die Entwicklung des Kieferknochens wichtige Zeit vom 10. bis 14. Lebensjahr mit der Technik der autogenen Milchzahntransplantation als temporärer Lückenfüller erfolgreich überbrückt werden. Dies erscheint vollkommen ausreichend, um diese wichtige Wachstumsphase der Kiefer in der Entwicklung physiologisch zu stimulieren und dem Kind dadurch eine schleimhautgetragene Prothese mit all ihren psychischen Belastungen sowie ungünstigen Auswirkungen auf das Kieferwachstum in dieser Zeit zu ersparen. Durch das Wegfallen einer schleimhautgetragenen Prothese ist der Gewinn an Lebensqualität für die kleinen Patienten sehr hoch. Die Zustimmung der Patienten sowie derer Eltern kann daher als ausgezeichnet bezeichnet werden, sodass der Eingriff auch bei vorzeitigem Verlust der Milchzähne immer mit einer Verbesserung der knöchernen Verhältnisse verbunden sein wird. Die Morbidität der kleinen Patienten ist insgesamt als gering einzustufen. Der psychologische Effekt auf die Kinder und ihre Eltern kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Intention dieses Artikels war es, auf die Methode der autogenen Milchzahntransplantation aufmerksam zu machen, da sie insbesondere bei jugendlichen Patienten mit Nichtanlagen oder traumatischem Verlust von Zähnen eine bewährte Technik des Zahnersatzes darstellt, um den Kindern in der Zeit vom 10. bis zum 14., möglicherweise auch bis zum 16. Lebensjahr eine schleimhautgetragene Prothese zu ersparen. In dem hier vorgestellten Fall sind die Milchzähne seit 1,5 Jahren in situ und haben zu einem beachtlichen Knochenanbau sowohl in der horizontalen als auch vertikalen Dimension beigetragen, was die osteoinduktiven Eigenschaften dieser Methode unterstreicht. Das zum Beispiel bei Nichtanlagen ausbleibende Alveolarfortsatzwachstum kann durch autogene Zahntransplantate, seien es bleibende Zähne oder Milchzähne, sehr wohl stimuliert werden (Abbildung 6). Je nach zeitlichem Verlauf der Resorption der transplantierten Milchzähne kann dann später im Alter von 14 bis 16 Jahren mit der Implantation begonnen werden, ohne dass ein aufwendiger Knochenaufbau notwendig wird, der in der Regel ohnehin die prognostisch ungünstige Technik der Auflagerungsosteoplastik verlangt.

Fazit

Jeder kieferorthopädisch tätige Zahnarzt oder Facharzt für Kieferorthopädie sollte das chirurgische Armamentarium der autogenen Zahntransplantation kennen und in sein kieferorthopädisches Planen und Handeln mit einfließen lassen. Bei noch ausgereiften Wurzeln der Milcheckzähne stellen diese vier Zähne ein ausgezeichnetes Reservoir zum Ersatz von nicht angelegten Schneideund Eckzähnen, gegebenenfalls auch Prämolaren, dar. Nach Verlust der Milchzähne kann an deren Stelle später die enossale Implantation ohne die Notwendigkeit größerer augmentativer Verfahren erfolgen.

Entscheidend ist das frühzeitige Erkennen von nicht angelegten Zähnen, da die Technik der autogenen Milchzahntransplantation nur innerhalb des Zeitfensters vor der vollständigen Resorption der Milch-Eckzähne (also etwa bis zum 10. Lebensjahr) zur Verfügung steht.

Die Anwendung der autogenen Milchzahntransplantation wird in jedem Falle eine Verbesserung des knöchernen Lagers mit sich bringen. Während dieser Zeit bleiben den Kindern lästige schleimhautgetragene Apparaturen erspart, was wiederum eine hohe Akzeptanz bei Eltern und betroffenen Kindern zur Folge hat.

Zusammenfassung

Die autogene Milchzahntransplantation ist eine relativ unbekannte Methode des Einzelzahnersatzes, die erstaunlich gute klinische Ergebnisse liefert. Sie hat ihre Indikation als temporärer Platzhalter bei jugendlichen Patienten in der Wechselgebissphase mit traumatisch erworbenen oder durch Nichtanlage bedingte Zahnlücken im Oberkieferfrontzahnbereich. Die klinische Anwendung dieser Methode ist damit entscheidend abhängig vom Zeitfenster, in dem der jugendliche Patient beim Zahnarzt, Kieferorthopäden oder Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen vorstellig wird. Besonders geeignet als autogene Milchzahntransplantate sind die unteren Milchdreieckzähne. Die frühzeitige Erkennung von Nichtanlagen (wie obere laterale Incisivi) und die möglichst zeitnahe Transplantation der Milchdreieckzähne vor deren vollständiger Wurzelresorption sind dabei von entscheidender Bedeutung. Jeder kieferorthopädisch tätige Zahnarzt sowie Facharzt für Kieferorthopädie sollte diese chirurgische Technik in seinem differenzial - therapeutischen Armamentarium für seine Patienten parat halten.

Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dirk NolteDr. med. Dr. med. dent. Robert LinsenmannPraxisklinik für Mund-, Kiefer- und PlastischeGesichtschirurgieSauerbruchstr. 4881377 Münchendirk.nolte@mkg-praxisklinik.com

Tilman KnöblVogelsangstraße 2982178 Puchheim

Dr. med. dent. Antje KrauseKieferorthopädische PraxisSteinkirchnerstr. 2881475 München

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