KZBV-Strategie-Workshop in Bad-Nauheim

Kollektiv bewahren, selektiv nutzen

Es war der dritte Strategie-Workshop, zu dem die KZBV eingeladen hatte: Mit kritischer Bestandsaufnahme über den Sachstand und daraus resultierenden Herausforderungen der jüngsten Gesundheitsreform erarbeiteten sich Vertreter aus KZBV und KZVen auch auf diesem Treffen in Bad Nauheim (25. bis 27. Juni) konkrete Maßgaben für die weitere Ausrichtung ihrer berufspolitischen Arbeit.

Der Blick zurück, den KZBV-Vorsitzender Dr. Jürgen Fedderwitz am Abend des 25. Juni für die KZV-Spitzen in einem Impulsvortrag präsentierte, war nicht ohne Genugtuung: Deutschlands Zahnärzteschaft habe sich mit ihrem auf Basis langfristiger Überzeugungsarbeit ausgehandelten und austarierten Misch-Konstrukt aus Sachleistung und Mehrkosten, aus Regelversorgung des Bema sowie gleich- und andersartigen Leistungen des Festzuschusssystems in den letzten Jahren gut im streng reglementierten Gesundheitswesen behaupten können. Im Bereich Zahnersatz sei dieser Spezialweg inzwischen von Gesundheitspolitik wie auch Krankenkassen akzeptiert, die Zahnärzte hätten ihn mit Disziplin umgesetzt.

Ein Grund für weitere Handlungsoptionen in Sachen „Festzuschüsse“? Der Blick nach vorn, von Fedderwitz beispielsweise im Bereich Parodontologie als diskutabel erachtet, wurde mit der zu erwartenden Ausrichtung der Gesundheitspolitik und deren Wettbewerbselement Selektivverträge abgeglichen, die möglichen Entwicklungen ausführlich diskutiert.

Der zahnärztliche Sonderweg

Das Ergebnis vorweg: KZBV und KZVen werden sich mit Konkretisierungen von Modellvorschlägen in dafür geeigneten Behandlungssektoren befassen. Fedderwitz brachte auch die von anderer Seite dafür vorherrschenden Ambitionen auf eine einfache und klare Grundwarte: „Die Krankenkassen wollen Leistungssteigerungen umsetzen, Patienten wollen schlicht Leistung und wenig Ärger.“ In diesem Umfeld werde sich zahnärztliches Handeln in den kommenden Jahren bewegen müssen.

Dass der zahnärztliche Sonderweg diesen Voraussetzungen gerecht wird, bestätigte auch der dieser Tage seine langjährige Tätigkeit als unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) der Zahnärzte und Krankenkassen beendende Jurist und Volkswirt Prof. Dr. Herbert Genzel. Auch wenn die Politik „in nächster Zeit an grundsätzlichen Dingen wohl kaum rütteln“ wolle, bestehe für den zahnärztlichen Bereich dennoch eine Aussicht auf Weiterentwicklung, „weil Eigenverantwortung und Beteiligung des Patienten hier zutreffen und sich rechtfertigen lassen“.

Das befundbezogene Festzuschusssystem habe sich bewährt, seine Anpassung und Fortschreibung erfolge, so der G-BA-Fachmann, „auf gesicherter Datengrundlage“. Da die Systematik der Patientenbeteiligung und der Pauschalierung von Leistungen generell zunehme, seien Deutschlands Zahnärzte hier auf dem richtigen Weg.

Kritik übte Genzel an der Neubesetzung des G-BA. Unter 15 Vertretern künftig nur noch einen Zahnarzt einzusetzen, schaffe „eklatant unausgewogene Verhältnisse“ – laut Genzel „ein grober Verstoß gegen die Prinzipien des Interessensausgleichs in der Selbstverwaltung“. Sein Resümee: „Die Ziele des Gesetzgebers in Hinblick auf Professionalisierung und Effizienz des G-BA werden mit der Reform nicht erreicht.“

Keine Schranken für Festzuschüsse

Um so mehr erfordere der berufsspezifische Blick, so stellten die Diskutanten in ihren Workshop-Beiträgen heraus, strategische Antworten und eine weitere Entwicklung der strukturellen Instrumente. Einhellig war man in der Einschätzung, dass dem von der Zahnärzteschaft entwickelten und erprobten Festzuschusssystem auch unter den aktuell von der Politik erneuerten wettbewerblichen Rahmenbedingungen keine Schranken auferlegt seien. Das Modell sei sowohl in der allgemein als vorrangig anzustrebenden Kollektivsystematik wie auch in einem Selektivvertragssystem einsetzbar.

Wichtig sei es, bei der Implementierung politische Allianzen zu schaffen, so KZBVVorstandsmitglied Dr. Wolfgang Eßer: „Wir müssen mit allen Politikern reden.“ Bewusst werden müsse der Zahnärzteschaft, dass die angestammten Kollektive künftig nicht mehr die einzigen Player im Markt seien. Flexibilität, so waren sich die Diskutanten in den Workshops weitgehend einig, sei künftig angesagt: Wo Modelle sich kollektiv nicht umsetzen ließen, seien Selektivverträge eine alternative Möglichkeit, die berufsspezifischen Interessen zu verfolgen.

Prinzipiell sei das Interesse großer Teile der Krankenkassen vorhanden, mit KZVen und KZBV Selektivvertragsmodelle auszutesten. Dennoch dürfe, so die Einschätzung des Plenums, das grundsätzliche Interesse an Selektivmodellen nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch für Krankenkassen die verwaltungstechnisch und ökonomisch praktikabler gestaltbare Kollektivvertragsebene jenseits zurzeit herrschender Wettbewerbspositionierungen trotzdem die sinnvollere Variante bleibe.

Kassen als Staatliche Zuweisungsempfänger

Mittelbar bestätigte der zu einem Vortrag aus Sicht der Krankenkassen eingeladene stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Dr. Christoph Straub, diese Einschätzung.

Generell, so stellte der TKK-Vertreter die aktuelle Situation dar, „rast die GKV auf einen dunklen Tunnel zu und keiner weiß, was in einem Dreivierteljahr los ist“. Straub beklagte, dass trotz des zu erwartenden Wachstumstrends im Gesundheitswesen und der Anforderungen des demografischen Wandels in der Gesellschaft die Politik die Möglichkeiten und Chancen der Beteiligten durch massive Regulierung immer mehr einschränke. Trotz der Globalisierungseffekte sei gerade das Gesundheitswesen als Dienstleistungsbranche gezwungen, „in den angestammten Ländern zu bleiben“. Arbeitsplatzzuwächse würden entsprechend innerhalb dieser Regionen geschaffen.

Die Versicherten, so stellte Straub anhand einer seitens der TKK durchgeführten Umfrage heraus, seien künftig vor allem an mehr Service, freier Kassenwahl und mehr Wettbewerb unter den Kassen interessiert.

Wenig Verständnis zeige die Bevölkerung für die staatlichen Reglementierungen. Die jüngste Gesundheitsreform sei, so der TKKSpitzenvertreter, „handwerklich schlecht gemacht“, berge „viel zu große Risiken“. Denkbare Folge des politischen Vorgehens seien beispielsweise ein „Kollaps großer Krankenkassen“ oder dass es künftig in einigen Bundesländern keine landesbezogenen Krankenkassen mehr geben werde. Das habe auch die Politik mit ihrem Gesetz nicht beabsichtigt.

Dennoch ergäben sich aus der aktuellen Entwicklung aus Sicht der Krankenkassen auch Vorteile: Die erzwungene Reorganisation habe für einzelne Kassen zu größerer Produktivität, besserer Serviceausrichtung und höherer Kompetenz geführt. Das sei letztlich eine Folge des provozierten Wettbewerbs.

Mit gemischten Gefühlen betrachtete Straub hingegen den Bereich der Selektivverträge. Die bisherigen Beispiele aus dem ärztlichen Bereich brächten ohne weitere Arbeit an diesen Konstruktionen den Patienten keinen Nutzen, den Krankenkassen dafür zusätzliche Kosten.

So gut wie nichts Gutes gewinnt der TKKVize- Chef dem zum Januar 2009 einzuführenden Gesundheitsfonds ab: „Wir werden staatlicher Zuweisungsempfänger.“ Zudem sei zurzeit noch viel zu vieles unklar, um die Kassen zum Handeln zu bewegen. Ab Anfang kommenden Jahres werden dann alle Kassen das Ziel antreiben, Zusatzbeiträge zu vermeiden. Liquiditätsreserven, die dringend gebraucht würden, so drückte Straub vorsorglich auf die Kostenbremse, seien in diesem Umfeld nicht vorhanden.

Riesenproblem Regionalisierung

Als „gute Sache“ stellte der Kassen-Vertreter heraus, dass durch die teilweise Auslagerung der Zahnmedizin aus dem System Druck herausgenommen werde. Straub begrüßte die Möglichkeit von Wahltarifen mit Selbstbeteiligung. Hier biete auch die TKK Zusatzversicherungen an. Dieses neue Feld berge allerdings die Gefahr, dass Risiken in die Versicherungen getragen würden. Darüber hinaus sei auch festzustellen, dass längst nicht jeder Zahnzusatzversicherungstarif tatsächlich „hält, was er verspricht“.

Als ein „Riesenproblem“ stellt sich zurzeit für die GKVen das Unterfangen dar, Selektivverträge nur in einem begrenzten Bereich zu schließen. Der Grund: Hier komme schnell die Kollegenschaft anderer Länder und fordere Gleiches für eigene Regionen. Dies führe zu entsprechender Vorsicht – auch in Sachen Bewerbung von Verträgen.

Als Selektivvertragspartner kommen für die TKK vor allem Organisationen in Frage. Nur mit solchen Partnern könnten unter den extremen Kostenbedingungen im Wettbewerbsumfeld Differenzierungsleistungen für Verträge getroffen werden. Die Aufforderung an die Zahnärzteschaft ist entsprechend: „Hier müssen Versorgungskonzepte nach § 73 c SGB V gestrickt werden, die flächendeckend nach diesen Kriterien gestaltet sind.“ Chancen auf zusätzliches Geld aus der Krankenkasse räumt Straub nach eigener Einschätzung derzeit aber nicht ein: „Angebote mit Zusatzbeiträgen werden im Moment nicht laufen, vielleicht in fünf Jahren, wenn wir freier und in breitem Rahmen über diese Dinge reden können.“ Straubs Resümee ging auf jeden Fall, ganz ähnlich wie die Einschätzung der KZBV- und KZVVertreter, nicht zu Lasten der Kollektive: „Der Kollektivvertrag ist unbequem eng, aber sicher für beide Seiten.“

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