Neuerungen und Widersprüche anhand einer Falldarstellung

Die dentogen induzierte Endokarditis

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In den letzten Monaten haben sich die Empfehlungen für eine dentogene Endokarditisprophylaxe verändert. Die American Heard Association hat ein Papier herausgegeben, in dem sie die Antibiosegabe auf Hochrisikopatienten reduziert hat. Dieser Empfehlung haben sich auch die Deutschen Fachgesellschaften angeschlossen. Der vorliegende Beitrag stellt nun die Neuerungen und Widersprüche anhand einer Falldarstellung vor. Denn diese Problematik ist für die Kollegen in niedergelassener Praxis ein Alltagsproblem und könnte unter Umständen rechtliche Folgen haben.

Unter einer Infektiösen Endokarditis (IE) versteht man eine Infektion des Endokards durch Mikroorganismen, meist in Form von Bakterien oder Pilzen. 1908 wurde erstmalig von Horder ein Zusammenhang zwischen oralen Bakterien und einer IE beschrieben [Horder, 1905]. Zudem wurde gezeigt, dass es im Rahmen von zahnärztlichen Eingriffen zu Bakteriämien kommen kann [Heimdahl et al., 1990; Moreillon und Que, 2004; Rahn et al., 1986, 1987 a, b]. Daraus und aus der Beobachtung, dass es prädisponierende Faktoren für eine IE gibt, entwickelte sich die Hypothese, dass eine antimikrobielle Prophylaxe im Rahmen zahnärztlicher Eingriffe die Entstehung von Endokarditiden wirksam verhindern kann.

Bisher kaum Beachtung gefunden hat die Tatsache, dass die Wirksamkeit der Endokarditisprophylaxe für den Menschen nicht zweifelsfrei nachgewiesen worden ist [Ashrafian, 2007]. Klassische evidenzbasierte Daten im Sinne einer prospektiven, randomisierten Studie zur Endokarditisprophylaxe existieren nicht. Effizienz und Effektivität einer breiten Prophylaxe wurden in den letzten Jahren daher immer häufiger infrage gestellt [Ashrafian, 2007; Brincat, 2006; Duval et al., 2006; Oliver et al., 2004, Seymour, 2000].

Nach konsequenter Neubewertung der vorliegenden Evidenz haben zunächst die British Society of Antimicrobial Chemotherapy (BSAC) im Jahr 2006 [Gould et al., 2006 und im Jahr 2007 auch die AHA Wilson et al., 2007], sowie die deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) [Naber et al., 2007] neue Leitlinien veröffentlicht (Tabellen 1 und 2).

Der eigentliche Wandel der Anschauung liegt im Vergleich zu den alten Leitlinien darin, dass sowohl die Britischen, als auch die Amerikanischen und Deutschen Leitlinien der täglichen, kumulativen Bakteriämie und dem schlechten Zahnstatus eine größere Bedeutung beimessen. Demnach ist mit Hinblick auf eine effektive Prophylaxe der Reduktion kumulativer Bakteriämien durch Verbesserung des oralen Hygienestatus mehr Bedeutung zu schenken, als der einmaligen Gabe eines Antibiotikums vor zahnärztlicher Behandlung. Wir präsentieren eine Falldarstellung, in welcher eine dentogen induzierte Endokarditis vermutlich auf dem Boden einer kumulativen Bakteriämie bei desolatem Zahnstatus entstanden ist.

Fallbericht

Wir berichten über einen 34-jährigen Patienten mit Mitralklappenendokarditis. Die Diagnose einer definitiven Endokarditis wurde alio loco anhand der modifizierten Duke-Kriterien [Li et al., 2000] gestellt. Bei dem Patienten fanden sich, bei vorbestehendem Mitralklappenprolaps mit begleitender Insuffizienz II-III. Grades (Nebenkriterium), Vegetationen an der Mitralklappe (Hauptkriterium), zudem berichtete der Patient über seit vier Monaten rezidivierende Fieberschübe von >38,5°C (Nebenkriterium) und einen Gewichtsverlust von über 20 kg. In der Blutkultur fand sich Actinobacillus actinomycetemcomitans (AA) (Nebenkriterium), ein typischer oraler Erreger.

Die Überweisung des Patienten in unsere Poliklinik erfolgte, bei ansonsten ergebnisloser Fokussuche, aufgrund des Erregernachweises bei desolatem Zahnstatus zur Abklärung eines dentogenen Fokus.

Der Patient stellte sich mit einer laufenden Antibiotikatherapie, bestehend aus Ceftriaxon 2 g 1/d i.v., Gentamycin 160mg 1/d i.v., Doxycyclin 100 mg p.o. und Rifampicin 300 mg 3/d p.o. vor.

Die letzte zahnärztliche Behandlung wurde mehr als ein Jahr vor Auftreten der Endokarditis durchgeführt, so dass ein unmittelbarer Zusammenhang zu einer zahnärztlichen Behandlung ausgeschlossen scheint. Intraoral zeigte sich ein desolater Zahnstatus mit generalisierten harten und weichen Belägen (Abbildung 1).

Kariöse Läsionen fanden sich an den Zähnen 16, 14, 12, 11, 21, 22, 24, 25, 36, 44, 45, 46 und 47. Ebenso wurde eine generalisierte Parodontitis marginalis profunda diagnostiziert.

Es fehlten die Zähne 18, 15, 28, 37, 35 und 48. Ein alio loco angefertigtes Orthopantomogramm (OPG) (Abbildung 2) zeigt neben einem generalisierten horizontalen Knochenabbau periapikale, scharf begrenzte Aufhellungen an den Zähnen 22, 36 und 46. In einer Zahnfilmaufnahme 46/47 zeigt sich eine periapikal scharf begrenzte Aufhellung an 46, in welche sich eine intraradikuläre Verschattung in Form einer Wurzelfüllung nach Wurzelspitzenresektion projiziert (Abbildungen 3 a und b). In Stand-by- und Lokalanästhesie wurden nach Entfernung der oberflächlichen harten und weichen Beläge die Zähne 16, 14, 12, 11, 21, 22, 36, 46 und 47 in zwei Sitzungen extrahiert. Aus den Regionen 16, 12, 22 und 46 wurden praeoperativ Sulkusflüssigkeiten für einen DNS-Sondentest mittels steriler Papierspitzen (Meridol DNS-Sondentest, GABA GmbH, Lörrach, Deutschland) entnommen und auf Markerkeime mikrobiologisch untersucht (MDS Pharma Services Switzerland AG, Fehraltorf, Schweiz). Aus Regio 16 wurde nach Zahnentfernung bei nachgewiesener Mund-Antrumverbindung (MAV) ein Abstrich aus dem rechten Sinus maxillaris zwecks mikrobiologischer Untersuchung entnommen (Institut für Hygiene und Mikrobiologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz). Weichgewebe aus den periapikalen Regionen 16, 14, 12 und 46 wurden post extractionem histopathologisch untersucht (Institut für Pathologie, Johannes Gutenberg- Universität Mainz, Deutschland). Die Extraktionswunden wurden mittels resorbierbarer Nähte adaptiert und mit einer Verbandplatte für drei Tage schützend abgedeckt. Die MAV 16 wurde vorher mit einer Rehrmannplastik gedeckt. Aufgrund der Gefahr eines akuten Mitralklappenabrisses und der bestehenden Bakteriämie war eine weitere stationäre Behandlung unter Fortführung der oben angegebenen polyantibiotischen Medikation erforderlich. Diese wurde für vier Wochen weiter durchgeführt.

AA wurde in den Sulci 12, 22 und 46 nachgewiesen. Eine Aspergillose des rechten Sinus konnte ausgeschlossen werden. Histopathologisch konnte in den Regionen 14, 12 und 46 jeweils eine infizierte, radikuläre Zyste mit florider und granulierender Entzündung nachgewiesen werden. Es besteht bei dem beschriebenen Fall der dringende Verdacht einer dentogenen Ursache im Sinne einer Parodontitis marginalis, obwohl keine direkte zahnärztliche Behandlung vorangegangen ist. In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie fragwürdig eine einmalige Antibiotikaprophylaxe bei einem zahnärztlichen Eingriff ist, wenn es mundhygienebedingt zu regelmäßiger Bakteriämie kommt. Die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung einer guten Mundhygiene im Sinne einer Endokarditisprophylaxe stellt sich hier als zentrale Maßnahme dar.

Diskussion

Die infektiöse Endokarditis ist trotz niedriger Inzidenz nicht zuletzt aufgrund der Schwere des Krankheitsverlaufs eine ernst zu nehmende Erkrankung [Berlin, 1995; Hoen, 2006; Horstkotte, 1999; Naber et al., IJAA, 2007]. Obwohl sich das Keimspektrum von Streptokokken hin zu Staphylokokken gewandelt hat, wird der Mundhöhle als mögliche Eintrittstelle potenziell pathogener Keime nach wie vor eine wichtige Rolle zugesprochen [Moreillon und Que, 2004]. Die Angaben zur Inzidenz dentogen induzierter IE schwanken zwischen 4 Prozent und 64 Prozent [Bennis et al., 1995; Guntheroth, 1984; Gendron et al., 2000]. Ein wichtiger Grund für diese hohe Varianz liegt nach Meinung der Autoren darin, dass unter dentogenen Endokarditiden meist nur diejenigen Berücksichtigung finden, die unmittelbar im (zeitlichen) Zusammenhang mit zahnärztlichen Behandlungen stehen. Die Zahl der Endokarditiden, die wie in unserer Falldarstellung durch chronische Infektionen im Kieferbereich, wie Parodontitiden oder apikale Ostitiden, spontan entstehen und somit ebenfalls dentogener Herkunft sind, werden aufgrund des nur schwer zu erzielenden Nachweises oft nicht als solche erkannt.

Es ist heute allgemein anerkannt, dass in den meisten Fällen von IE keine invasiven Maßnahmen vorausgehen [Durack, 1994; Dajani et al., 1997].

Da die Grundvoraussetzung zur Entstehung einer IE das Eindringen von potenziell pathogenen Mikroorganismen in die Blutbahn ist, haben diverse Studien zahnärztliche Behandlungen auf ihr Risiko hin untersucht, eine Bakteriämie zu verursachen [Debelian et al., 1992, 1995, 1996; Heimdahl et al., 1990; Roberts, 1997; Roberts et al., 2000; Savarrio et al., 2005].

Am risikoreichsten gilt nach wie vor die Manipulation der marginalen beziehungsweise sulculären Gewebe. Im Bezug auf das Risiko der Bakteriämie zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab, weg von dem einmaligen Geschehen als besonderes Risiko hin zu der Theorie, dass vor allem kumulative Bakteriämien – wie sie durch tägliche Maßnahmen, wie Mastikation und Zähneputzen, entstehen – ein viel größeres Risiko zur Auslösung einer IE ausgeht, als der einmalige zahnärztliche Eingriff an sich [Gould et al., 2006]. Roberts konnte diesbezüglich nachweisen, dass durch tägliche Mastikation und Hygienemaßnahmen entstehende Bakteriämien rund 106-fach größer sein können, als solche, die zum Beispiel durch Extraktion entstehen können [Roberts, 1999]. Eine logische Konsequenz daraus ist, dass der zahnmedizinischen Prophylaxe im Sinne der Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung einer optimalen Mundhygiene, wie durch professionelle Zahnreinigungen, insbesondere bei Patienten mit Prädisposition eine immer größere Bedeutung zur Prophylaxe einer IE zugesprochen wird.

Die Wirksamkeit einer antibiotischen Prophylaxe ist ohnehin bisher nicht nachgewiesen worden [Ashrafian, 2007; Brincat, 2006; Duval et al., 2006; Oliver et al., 2004; Seymour, 2000]. Dementsprechend werden die Wirksamkeit und der Nutzen der antibiotischen Prophylaxe kontrovers diskutiert [Oliver et al., 2004; Duval et al., 2006].

Grund dazu liefern nicht nur Berichte über ein Versagen der antibiotischen Prophylaxe [Durack et al., 1983; Denning et al., 1984; Green und Haisch, 1988; van der Meer et al., 1992 a,b] und die Überlegung, dass durch eine einmalige Antibiose das Risiko der Resistenzbildung erhöht ist. Es wird sogar vermutet, dass die Gefahr, im Gefolge einer antibiotischen Endokarditisprophylaxe an einer anaphylaktoiden Reaktion zu versterben, etwa fünfmal größer ist, als an den Folgen einer IE durch unterlassene antibiotische Prophylaxe [Bar und Himmelstein, 1984]. Duval et al. untersuchten diesbezüglich in einer groß angelegten epidemiologischen Studie das geschätzte Risiko zur Entstehung einer IE bei Patienten mit Prädisposition unter antibiotischer Prophylaxe im Vergleich zur unterlassenen Prophylaxe und kamen zu dem Entschluss, dass das Risiko, trotz antibiotischer Prophylaxe an einer IE zu erkranken, bei 1 : 150 000 liegt. Im Vergleich dazu liegt das Risiko ohne antibiotische Prophylaxe bei 1 : 46 000 [Duval et al., 2006]. Allerdings muss erwähnt werden, dass es sich bei diesen Werten um Schätzungen handelt.

Trotz antibiotischer Endokarditisprophylaxe bei Patienten mit Risiko zeigt sich eine unveränderte Inzidenz in der Entstehung von IE [Durack, 1994] beziehungsweise sogar steigende Tendenz [Hoen, 2005]. In tierexperimentellen Untersuchungen konnte an Primaten im Gegensatz dazu eine Wirksamkeit der antibiotischen Prophylaxe nachgewiesen werden, wobei sich solche Studien nicht einwandfrei auf die Spezies Mensch übertragen lassen.

Die BSAC hat 2006, die AHA und DGK 2007 (Tabellen 1und 2) neue Leitlinien zur Endokarditisprophylaxe bei zahnärztlichen Behandlungen veröffentlicht. Im Gegensatz zu allen anderen Leitlinien reduzieren sich die Empfehlungen zur antibiotischen Prophylaxe im Vergleich zu den vorherigen. Die Indikationsstellung zur Verordnung von Antibiotika wird härter gestellt, so dass ein sinnvolleres Risiko-Nutzen Verhältnis resultiert.

Die neuen Empfehlungen sind dahingehend bedeutsam, als zu vermuten ist, dass diese bald im angelsächsischen und später auch im deutschen Sprachraum als Standardregelung gelten werden. Der Paradigmenwechsel, nach dem der Aufrechterhaltung der Mundhygine zur Reduktion der transienten, täglichen Bakteriämie eine zentrale Bedeutung eingeräumt wird, kann zahnärztlicherseits nur begrüßt werden.

Dr. Sebastian KühlPD Dr. Ralf K.W. SchulzePoliklinik für Zahnärztliche ChirurgieUniversitätsklinik MainzAugustusplatz 2, 55131 MainzSebastiankuehl@web.de

PD Dr. Dr. Bilal Al-NawasKlinik und Poliklinik für Mund-, KieferundGesichtschirurgieUniversitätsklinik MainzAugustusplatz 2, 55131 Mainz

PD Dr. Christoph K. NaberKlinik für KardiologieWestdeutsches Herzzentrum EssenUniversitätsklinikum EssenHufelandstr. 55, 45122 Essen

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Situation

Antibiotikum

Antibiotikum

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Erwachsene

Kinder

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Orale Einnahme

Amoxicillina

2 g p.o.

50 mg/kg KG p.o.

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Penicillin- oder Ampicillinallergie– orale Einnahme

Clindamycinc, d

600 mg p.o.

20 mg/kg KG p.o.

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Penicillin- oder Ampicillinallergie– orale Einnahme nicht möglich

Clindamycinb, d

600 mg i.v.

20 mg/kg KG i.v.

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aPenicillin G oder V kann weiterhin als Alternative verwendet werden.

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bAlternativ Cefazolin, Ceftriaxon 1 g i.v. für Erwachsene bzw. 50 mg/kg i.v. bei Kindern.

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cAlternativ Cefalexin: 2 g p.o. für Erwachsene bzw. 50 mg/kg p.o. bei Kindern oder Clarithromycin 500 mg p.o. für Erwachsene bzw. 15 mg/kg p.o. bei Kindern.

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dCave: Cephalosporine sollten generell nicht appliziert werden bei Patienten mit vorange-gangener Anaphylaxie oder Urtikaria nach Penicillin- oder Ampicillingabe.

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